Abschnitt 1

X.
Hauseinrichtung.


Bei den Kulturvölkern der Gegenwart verlieren Wohnungen, Volks- und Familienfeste, überhaupt Sitten und Gebräuche mit jedem neuen Jahre etwas vom eigenthümlich Nationalen. Die ganze Lebenseinrichtung und Gewöhnung streift auch immer mehr von den Formen und Bildungsstufen ab, durch welche sonst Beruf und Ansichten der verschiedenen Klassen einen festen äußern Ausdruck, Schule und Entwicklung der Einzelnen aber einen sichern normalen Gang erhielten. Das Zünftige hat überall nur noch ein sieches Dasein. Bei den Handwerkern ist jetzt weder die Lossprechung des Lehrlings, noch das Meisterstück des Gesellen mit besondern Feierlichkeiten verknüpft. Der junge Mediziner muß zwar den Doktorhut noch annehmen, aber die Staatsprüfung ist ihm die Hauptsache. Die sieben freien Künste haben sich aufgelöst in eine zahllose Menge von Künsten, von denen jede freier Erwerb. Die Kleidung ist nicht nur unter den Gebildeten aller Nationen eine Art Uniform geworden, sondern verdrängt auch rasch die seltsamen Trachten, an welchen das Landvolk noch festhielt; man kann in vielen Gegenden schon die alten Mütter und Väter bezeichnen, nach deren Tode auch die Tracht ihrer Gegend verblichen sein wird. Selbst in den untern Ständen unterscheidet nur noch der bessere Stoff das Festkleid von der Haus- und Geschäftskleidung, und es kommt bereits in manchen Kreisen ebenso wenig auf die Form und Farbe des Rockes als auf die Stunden an, in denen man Besuche macht. In allen Dingen dieser Art macht sich das rein persönliche Gefallen und Gelüsten, das einfach Praktische, Zweckmäßige und allgemein Anständige geltend, und verbreitet sich, bei der Vermengung und Zersetzung der Völker und Klassen unter einander, in den letztern Jahren mit außerordentlicher Schnelligkeit bis in alle Länder und Kreise.


Am deutlichsten zeigt sich diese Strömung der Zeit in der Hauseinrichtung. Von da aus greift das allmählige Gleichwerden und Ausgleichen der Völkersitten und Berufsklassen am tiefsten und nachhaltigsten um sich. Im festen Wohnhause, welches die Geschlechter überdauert, mußte sich Klima, Beschäftigung, Denkungsart, Sinn und Sein der Menschen ausdrücken. Hat das Leben des Einzelnen einen bestimmten Bildungsgang, das Leben des Volkes ein festes Gepräge, so wird demgemäß auch das Haus eingerichtet sein, und jeder Theil in demselben seine unwandelbare Bestimmung haben. Das folgende Geschlecht wird dann von Kindesbeinen an in die Sitten der Vorfahren eingewöhnt, seine Ideen und Sinnesart formen sich gleichsam nach den Räumen und regelmäßigen Vorkommnissen in denen es aufwächst, das nationale Leben wird so zu sagen an der Hauseinrichtung des Volkes steif und straff. Wenn daher in diese etwas Schwankendes und Unsicheres kommt, so ist das jedesmal ein gewisses Zeichen, daß das Volk selbst in einer Umbildung begriffen ist.

Die Völker, welche auf der niedrigsten Bildungsstufe stehen, die Neger, Hottentotten, Kaffern, Neuholländer und Neuseeländer haben auch in ihrer Wohnung wenig bestimmte oder Ehrenplätze. Form und Aufrichtungsweise ihrer elenden Hütten ist immer von den Eltern überliefert, das ist das Nationale daran, sonst werfen sie sich darin durcheinander wie das liebe Vieh. Nach Nothdurft, Wind und Wetter, Armuth oder Fülle von Lebensmitteln richten sie sich ein, wie sie es eben verstehen oder die Mittel haben.

Anders dagegen die Südseeinsulaner, die amerikanischen Indianer, insbesondere die nordamerikanischen Wilden. Bei ihnen hat in Zelt und Hütte alles schon eher feste Norm und Bestimmung, so der Lagerplatz für Mann, Frau und Kinder, der Feuerplatz, der Ehrensitz für den Gast, die Stelle für die Waffen und Vorräthe. Je ärmlicher, loser und zufälliger in Form und Einrichtung ihre Wohnung, um so tiefer stehen sie noch auf der Stufe der bildungsfähigen Geschöpfe. Im selben Maaße, als diese Völker ihre Wohnung ändern, verlieren sie ihr Charakteristisches.

