Abschnitt 3

IX.
St. Louis.


Doch die Morgenfrische ist schnell vorbei, die Sonne glüht herunter und vom Boden erhebt sich Staub und schwüle Luft. Man entflieht ihr, wenn man über den Strom hinüberfährt zur waldgrünen Illinoisseite. Immer wirft der Strom hohe rauschende Fluthen auf, und dahinter die gelbschäumenden Strudel; die Gewässer sind schlammig, aber darüber hin weht es belebend. Auf der Fähre standen die Ochsenwagen des Vormittags gewöhnlich so dicht aufgefahren, daß sich die Thiere mit den weit auseinander stehenden Hörnern berührten. Der Fußboden hatte viele Löcher, man sah das Wasser an mehreren Stellen darunter schäumen; indessen es ging unbekümmert weiter, wenn auch mit Dampf, doch lange nicht so schnell als ich erst dachte, ich merkte daran die Breite des Flusses. Drüben am Ufer warteten gewöhnlich Viehherden und die zahllose Menge von großen und kleinen Wagen, beladen mit Korn, Holz, Obst, Gemüse, Geflügel, Eiern, Honig, Baumzucker und dergleichen; der Farmer steht sich am besten, wenn er die kleinen Erzeugnisse der Landwirthschaft alle drei Tage zu Markte bringen kann. Das helle Wasser vom obern Mississippi hat noch hier vor den kothigen Schlammfluthen des Missouri, mit dem es sich etwa fünf Stunden weiter oben vereinigen muß, so viel Abscheu, daß man am Illinoisufer im Wasser noch einen wenigstens nicht ganz unklaren Streif bemerken kann. An eine Verzierung oder Einfassung der Landungsstelle ist noch gar nicht zu denken, das ist alles noch so wie die Natur es gemacht hat; der Amerikaner denkt gar nicht daran, daß dergleichen bequemer oder geschmackvoller gemacht werden könnte, er ist es von den ersten Ansiedlungen her nicht anders gewohnt gewesen, der einwandernde Europäer aber hat kein Geld für Verbesserungen. Nur wenige Schritte vom Ufer, und man ist zwischen Bäumen und Ranken, die des Menschen Hand nicht gepflanzt hat.


Oft war ich des Vormittags auch stundenlang in den Gerichtshöfen und bei den Friedensrichtern, und hörte mit Interesse den Verhandlungen zu. Das war für mich, da ich selbst Jurist, in jeder amerikanischen Stadt eine stets bereite Quelle der anziehendsten Unterhaltung. Jedoch erst nach längern Studien gelang es mir, mit dem althergebrachten Durcheinander der amerikanischen Justizpflege etwas vertraut zu werden.

Bald nach Mittag wird es stiller in der Stadt, die Schwüle lagert in den Straßen; dann war nichts besser, als wenn man noch eine befreundete Familie erreichte, welche weiter hinauf dicht am Flusse wohnte. Der Ruhe zu pflegen auf dem Balkon bei gutem Kaffee, der in Amerika gar nicht häufig ist, die Blicke über das Stromgewoge schweifen zu lassen, mit kurzem nicht spannenden Gespräch, – dabei hatte man niemals Langeweile. Wurde es kühler, so standen bei den Pferdevermiethern immer Reitpferde bereit, schlecht zur Parade, aber gut zum Rennen. Ein Ritt auf die freie Prairie hinaus, wenn es nicht mehr so heiß ist, gehört zum Angenehmsten, was man in St. Louis haben kann. Die Stadt liegt auf einer Hochprairie, und hat man die letzten Häuser hinter sich, dann empfängt einen gleich das Lichte und Lustige, was die Prairie so anziehend macht. Das Auge fliegt durch so helle, grüne Weiten; was in der Ferne sich bewegt, interessirt gleich, deshalb bleibt man erst lange Zeit angeregt, ehe sich das Gefühl der Oede einstellt. Hin und wieder führt der Weg an Farmen vorbei, die sich zierlich, fast schweizerisch ausnehmen. Auf dem Rückweg wird vor einem deutschen Biergarten abgestiegen, es sind ihrer mehrere da und einige vortrefflich eingerichtet. In einem war eine sehenswerthe weitgewundene Höhle, welche einen ausgezeichneten Felsenkeller abgab. Klüfte und plötzliche trichterartige Vertiefungen trifft man viele auf dieser Prairie. Man muß den St. Louis Deutschen nachrühmen, sie verstehen es, das amerikanisch souveraine Mannesgefühl mit deutscher Behaglichkeit zu vereinigen, diesen angenehmen Eindruck hat man auch in ihren Biergärten. Das Yankeethum kann sich in St. Louis noch nicht so breit machen, daß es Sonntag Abends Musik und Tanz verböte.

