Abschnitt 1

XIII.
Volksgebräuche.


Der Amerikaner hat viel Fähigkeit und Uebung, sein geistiges Vermögen zum Gefühl innerer Stärke zu verdichten, und durch die Gesammtkraft seiner auf ein einziges Ziel gerichteten Kräfte und Gedanken sich desselben zu bemächtigen. Ein anderes Talent kommt ihm dabei zu Statten. Unter all den Ideen und Erfahrungen, die ihm vorüberströmen, in all den weiten Ländern, die er gewohnt ist täglich im Geiste zu überschauen, erkennt er aus weitester Ferne wie ein Habicht seine Beute den Punkt, wo Geld und Macht zu gewinnen, und schießt auch gleich dem Habicht sofort darauf los. Und mit wunderbarer Geschicklichkeit weiß er dann die Erfindungen und Ansichten seiner Zeit, die großen Leidenschaften und die kleinen Wünsche der Menschen seinem Zwecke nützlich und dienstbar zu machen. Deshalb ist die Thätigkeit der Amerikaner so reich an großen Erfolgen, deshalb sind sie das stahlkräftige klarblickende ungestüme Volk, das in jeder Gegend, wo immer es sich gesiedelt, gleich eine Reihe von Hülfsmitteln entdeckt, von denen andere keine Ahnung gehabt hätten. Aber damit hört auch fast die Befähigung der Amerikaner auf. Versagt ist ihnen der poetische Hauch, welcher wo er herzieht durch ein Volk, tausend Quellen der Lust und des Humors, der Wehmuth und der Begeisterung springen läßt.


Im Volksliede entfaltet sich die zarteste sinnigste Blüthe des Volkslebens. Die Amerikaner haben keine Volkslieder. Die Meisten singen gar nicht. Junges Farmervolk, Schiffsleute und lustige Bursche trillern wohlmal ein Opernliedchen, oder wiederholen den ewigen Yankeedoodle oder ihr „Heil Columbia,“ zwei Lieder halbfremden Ursprungs, oder noch lieber ergötzen sie sich an den Negerliedchen. Die Neger sind die einzigen Naturdichter in Amerika, sie denken nicht aber sie singen, und bei allen possirlichen Affensprüngen in ihren Dichtungen klingt doch darin etwas Naturwahres, wilde Lust und wilder Schmerz. Nur in einem Volke, das an eigenen musikalischen Gedanken selbst so arm ist wie das Volk der Vereinigten Staaten, konnten Negerliedchen eine große Rolle spielen. Große Aufzüge haben die Amerikaner in Menge und dabei genug des Lärms, des glänzenden Prunkes und der donnernden Reden; aber auf eigentliche Volksfeste wird man vergebens warten. Die Leute haben viel zu viel Bildungsschliff, Nüchternheit und ewig rechnenden Verstand, als daß sie in Lust und Laune sich einmal gehen ließen. Wie kann auch von fröhlichen Festen im Freien die Rede sein, wo die Frauen davon entfernt sind? Volksfeste feiern in Amerika nur die Deutschen, lustige Zusammenkünfte sieht man nur bei den Farmern im Innern des Landes. Aber auch bei dem Preisschießen und Blockhausaufrichten der letztern, bei ihrem Steppdeckenähen, Wallnüsseklopfen und Maisaushülsen ist die Fröhlichkeit nur zum Dank für das abgethane nützliche Geschäft gestattet. Alte Gebräuche bei wichtigen und feierlichen Veranlassungen sind noch unter den deutschen Pennsylvaniern im Schwunge, und hier und da unter den Neuengländern, welche dergleichen Sitten auch in andern Staaten verbreitet haben, wie z. B. einige Weihnachtsgebräuche, die Familienbesuche am jährlichen Danksagungsfeste, die Neujahrswünsche der Herren bei allen Damen weiter und naher Bekanntschaft.

Aber solche Volksgebräuche sind spärlich und in rascher Abnahme begriffen. Im Ganzen genommen ist Amerika darin einzig, daß die Leute nur das rein Verständige thun, und sich auf das Nützliche und Zweckmäßige beschränken, ohne Umstände und ohne Sang und Klang. Unverkennbar greift eine ähnliche Denk- und Handlungsweise auch in den europäischen Ländern rasch um sich, auch hier schält sich der praktische Kern der Dinge los von der poetischen Hülle, mit welcher der Humor früherer Zeiten sich das Alltägliche würzte. Noch aber ist zwischen der alten und neuen Welt in all diesen Dingen ein weiter Abstand, und wir können ihn nicht anschaulicher hervorheben, als wenn wir uns Festgebräuche von amerikanischem und deutschem Landvolk vorstellen.