Wie klar und lieblich schildert uns dagegen die Bibel die Wohnungsweise der alten Hebräer. Die ganze Ordnung ihrer Zeltwirthschaft war streng angemessen der patriarchalischen Lebensordnung. Wie entschieden kehren dieselben Züge wieder in den häuslichen Sitten und Einrichtungen bei allen Nomadenvölkern, von den Arabern, Beduinen und Kirgisen bis zu den Mongolen, Lappländern und Kamtschadalen. Auch hier gilt derselbe Grundsatz: je ärmlicher und unwissender das Volk lebt, je weniger es auf sich selbst, seine religiösen Ueberlieferungen und seine ganze Eigenthümlichkeit hält, desto unsicherer und gedrückter erscheint das Nationale in seiner Hauseinrichtung.

Mannichfaltiger ausgeschmückt, wechselnd je nach Klima, Bildungsstufe, Religion, Pietät vor dem Alter und Familien-Zusammenhang, zeigt sich der Charakter der Wohnungen bei den Völkern, welche zu festeren Sitzen, zu Ackerbau und Gewerben fortgeschritten sind, wie bei den untergegangenen Peruanern und Mexicanern, Chinesen, Hindus und andern ackerbautreibenden Völkern Asiens. Bei ihnen allen hat sich das enge Zusammengehören der Familie, sowie die Herrschaft des Familienhauptes über Frau, Kinder, Diener und Sklaven, in jeder derartigen Beziehung auch in der häuslichen Einrichtung ausgedrückt, ebenso wie der Hang zum Grotesken und Fratzenhaften und die kindische Freude an Putz und Glanz sich abspiegelte in den bunten Farben und seltsamen Gestalten der Bautheile.

Ehrwürdig und streng abgemessen nach Volkssitte und Religion erhebt sich über die Wohnungen der vorgenannten Völker das mohamedanische, vorzugsweise das türkische Haus. Jahrhunderte lang bewahrt es unabänderlich seine innere Einrichtung, welche der einfachen Lebensauffassung des Korans angemessen ist. In jedem Hause waltet das uralte Gesetz, dessen Verletzung nicht bloß als Verachtung des Hausherrn, sondern auch als Religionsfrevel angesehen wird. Von der Straße ist die Wohnung mit ihren Höfen und Gärten abgeschieden durch einen Umkreis hoher Mauern, damit die stille Ruhe im Innern und die Despotie des Hausherrn nicht gestört werde. Jedes der zahlreichen Völker, welche die große Kette des Mohamedanismus umfaßt, hat seine nationale Eigenthümlichkeit auch in seinem Hauswesen angebracht, jedoch hat diesem die gleiche Religion bei allen mohamedanischen Völkerschaften einen gewissen Charakter aufgedrückt, der minder oder stärker überall wiederkehrt. Die feste äußere Haltung, der Gleichmuth, die feine kalte Schlauheit und die vornehme Würde, wodurch der Türke dem Franken imponirt, sind eine Folge der strengen Haussitte, in welcher der Knabe und Jüngling mit Härte eingeschult wurde. Aber eben damit hängt auch die Bornirtheit zusammen, mit welcher der Alttürke sich gegen europäische Kultur wehrt.

Weit weniger als die mohamedanische Religion hat die griechische Kirche auf Gestalt und Einrichtung der Wohnhäuser bei den ihr angehörigen Völkern eingewirkt. Das Muttergottesbild mit der Lampe davor ist fast ihr einziges weit verbreitetes Symbol. Auffallend ist auch, daß die Slaven, deren Ausdehnung zum größten Theil mit dem Bereiche der griechischen Religion zusammenfällt, und zu ihnen müssen wir auch die Neugriechen rechnen, – trotz so deutlicher Charaktergemeinschaft doch in ihrem Hauswesen kein so gemeinsam nationales Gepräge haben, wie die germanischen oder romanischen Völker. Wie fest und unwandelbar lehnt sich das serbische Haus und die serbische Haussitte an den innigen Zusammenhang und die strenge Ordnung in der serbischen Familie. Wie haltungslos und verflüchtigt erscheint dagegen das Nationale in der Hauseinrichtung der Czechen und Polen. Wenn es eine Gemeinsamkeit im Hausbau aller Slaven giebt, so besteht sie darin, daß sie nicht feste hochräumige Häuser mit Gewölben und hohen Giebeln lieben, sondern kleine, viereckige, niedliche Häuser, einstöckig mit angemessenem einfachem Giebel, sie setzen lieber zwei, drei kleine Häuser dicht neben einander, als daß sie durch ein einziges großes sich denselben Gelaß schaffen, den ihnen die mehrern kleinen Häuser gewähren. Auch die Nothwendigkeit oder Gewöhnung, mit Holz allein zu bauen, scheint ihnen jene kleinen, meist rechtwinklichen Häuser vorgeschrieben zu haben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II