Abschnitt 4

XII.
Am Missouri.


Das Wetter aber war schön; die Sonne strahlte prächtig über die Wasserfläche, über die buschüberhangenen Uferhöhen und über die mit haushohem Schilf bewachsenen Inseln, aus denen Züge von Reihern und andern Wasservögeln aufstiegen, wenn das Dampfboot herankeuchte.


Der milde helle Abend lockte auch ein Sträußlein ächter amerikanischer Landveilchen oben aufs Verdeck, Farmerstöchter, lauter feine Gesichtchen, und geputzt wie Schmetterlinge. Erst hatten sie in der abgesperrten Damenkajüte still und steif gesessen, wie es Amerikanerinnen geziemt; nachdem sich ihnen aber mehrere Herren vom Kapitän hatten vorstellen lassen und die Frostdecke einmal gefallen war, da sprangen sie flugs in die lauteste Lustigkeit um. Sie saßen jetzt im Kreise und sangen zur Guitarre englische Liedchen nach deutschen Volksmelodien; letztere waren zwar arg verzimpert, aber es wunderte mich denn doch, hier oben auf dem Missouri schon die Melodie unseres „Schöner grüner Jungfernkranz“ und „Du, du liegst mir im Herzen“ eingebürgert zu finden. Auch die Herren mußten singen, und als die Reihe an mich kam, ließ ich einige unserer tollsten Studentenlieder erschallen. Die Deutschen, welche den Text verstanden, konnten das Lachen nicht lassen, die Amerikanerinnen aber, denen die Melodie gefiel, fanden die Lieder gar schön und erwiederten ihrerseits mit so vielen andern, daß mir zuletzt die Ohren schrillten, als sänge eine Schaar von großen Heimchen. Nach dem Gesange flatterten sie auf dem Dampfboote umher, bald waren sie hier, bald da, überall hörte man ihr Reden und Lachen, das ganze Schiff gehörte ihnen und alle Leute dienten ihnen.

So sind die amerikanischen Mädchen. Diese hier kamen nur aus Wäldern und Blockhäusern und hatten gewiß nicht eine feine Erziehung genossen, aber sie waren so zierlich gekleidet, so umgeben von der Verehrung aller Männer, als befänden sie sich mitten in den gebildetsten Kreisen. Keine einzige war darunter, deren blühende Entwicklung von Arbeit, Noth und Entbehrung entstellt gewesen wäre. Das spricht doch auch für Amerika, daß man hier Tagreisen lang keine einzige Frau sieht von häßlichem oder rohem Aeußern, es sei denn eine Eingewanderte oder von afrikanischer Verwandtschaft. Und zwischen diesen Farmermädchen, deren Geistesbildung und Gemüthsleben dürftiger als einer armen Näherin in Deutschland, war dennoch gewiß keine ohne sicheres Selbstgefühl und Stolz der Seele, ohne glühende Begeisterung für die Ehre und Freiheit ihres Landes und ohne Verständniß seiner politischen Institutionen. Die Amerikanische Frau bemüht sich nicht vom Morgen bis zum Abend um den Haushalt, sie kennt nicht die ewige stille Sorge, ob alles in der Familie sich wohlbefindet, sie genießt ihr Leben und läßt den Mann schaffen und arbeiten. Aber kommt das Unglück in ihr Haus, dann erhebt sie selbst sich mit männlicher Kraft, sie weint und schilt nicht lange, sondern kühn, klaren Blicks und beharrlich schafft und kämpft sie, bis Haus und Familie auf die eine oder andere Weise wieder in Stand und Ordnung sind. Und träfe ihr Land eine politische Schmach, dann würde alle diese Frauen ein einziger Geist aufstacheln, sie würden den Männern die Waffen schmieden und deren Herz befeuern, bis des Landes Ehre wieder rein wäre vor ihren Augen.

Es war Nacht geworden, das Boot wurde festgelegt, und im Umsehen war die große Kajüte in einen Tanzsaal verwandelt. Von Musik aber ließ sich nichts auftreiben, als ein alter Neger mit einer elenden Geige. Dieser stellte sich auf einen Stuhl und kratzte herzzerreißende Dudelsacksweisen, deren eintöniges Geschrei merkwürdig genug bei Wälschen und Slaven, Zigeunern und Negern immer wiederkehrt. Die Tänze waren kostbar. Erst kamen die leichtesten Stücke aus einer Art von Contretänzen mit bedeutenden Abschweifungen. Unser kleiner Kapitän tanzte mit einem ernsten Anstande vor, es war ein Mann, der beim Gehen immer schleifte, was ebenso sicher einen Hasenfuß anzeigt, als das donnernde Auftreten eines Bespornten den Bramarbas. Dann wurden einige Walzer getanzt, jedoch schnell abgefertigt, sie schienen den Leutchen zu schwer. Daraus aber ging es zum Hornpfeifentanz, dem nationalen Farmertanz, einer Ausgabe jener Gegentänze für Kinder. Die Dämchen kamen nun recht in ihr Fach hinein, sie sprangen und jubelten und fielen, und stießen sich vor Lust, es war der höchste Grad von Ausgelassenheit. In den kurzen Pausen brachten die Herren ihren Tänzerinnen feurigen Grog und wedelten ihnen dabei mit Tüchern und Mützen Luft zu.

Ich hatte lange genug zugesehen und eilte aus der erstickenden Raserei in der Kajüte auf das hohe Verdeck. Hier war alles still und erhaben. Die dunkeln Gewässer flutheten Unaufhaltsam, aus den Uferwäldern brachte der Wind würzige Hauche und jenes tiefe endlose Rauschen, welches den weiten Urwäldern eigen ist, und in welches sich jetzt dann und wann die grellen Töne der schreienden Negergeige mischten. Der Wind verstärkte sich gemach zum Sturm. Die Wellen klatschten auf, das Schiff wurde erschüttert, und das Tau, an welchem das Boot befestigt lag, war nahe daran zu zerreißen und uns in den Fluß zu schleudern. Ohne die Wachsamkeit des Steuermanns waren wir verloren, denn die andern Schiffsleute waren alle auf das Tanzen versessen. Er ließ rasch den Kahn aussetzen und das Dampfboot mit einem neuen Tau am Ufer festmachen.

In der Kajüte fielen bei dem starken Schwanken des Schiffes die Tanzenden wiederholt durcheinander, aber mit lautem Gelächter erhoben sie sich sogleich wieder, und das wilde Tanzen nahm kein Ende, bis Mitternacht vorbei war. Da jagten die Flüche einiger alten Herren, welche in ihrem Nachtkostüm aus ihren Kajütchen schauten, das Völkchen auf das Verdeck. Hier setzte man sich wieder, sang zur Guitarre und kühlte sich ab. Die Fräulein schienen unermüdlich; als ich schon längst mein Lager gesucht hatte, schallte noch ihr Singen mit dem Rauschen des Sturmes und der Wellen in meine Träume. Am andern Morgen kamen sie aber alle so außerordentlich ernst und sittsam wieder hervor, als kämen sie geraden Weges aus einer Kapelle von strengen Bußübungen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II