Abschnitt 2

IX.
St. Louis.


Die Deutschen bilden in St. Louis einen sehr ansehnlichen Theil der Bevölkerung; gedrängt wohnen sie jedoch nur rings um den Kern der Stadt. In dieser kann man nämlich dieselben Abtheilungen unterscheiden, wie in den andern großen Städten der Vereinigten Staaten. Am Flusse ist ein finsterer Stadttheil, ein Durcheinander von hohen Waarenhäusern, schlechten Kneipen und Handwerkerbuden; dazwischen finden sich wirklich scheußliche Höhlen, wo das Gesindel seine Schlupfwinkel hat, – es ist, als wenn die schmutzigen Zimmer darin noch nach Blut röchen. Aber hier bei dem Landungsplatze und in der Nähe ist des Tags über das Handelsgewühl, welches der Stadt Leben und Gedeihen giebt. Hinter diesem nicht einladenden Häusergürtel folgen ein paar breite Straßen, besetzt mit schönen Häusern, dort wohnen die angesehensten Familien. Gewöhnlich haben sie auch noch eine besondere Straße oder einen Abschnitt in diesem Stadttheile, welche für vorzugsweise vornehm gelten. Entweder die breiteste mittlere Straße mit den glänzenden Läden oder sonst eine in der Nähe dient dann auch zum täglichen Spaziergange der feinen Welt. Höher hinaus, jedoch noch in dem angesehenern Stadttheile, liegt der Markt, er bildet aber in der Regel einen Uebergang zu den weniger vornehmen Straßen. Um diesen Stadtkern dehnen sich dann die ärmlicheren Stadttheile aus, wo der Bauplatz noch nicht so hoch im Preise ist und die Deutschen sich ansiedeln; da giebt es ganze Straßen hinter einander, wo fast nur Deutsche wohnen. In St. Louis haben sie sich noch weiter am Flusse hinauf angebaut, eine Vorstadt dort heißt Neubremen. Je weiter die Häuser in das freie Feld hineintreten, desto seltener werden die Backsteinhäuser, desto häufiger die Holzhütten, bis dann nach einigem Zwischenraume die Gärten mit den niedlichen Sommerhäusern der Reichen beginnen.


Doch in St. Louis wohnt auch in den reichsten Stadttheilen eine ziemliche Anzahl von Deutschen, bedeutender als in einer andern amerikanischen Stadt, vielleicht Milwaukee ausgenommen. Die Hauptstadt von Missouri war schon seit Anfang der dreißiger Jahre ein Sammelplatz für Deutsche aus den gebildeteren Ständen. Viele kamen dort zu Reichthum und Ansehen und sie üben einen höchst wohlthätigen Einfluß aus zum Besten humaner Bildung und Gesittung, nur halten sie sich bei ihrer nationalen Bescheidenheit auch hier gewöhnlich in Zweiter Linie. Unter sich aber zerfallen sie wieder, wenigstens der Regel nach, in kleine Kreise, je nach religiöser und politischer Uebereinstimmung, unter denen nicht selten lebhafte Fehde ist. Die Deutschen sind bekanntlich sehr gewissenhaft in den Gründen ihrer politischen und religiösen Ueberzeugungen. Wenn ihrer zwei zusammen, sind auch drei Parteien da, weil in der Besorgniß, nicht alle Für und Wider gründlich zu erwägen, jeder sich in Gedanken noch mit einer idealen Persönlichkeit beschäftigt, welche eine dritte Ansicht verficht. Zwei Amerikaner hingegen haben sofort ihren Einigungspunkt im nationalen Gedanken. Man unterscheidet unter den Deutschen leicht den jüngern Ankömmling von dem ältern. Wenn der erste frische Eindruck, den das amerikanische Volk mit seinem Wohlstande seiner Rüstigkeit und Freiheit auf den Europäer macht, verwischt ist durch das vielfach Peinliche, was der Hochmuth und die Unwissenheit und das scharf Einseitige der Amerikaner in ihm erregt, so fühlt sich der Ankömmling leicht abgestoßen von all dem Treiben, er rennt dagegen an und klammert sich an deutsche Sitte, Sprache und Wissenschaft. Aber unwillkührlich zieht auch ihn nach und nach das amerikanische Leben entweder in seine Strudel hinein, oder es ermattet ihn; im ersten Falle wird er häufig ein erboster Deutschverächter und kann nicht genug schelten auf das schafherzige deutsche Volk, im zweiten sucht er sich vergebens in der Zurückgezogenheit Ruhe und Befriedigung. Mag er seine Fenster und Thüren noch so fest vor dem amerikanischen Treiben verschließen, es hilft nichts, es dringt doch durch zahllose Oeffnungen hinein und stößt und prickelt in einem fort. Ein solcher deutscher Einsiedler bleibt etwa in der Lage, in der sich mancher Freund des gemächlichen Fortschrittes bei uns in den letzten bewegten Jahren befand; so erbittert er sich auch vor dem politischen Gedränge abschließen wollte, er fand doch nirgends Ruhe davor. An eine solche größere deutsche Geselligkeit, wie sie sich in Deutschland in jeder Mittelstadt einstellt, ist daher auch in St. Louis nicht zu denken, so viel einzelne heitere und anregende Kreise sich dem ankommenden Landsmann dort auch öffnen.