Das Hauptfest der Vereinigten Staaten, welches in jeder Ansiedlung gefeiert wird, ist natürlich ein politisches, das Fest des vierten Juli, des Jahrestags der Unabhängigkeitserklärung. Fällt der vierte Juli auf einen Sonntag, so wird er einen Tag später gefeiert. Das Fest erhält seinen Hauptausdruck darin, daß Pulver verknallt wird. Vom Morgen bis zum Abend zischen, rasseln und knallen Schwärmer und Puffer auf allen Straßen, auf allen Plätzen, so eifrig und unaufhörlich, als käme es darauf an, den armen Chinesen, welche dies billige Feuerwerk liefern, einen Verdienst zu verschaffen. Am Vormittag hören die Männer in einer öffentlichen Halle ein paar Reden, welche eine fortlaufende Kette von Knallfeuer sind, machen und sehen einige Aufzüge von Milizen und Löschgenossenschaften, und gehen nach Hause. Im Herzen aber freut sich jeder, daß er ein freier Mann ist und segnet jene Volksabgeordneten, welche die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben. Doch vielleicht giebt es in der Ortschaft Deutsche, welche zu mehr anregen. Dann wird ein Preisschießen veranstaltet oder ein Picknick. Zu letzterm giebt jede Haushaltung Lebensmittel her, man bratet und ißt im Freien, hört eine Menge Reden und Toaste, trinkt dann Kaffee, Aepfelwein und Whisky, und geht nach Hause.

Halten wir dagegen einen alten Osterbrauch, wie er in den Dörfern am Teutoburger Walde noch üblich ist. Politische Feste werden hier nicht gefeiert, aber es haben sich Festgebräuche erhalten, deren Spuren in das germanische Alterthum zurückgehn.