Nach der Rückkehr in die Stadt hat man eben noch Zeit sich umzukleiden. In der kurzen Dämmerung sind die Straßen dicht belebt, dann ist es auf einmal Nacht, und die Tausende von Glühwürmern sprühen auf. Man besucht eine der vielen Versammlungen, welche öffentlich über Stadt- und Schulsachen, allgemeine politische Angelegenheiten oder sonst irgend Wissens- und Lernenswerthes gehalten werden. Dann trank ich gern noch bei einem deutschen Freunde, der still bloß seinen Geschäften und der Betrachtung lebte, eine Tasse Thee und hörte da vieles über deutsches Leben hüben und drüben. Ach es sind mehr traurige Erinnerungen als Hoffnungsfreude. Ich habe aber immer gefunden, daß bei den Deutschen, welche ins Amerikanerthum nicht mit Kopf und Füßen zugleich hineinsprangen, die Häuslichkeit am freundlichsten war. Vielleicht wurde dann noch auf kurze Zeit eine der altamerikanischen Familien besucht, welche in prachtvoll geschmückten Räumen Abends regelmäßig größere Gesellschaft bei sich sahen. Dort gab es immer einen Whisttisch, etwas Pianospiel und wenig Gespräch.

Es ist eilf Uhr, wir treten auf die Straße, alles ist stichdunkel; die Straßen sind merkwürdig leer, der Mississippi braust mächtig herüber. Man sollte es eigentlich nicht thun, es ist nicht recht anständig und auch gefährlich, sich aus den vornehmern breiten Straßen zum Flusse hinabzuwagen. Indessen der Fremde ist frei und kümmert sich nicht um die unheimlichen Gestalten, die hie und da vorüberhuschen. Der tiefe Schleier der Nacht bedeckt in den Mississippistädten viele Dinge, welche kein Tageslicht vertragen. St. Louis liegt zu nahe bei Neuorleans, um nicht von der Sinnenlust, welche dort so maßlos wuchert, etwas abbekommen zu haben. Aber auch das giftige Fieber wuchert in der Stadt. In einer nicht großen Gesellschaft traf ich einmal fünf junge Frauen zusammen, welche in den letzten drei Monaten Witwen geworden. Von Neuorleans brachte jedes Dampfschiff einen Sack voll schwarzgesiegelter Briefe. Der Tod mäht rasch in diesen üppigen Landen. Doch der Mississippi rauscht immer gewaltiger, einige Kneipen am Flusse sind noch erhellt und mit allerlei Gesindel ausstaffirt, man hält sich jedoch in respektvoller Entfernung davon. Da schallt Geschrei, ein Schuß fällt, auf die Straße und vorüber stürzt ein Haufen roher Bursche, hinter ihnen her vielleicht ein paar Polizeimänner. Wieder ist eine Unthat geschehen, Drehpistolen und Breitmesser waren gleich zur Hand; ob die Rache des Gesetzes den Frevler trifft, ist mehr als zweifelhaft. Kommen doch bei Tage hier Szenen auf den Straßen vor, welche in Europa eine Stadt mit Entsetzen erfüllen würden, hier aber wogt das amerikanische Leben bald wieder darüber hin und man denkt nicht weiter daran. In den paar Tagen, welche ich in St. Louis war, wurden mehrere Damen am hellen Tage beraubt, Herren angefallen und niedergeschlagen, ein Polizeimann schoß einen fliehenden Burschen auf der Stelle nieder, und wer kümmerte sich erst um all die Einbrüche und Mordthaten, die des Nachts geschahen. St. Louis hat schlimmer als die meisten andern amerikanischen Großstädte seine Banden Rowdies. Sie treiben sich auf und ab in den Städten am Mississippi, bald lassen sie hier, bald dort sich zahlreicher spüren; St. Louis bleibt ihr Stammort, jedes Dampfschiff führt sie ihm wieder zu. Jedoch mit Rowdies, mit Fieber, und mit Humbug in Geschäft, Politik und Religion, muß sich der Europäer einmal abfinden, wenn er in den Vereinigten Staaten heimisch werden will. Der äußere Schein verdeckt die faulen Stellen im Charakter und Vermögen. Die Amerikaner haben ebensoviel Leidenschaft als Geschicklichkeit, „den guten Schein zu retten.“ Ist das geschehen, so kümmert sie keine Blöße, welche sich dahinter versteckt. Schon der Engländer hat viel Talent zum gründlichen Heuchler, in der neuen Welt aber ist das Scheinsystem zur Vollendung gebracht. Solche Verehrung des äußern Scheins ist natürlich unter Leuten, welche entweder keinen tiefern Gehalt in sich fühlen, oder welche zu viel auf sich halten, um nicht überall und unter jeder Bedingung anständig und vornehm aufzutreten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II