Abschnitt 1

IX.
St. Louis.


Die Cincinnatier nennen ihre Stadt die Königin des Westens; ein Amerikaner aber muß den andern übertrumpfen, also spricht man in St. Louis von der Kaiserin des Westens. Den Kaisermantel wird die Stadt zwar noch lange nicht umthun, in ihren langen Häusergassen ist wenig anderes bemerkenswerth, als daß die ältern Häuser solide und die neuern nach der einförmigen Backsteinmode gebaut sind. Aber einen Kaiserszepter hat St. Louis in Händen. Es beherrscht das ganze ungeheure Mississippithal, ein Reich so weit, so erfüllt von natürlichem Reichthum, so durchzogen von den Lebensadern der Flüsse, wie es kaum noch ein anderes Gebiet auf dem Erdballe giebt. St. Louis ist der Stapelplatz für den ganzen Missouri, den Illinois und obern Mississippi, es empfängt von dort all die unerschöpflichen Landeserzeugnisse und sendet ihnen wieder hinauf, was ihm an Waaren vom Ohio und untern Mississippi zugebracht wird. Daher die unabsehbare Reihe von Dampfschiffen, welche längs der Werfte das eine am andern liegen, daher das unaufhörliche Gewühl an der Landung von Waarenkarren, Handlangern und Geschäftsleuten. Ueber tausend Dampfschiffe befahren schon jetzt den Mississippi mit seinen Nebenflüssen, sie schaffen für St. Louis eine Zukunft, deren Reichthum sich nur erst andeuten läßt. Die Stadt giebt sich daher noch einen schönen Namen, „Metropolis des Westens;“ das klingt auch nicht übel; ohne einen wohlaufgeputzten bombastischen Namen geht’s in Amerika einmal nicht ab.


St. Louis hat vor den meisten amerikanischen Städten voraus, daß es sich schon von weitem stattlich darstellt am blanken Wasserspiegel. Die Stadt liegt nämlich mit ihren weißen Häusern am hohen Prairierande, zu dessen Füßen der weite Mississippi fluthet. Sieht man vom Dampfschiff die Höhe hinauf, auf der die Häuser stehen, so macht man sich einen Begriff von den ungeheuren Wassermassen, welche im Frühjahr und Herbst den Strom herniederkommen, denn bis da oben ins erste Stockwerk der Häuser stieg die Ueberschwemmung vor ein paar Jahren. Beim Eintritt in die Stadt muß man sich erst durch enge schwüle Gassen durcharbeiten, dann aber kommen Reihen von prächtigen Häusern mit schönen Steinwegen davor, und Plätze, Kirchen und Stadtgebäude, welche wenigstens nicht ganz im amerikanischen Stil sind. Die Stadt hat etwas Europäisches, sie ist nicht so altstädtisch und schmutzig wie Neuorleans, nicht so regelrecht und sauber wie Cincinnati. Noch mehr ist an ihren Einwohnern zu merken, daß das Yankeethum hier noch nicht wuchert, wenn gleich es sich schon überall eingenistet hat. Etwas von europäischer Bildung und Behaglichkeit vereint sich hier mit dem rastlosen Handelsgeiste der Yankees, unter welchen bekanntlich mancher an der Stelle des Herzens ein gaffendes Geldbeutelchen trägt.

Die Franzosen, deren Vorfahren vor jetzt etwa neunzig Jahren hier sich eine Zuflucht befestigten, verschwinden mit jedem Jahre mehr in der Bevölkerung. Wie in Neuorleans und Montreal wissen sie sich des überallhin dringenden Amerikanerthums bloß dadurch zu erwehren, daß sie sich in immer engere Familienkreise zurückziehen. Der Franzose liebt heitere Ruhe und gesellige Genüsse, der rastlose, immer schaffende, immer Pläne machende Angelsachse ist ihm ein Gräuel. In den Mittelklassen der Bevölkerung in St. Louis sind Franzosen jetzt nur noch wenig zu bemerken, dagegen zählen zu ihnen eine Anzahl der reichsten alten Familien, und unter den ärmeren Klassen hält sich hier und da noch ein Rest von Halbfranzosen zusammen. Unfähig ihr Leben zu erweitern, halten die letztern an der alten Sitte fest, Kleingärtnerei zu treiben, in der Umgegend ein paar Fallen nach Wild zu stellen, oder mit wilder Jagd auf den weiten Flüssen und Prairien das zu verdienen, was sie in ihren kleinen Hütten wieder verprassen. Eine Vorstadt, welche früher hauptsächlich von solchen Leuten bewohnt wurde, hat noch den Namen Vide Poche (leere Tasche), weil bei ihnen, wenige Wochen im Jahre ausgenommen, Schmalhans Küchenmeister ist. Ihrer werden aber von Jahr zu Jahr weniger. Es vermögen überhaupt wenige Volksarten dem Amerikanerthum zu widerstehen, es zersetzt sie und saugt sie auf. Was ist aus den Polen geworden, die einst in so großer Zahl herüberkamen? Spurlos sind sie verschwunden. Wird es den Magyaren besser gehen? Wir bezweifeln es. Der Irländer nun gar wird mit Haut und Haar vom amerikanischen Wesen aufgezehrt, aber er kam und kommt in zu großen Massen, als daß nicht sein aus Ungestüm und Liederlichkeit gemischtes Naturell im Amerikanerthum haften bliebe. Der Schotte und Engländer läßt sich zwar leicht von dem ihm verwandten amerikanischen Wesen umhüllen, behält jedoch darunter noch eine Zeitlang seine nationale Schärfe. Bloß der Deutsche, obgleich er weich ist wie bildsames Wachs, widersteht auch äußerlich wenigstens eine Zeitlang, und darin liegt mit ein Grund, weshalb der gewöhnliche Amerikaner den Irländer, der immer seine leichte Beute ist, im Grunde lieber hat als den Deutschen, dessen Vorzüge er auf der einen Seite ebenso anerkennen muß, als er ihn auf der andern verachtet, weil er so unscheinbar und demüthig auftritt.

Auf jene altfranzösischen reichen Familien, bei denen Feinheit, Rechtlichkeit und eine eigene Art von Selbstgefühl zu Hause, stützt sich vorzüglich der Katholizismus. Dieser hat auch hier unter den Deutschen zwar die meisten ehrlichen Bekenner, aber ihre Nationalität beugt sich noch mehr als anderswo unter das Belieben der französischen und irländischen Geistlichkeit. Mit Baltimore, Neuorleans, Neuyork und Cincinnati ist St. Louis eine Hauptstätte des Katholizismus in den Vereinigten Staaten. Die Gymnasien und milden Anstalten der Katholiken überragen hier weit die der protestantischen Amerikaner, und die Jesuiten üben in der Stille eine so entschiedene politische Macht, daß jedes Parteihaupt sie sich gern zu Freunden hält. Ihr Einfluß auf die Wahlen zu den ersten Aemtern im Staate wie in der Stadt ist überallhin fühlbar. Trotz allen Eifers der protestantischen Prediger werden gerade aus den ersten amerikanischen Familien mehr und mehr Glieder zur katholischen Kirche herübergezogen. Der Methodismus, der ebenfalls mit scharfem Zahn an den alten protestantischen Kirchen nagt, bereitet nicht wenige seiner Anhänger zum Katholizismus vor; denn nachdem er sie lange genug zerrieben und geängstigt und in phantastischen Gebieten hin- und hergeritten hat, sehnt sich die arme Seele nach einem festen Anhalt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II