Es ist bekannt, wie sehr die Germanen das reinste Element verehrten, das Feuer, diese lichte Flamme der schöpferischen Kraft, welche die Tiefen der Natur durchglüht. Auf Bergesgipfeln errichteten sie Holzstöße, deren Gluten die wiederkehrende Sonne des Frühlings begrüßten. Die christliche Kirche ließ mit der Klugheit, durch welche sie die Heiden allmählig an sich gewöhnte und umwandelte, diese Feier bestehen und lehrte nur, daß solche Opfer nicht den Naturmächten, den alten Göttern, sondern dem einzigen Gott gebührten und die kirchlichen Feste verherrlichen müßten. So entstand in Niedersachsen die Sitte des Osterfeuers. Auf einer freien Höhe, wo die Wege der Menschen keine Spur hinterlassen und der Blick weit über das unten liegende Land streift, ist eine in Ehren gehaltene Stätte, auf der alljährlich am Ostersonntage das Osterfeuer bereitet wird. Eine schlanke Buche wird mit der hochgeästeten Krone in die Erde eingerammt; sie ist entweder ein Geschenk oder des Nachts vorher heimlich aus dem Forste geholt; gekauft darf nun einmal der Baum nicht werden, obwohl er schon wiederholt denen, die ihn frevelten und hernach vor Gericht belangt wurden, ein theurer Baum geworden ist. Um den Stamm wird Reisig und darüber Stroh gehäuft, bis der Bau wenigstens zwei Mannshöhen erreicht; wenn man sie irgend haben kann, so muß auch eine Theertonne, weil diese hell und lange brennt, hoch oben am Baume befestigt sein, welche durch lange Strohgewinde mit dem Holzstoß in Verbindung gebracht wird. Zu dieser Vorrichtung ruft eine Trommel des Nachmittags die jungen Burschen heraus, und gern giebt jeder Bauer ein Bund Stroh ihnen mit. Wenn der Abend dunkelt, zieht Alt und Jung auf die Höhe. Die gewaltige Flamme schlägt empor und erleuchtet weithin Feld und Wald. In stiller Andacht schließt man eine Runde um das Feuer, und es erhebt sich, da Jeder sein Gesangbuch bei sich hat, der Kirchengesang. Die Flammen prasseln und rauchen, der Wind fährt hinein und schlägt sie hierhin und dorthin; hoch oben in der Luft glänzt der rothe Feuerball der entzündeten Tonne, ringsum sieht man die beleuchteten Gesichter voll Rührung und Freude. Von nahen und fernen Höhen blitzen und leuchten die Feuer der benachbarten Dörfer, und die majestätischen Wogen des Kirchengesanges schwellen stärker oder schwächer heran und mischen ihre Töne mit dem Rauschen des Windes zu eigenthümlichen Harmonieen. Sonst ist alles still, keiner regt sich: die ewigen Sterne funkeln aus dunkler Höhe herab, gleichsam vertraut mit den feurigen Lichtern, welche die Menschen auf ihren Bergen angezündet haben. Nach einer Weile treten die Alten zurück, die jungen Leute lassen die lustigen Weisen der Volkslieder schallen, und der Feuertanz beginnt. Maigraf und Maigrevesche machen den ersten Reigen um das Feuer. Diese sind ein Bursche und ein Mädchen, die Anführer der Uebrigen. Gemeinsame Wahl beim Osterfeuer das Jahr vorher gab diese Würden. Der Maigraf muß stattlich sein und sein Wort zu führen verstehen, die Maigrevesche eine unbescholtene Jungfrau. Die jungen Mädchen, als sie den Berg heranstiegen, erschöpften sich in Vermuthungen, welche von ihnen zur Nachfolgerin erkohren sei; denn das halten die Burschen geheim, wenn auch der Name des bestimmten jungen Mannes verlautet. Die Maigrevesche geht, wenn sie den Tanz um das Feuer beendet hat, auf den Gewählten zu und führt ihn mit den Worten: „Ich nehme dich zu meinem Maiknecht.“ vor die Runde. Desgleichen holt der Maigraf ein Mädchen und erklärt sie zur Maimagd. Die beiden Gewählten haben den zweiten Tanz und werden für das nächste Jahr Maigraf und Maigrevesche. Dann folgt der reißend schnelle Ringelreigen, und es ist ein Spaß dabei und eine Kunst, auszuweichen den züngelnden Flammen, auf welche das folgende Paar das vorher gehende hindrängt. Unterdessen ist die ganze Flur besäet mit feurigen Sternen und Strahlen. Denn es ist Sitte, daß jeder Knabe im Dorfe sein Blaß hat, eine dicht mit Werg und Stroh umwundene Stange, welche am Osterfeuer angezündet und zu den gefährlichen Spielen des Verfolgens mit Feuer und des Abwehrens mit Feuer gebraucht wird. Steht man nun etwas entfernt im Dunkeln und sieht diese hellen Gluten und die in wilden Sprüngen um sie her tanzenden Gruppen, und hört dabei das schallende Gelächter, die fliegenden Lieder, und jenes eigenthümliche, vielfach modulirte „Hoiho! Feuerjo!“ welches, ohne Zweifel aus uralter Zeit herstammend, noch alljährlich in die Nacht hinausgerufen wird, vernimmt man das nahe Rauschen der Wälder und das Streifen des Windes: so gehört gerade nicht viel Phantasie dazu, sich den Feuerdienst der Germanen zu vergegenwärtigen. Ist die Flamme dem Erlöschen nahe, so wird mit allerlei Wurfzeug die noch fortbrennende Tonne zertrümmert, jedes Stück, welches von ihr in tausend zerstiebenden Funken durch die Luft fährt, wird mit Jubel empfangen, und ist Alles dunkel, so geht es ohne Weg und Steg die Abhänge hinab nach Hause. Das Lachen und Anrufen der zersprengten Gruppen, die einander verfolgen, sich den Weg abfragen und zuschreien und dennoch häufig in Sümpfe und Gehege gerathen, unterbricht noch lange die Ruhe der Nacht, bis endlich die stillen Gehöfte die nächtlichen Wanderer aufnehmen. Hier und da hat auch eine alte Frau Asche und Kohlen vom Osterfeuer in der Schürze nach Hause getragen, denn noch will nicht ganz der Glaube weichen, daß es dem Gedeihen der Früchte heilsam sei, wenn das Saatkorn mit Asche vom Osterfeuer vermengt gewesen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II