Abschnitt 2

XIII.
Volksgebräuche.


An dem Sonntage, welcher dem alten Maitag, d. h. dem ersten Mai vor Einführung des gregorianischen Kalenders, am nächsten ist, wird das Maibier gehalten. Das ist ein nothwendiger Anhang des Osterfeuers; im Thüringer-Walde, wo das Johannisfeuer noch nicht auf Ostern verlegt worden, fällt das Maifest mit dem Frühlingsfeuer noch zusammen. Der Maiknecht mit seinem Geleite muß Haus und Tenne, wo getanzt wird, mit frischem Laube ausschmücken. Den ersten grünen Maibaum aber pflanzt er am Morgen vor das Haus seiner Maimagd, welche ihm dafür weiße flatternde Bänder um den Hut windet; das nächste Jahr, wo an Beide das Maigrafenamt kommt, bekrönt sie seinen Hut mit einer Verschlingung aus weißem Bandwerk mit Goldflittern. Sie selbst muß wie die Maigrevesche mit weißem Mützchen und überhaupt im möglichst weißen oder rothen Anzuge auf dem Maibier erscheinen. Die Einladung zu dem Feste fällt dem Invitirer anheim, und dieser ist auch der Festordner. Die Zeichen seiner Würde sind, wie bei den Richtern und Priestern der alten Germanen, ein langer weißer Stab und ein hoher Hut, der Stab mit bunten Bändern, der Hut mit Blumen und schimmerndem Goldzeuge verziert. Seine Ladung in den Häusern lautet wörtlich also:




Hier setz’ ich meinen Hut und Stab,

Maigraf und Maigrevesche schicken mich ab,

Insgesammt euch hoch zu tituliren,

Herrn und Frau, Söhne und Töchter und all’ die sie führen,

Auf’s lustige Maibier zu invitiren,

Daß ihr uns helft ein paar Faß zu verzehren,

Pfeifen und Tabak und die Musik zu beehren.

Wir haben auch verschrieben guten Wein,

Wär’ er aber nicht kommen über den Rhein,

Werdet ihr versehen mit Bier und Branntewein.

Nun bitt’ ich aber nicht allein um gut Bescheid;

Die Person muß selber sein bereit.

Und wär’ es, daß ihr kämet in Trauer von Haus;

Wollen wir thun, daß in Freude ihr gehet nach Haus.

Und wo immer ihr’s wieder verlangen seid,

Dienen wir gern bei Tag oder Nacht in Lust und Leid.

Zwei Dinge aber muß ich noch anbefehlen:

Die Burschen müssen wohl ihren Geldbeutel bestellen,

Wer Schuh und Hosen kann gut besorgen,

Kann tanzen bis an den andern Morgen.

Und die Mädchen sollen sich erst besinnen und dann beginnen,

Durch erst gethan und dann bedacht.

Ist manch liebes Mädchen zu Schaden gebracht.

Nun bin ich jung von Jahren und kurz von Haaren,

Schmal von Backen, kann nicht viel Complimente machen.

Gestern Abend hab’ ich bei den schönen Madchen gesessen,

Da hab’ ich all mein Studiren vergessen.

Hab’ ich meine Sache nicht gut gemacht,

Habe ich sie doch zu Ende gebracht.


Dies wird theils mit unendlicher Würde, theils mit den narrischsten Possen von der Welt vorgetragen, und die Mischung des Hochdeutschen mit dem Plattdeutschen dabei verfehlt niemals ihre komische Wirkung. Der Invitirer empfängt auch die ankommenden Gäste mit einem Spruch und einem Trunk und führt sie zum gräflichen Paare. Der Maigraf macht die Männer mit einander bekannt, die Maigrevesche stellt ihnen die Mädchen vor. Maiknecht und Maimagd müssen überall aufwarten. Doch haben sie mit dem andern Ehrenpaare den Vortanz und das Recht, auch sonst, wenn sie wollen, die Musik für sich allein aufspielen zu lassen. Vorkommende Streitigkeiten entscheidet der Maigraf, und der Maiknecht ist sein Vollzieher. Nur die jungen Leute dürfen tanzen, die Alten sehen zu und trinken. Maibüsche fliegen durch die tanzenden Paare, jeder Bursch trägt seinen Hut mit grünem Laube bekränzt. Je näher der Abend kommt, desto mehr ergreift die Tanzwuth alle Glieder; wollte einer, der dessen nicht gewohnt ist, diese Arbeit entsetzlichen Stampfens, reißenden Wirbelns und rastloser Gliederverrenkungen durchmachen, er würde zusammenbrechen wie ein markloses Rohr. Die einzige Erholung ist, wenn Alles im vollen Chor eines der vielen alten Lieder singt, welche schon die Knaben von einander gelernt haben.

Feste dieser Art wären unter den Farmern in Amerika nicht möglich, für sie ist die Natur nichts als ein lachendes Beutefeld und das Leben eine Reihe von Geschäftssachen. Keine Volkssage tieferen Inhalts kann bei ihnen entstehen, in Gemüthern, welche nur von Dollarsgedanken durchbogen werden, ist kein fruchtbarer Boden dafür. Selbst die Indianergeschichten, welche jedes andere Volk poetisch ausgeschmückt hätte, hört man selten erzählen, und auch dann geschieht dies nur, um Klugheit und Kraft der Weißen gegenüber der Dummheit und Grausamkeit der Wilden ins Licht zu stellen. Das einzige Romantische in den Vorstellungen der Farmer ist die noch unbesuchte ferne Wildniß, wo der Wald voll wilder Trauben hängen, in der Prairie das üppigste wilde Korn stehen und der Boden so fruchtbar sein soll, daß er einmal bestellt fünf Jahre lang Früchte trägt. Selbst die feierliche Handlung, welche in eines Jeden Leben einen höchst wichtigen Abschnitt macht und welche bei allen Völkern mit nationalen Gebräuchen umgeben ist, die Heirath geht bei den Amerikanern vor sich wie ein einfaches Geschäft. Wenige Stunden der Bekanntschaft reichen hin, das Herzensbündniß zu schließen, und es geht das Paar zum Friedensrichter oder Geistlichen und läßt sich trauen. Wenn’s hoch kommt, folgt ein kleines Gastmal und nachher ein Tänzchen. Wo die alten Neuenglandssitten noch herrschend sind, muß das junge Paar am Morgen nach der Hochzeit von allen Verwandten und Freunden die Glückwünsche annehmen, und jedes Mädchen erhält dabei ein Stück von dem großen Brautkuchen.

Welche endlose Umstände machen dagegen unsere deutschen Bauern bei einer Hochzeit. Gerade wie mancher deutsche Schriftsteller sich nur langsam in Schneckenlinien seinem Gegenstande nähert, so geht der deutsche Bauer bei den wichtigen Erlebnissen, wo der Amerikaner gleich auf’s Ziel lossteuert, mit weitgewundenen Förmlichkeiten zu Werke. Des Gegensatzes wegen seien noch die Hochzeitsgebräuche in den Dörfern am Teutoburger Walde geschildert.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II