Ich will nun einen Tag in St. Louis beschreiben, wie ich ihrer mehrere hatte. Das Frühstück kann dort der Reisende auf amerikanische Weise reichlich, aber auch nach deutscher Weise gut zubereitet und zugleich in freundlicher Gesellschaft haben. Es giebt in St. Louis anständige deutsche Kosthäuser, wo man statt des hastigen Abfütterns unter fremden freßbegierigen Leuten, wie in den amerikanischen Gasthäusern Brauch ist, sich behaglich zu Tische setzt und sich unterhalten kann. Es findet sich hier immer ein Klübchen von gebildeten Landsleuten, und man tauscht Erlebnisse und Erfahrungen aus der alten und neuen Welt. Die nach Amerika kommen, sind nicht die regelmäßigen Leute, die ihren sichern Amts- oder Geschäftsgang zu Hause gingen, sondern solche, die etwas mehr erlebten, und man trifft in Amerika häufig eine Anzahl merkwürdiger Menschen beisammen, welche in Deutschland in den verschiedensten Kreisen und Gebieten zerstreut sind. Nach dem Frühstück begab ich mich gern auf den Markt oder zum Landungsplatz. Das ist herrlich in Amerika, daß es eine solche Fülle von schönen Tagen hat, wo der Himmel so strahlend blau und die Luft so hell ist. Da erscheint alles farbiger, lebenvoller, und man überblickt das Rennen und Wogen gleich ganze Straßen hinunter. Auf dem Markte steht ein Reichthum von Thier- und Pflanzengewächsen aus, roh oder schon zubereitet für Küche und Tisch. Unter den einkaufenden Frauen und ausstehenden Farmern hört man ein Deutsch von allen Mundarten, jedoch spricht der Plattdeutsche Hochdeutsch vermischt mit Englischem. Das Ochsengespann mit langer Peitsche regierend, in Strohhut und kurzer Jacke, fährt auch mancher herbei, dessen Hand auf deutschen Hochschulen den blanken Schläger geführt hat. Es war mir immer, als dürfte ich solchen nicht vorwitzig ins Gesicht sehen, es lag etwas wie Entsagung oder mehr darin. Man geht weiter, zum Landungsplatze. Welche Menge von Dampfbooten, wie rauchen und keuchen die Schlote; als wäre die Werfte ihr Bienenstock, so schwärmen sie aus und ein. Immer wieder sieht man mit Interesse die aufgehäuften, wohlbekannten Waaren, die Blei- und Kupferkarren, die Häute und Schmalzkisten, die verschiedenen Hölzer, die Mehl- und Zuckertonnen, die Reis- und Kaffeesäcke, die Tabak- und Baumwollenballen. Man muß sich vorsehen, daß man nicht zerstoßen oder überfahren wird. An den Waarenballen und vor den Schenkhäusern lehnen Gruppen von Flachbootsmännern und Hinterwäldlern, lange kräftige Gesellen, halb in Leder, „halb Pferd halb Alligator,“ die den Mississippi mit ihren flachen Booten durchpflügen, die tiefen Wälder lichten und den Bär bezwingen. Es ist eine ganz eigene Art von Menschen, schweigsam und von rauhen Manieren, aber kernig und voll unerschütterlichen Selbstbewußtseins. Hin und wieder geht auch vielleicht ein Indianer stolzen Haupts vorüber, sein Anstandsgefühl gebietet dem armen Schelm, seine Neugier im Zaume zu halten, als kümmerte ihn die ganze Umgebung nicht. Nur wenige Jahre noch und man wird am untern Mississippi keinen Indianer mehr sehen. Schwarze und Farbige laufen und grinsen an allen Ecken. Sie sind höflicher, als in den freien Staaten. Im Uebrigen merkt man nicht gleich, daß St. Louis die Hauptstadt eines Sklavenstaates ist. Erst allmählich wird man inne, daß die Bevölkerung doch eine etwas andere Färbung hat, das Leben blickt hier wilder und greller, als würde es rascher verpufft. Man sieht mehr von den unheimlichen Gesellen, welche ebenso gewöhnlich Dolch und Pistolen auf die Straße mitnehmen, wie mancher junge Kaufmann sich beim Ausgehen eine Cigarre ansteckt, als gehörte das zum Anzuge. Jedes kleine Nest in Amerika weist ein paar dieser Galgengesichter auf, ein tollkühner höchst rücksichtsloser Geist sieht ihnen aus den Augen. Freilich thun auch das ewige Dollarsbrüten, das Tabakkauen und die Trockenheit der Luft das ihrige, um die Gesichtszüge zusammen zu ziehen und zu verfinstern. Durch das Gewühl auf der Werfte in St. Louis sieht man auch wohl mal ein paar Quateroons schlüpfen, leichte reizende Gestalten, über deren zartes Weiß das Negerblut noch einen verführerischen Schatten zieht. Geistig und sittlich sollen sie aber auf sehr niedriger Stufe stehen. Es ist merkwürdig, daß die Natur aus der Verbindung von Weißen und Mulattinnen so auffallend schöne Geschöpfe entstehen läßt, während die Kinder von Weißen und Indianern ungesegnet sind an Geist und Körper.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II