Abschnitt 3

VIII.
Auf dem Ohio und Mississippi.


Wir näherten uns dem Ausflusse des Ohio, der Fluß wurde breiter, seine Ufer niedrig und unglaublich einförmig, bald konnte man auch weite Sumpfstrecken überblicken. Auf der Landspitze zwischen dem Ohio und Missisippi oberhalb der Mündung legten wir an vor Cairo. Der ganze Ueberrest dieser Stadt bestand in ein paar jämmerlichen Hütten und einem langen grauen Gasthause, dessen obere Fensterläden geschlossen waren. Ringsum lag pesthauchender Sumpf, ein paar Bäume sahen daraus hervor, an denen Zweige und Flechten, mit gelbem Roth bedeckt, niederhingen. Wiederholt hat man auf diesem Platze, der zum Handel gar nicht prächtiger liegen kann, Fuß zu fassen gesucht, man wollte auch die Landspitze, um die Schifffahrt abzukürzen, durch einen Kanal abschneiden; aber Tausende und Millionen Dollars wurden vergebens verbaut, die Menschen starben jedesmal gleich zu Hunderten weg. Bei Hochwasser war Cairo mehrere Meilen weit von Wasser umzingelt, und wenn dieses von dem sehr niedrigen Lande zurücktritt, dann steigt gleich der Fieberqualm auf. Ohne Zweifel wird später durch Eindämmung und Trockenlegung des Bodens hier ein Platz gewonnen werden, auf dem eine Stadt stehen kann. Ungesunde Luft wird freilich immer über Cairo lagern, aber das ist ja auch in Neuorleans der Fall; steht einmal die Handelsstadt da, so fressen die Fieber nur noch Menschen weg und keine Dollars. Die Anlagen in Cairo mißglückten, weil die Unternehmer gleich ärnten wollten. Die unsinnige Wuth der Spekulationen verschüttet in Amerika anfangs manche Segensquellen, welche später bei sorgsamem und andauerndem Anbau die reichste Ausbeute geben. In den Sümpfen von Cairo sollen auch deutsche Banquiers ansehnliche Summen stecken haben. Ich freute mich, als wir den schaurigen Ort verließen und in den Missisippi hinaus steuerten. Jedoch wurde vorher hier eine Farbige ans Land gesetzt. Ihr kindlich anmuthiges und doch immer demüthiges Wesen hatte bewirkt, daß die Damen, welche übrigens nur eine Linie weißer waren, gegen sie fast gütig geworden, in der letzten Nacht aber wollte man erfahren haben, daß sie einen Geliebten gehabt. Es hieß, dieser, ein Kaufmann in Neuorleans, habe sie nach Cincinnati herauf gebracht, dort eingemiethet und verlassen. Das arme Geschöpf, welches ihm nachfolgen wollte, wurde nun mit Härte entfernt, sie hatte sich ganz verhüllt, als sie das Schiff verließ; der Abscheu, der in den Augen der weißen Damen loderte, mochte ihr zu bitter sein.


Die Einfahrt in den Missisippi bietet durchaus nichts Majestätisches, man blickt auf eine breite Wasserfläche, umsäumt von niedrig scheinendem Walde; aber bald hört man das Strudeln und Rauschen der Wellen und merkt an dem heftigen Zittern des Schiffs und dem Keuchen und Stoßen der Maschine, daß es wider mächtigere Fluthen kämpft. Das klare Wasser des Ohio geht wie ein Keil mit scharfgeschnittenen Rändern in den Missisippi hinein, man sieht deutlich wie es sich gegen die Rothwellen wehrt. Ich hatte von den letztern schon gehört, aber begriff noch jetzt nicht, wie der „Vater der Gewässer“ so gar schmutzig sein könne. Aber kaum waren wir in diese ekelhafte Fluth hinein, als sie auch schon in zwanzig Gläsern umher gegeben und mit Leidenschaft getrunken wurde, ich glaube, mancher Amerikaner würde es für eine persönliche Beleidigung ansehen, wenn man das „süße und heilsame“ Mississippiwasser zu ängstlich filtriren wollte. Bald machten wir auch mit Snags und Sawyers Bekanntschaft, den scharfen Baumstämmen, welche so beißlustig dem Schiffe entgegen aus dem Wasser sehen oder sich heimtückisch unter dessen Oberfläche verbergen, um sich auf einmal den Dampfern in den Bauch zu bohren.

Die erste Nacht auf dem Missisippi war voll wilder Erhabenheit. Der gewaltige Stromriese, der ganze Waldstücke fortwälzt und Flüsse wie der Rhein verschlingen kann ohne sich auszudehnen, fluthet daher wie eine stürmende finstere Kraft aus der Urwelt. Der Mondglanz lag über den grauen weiten Gewässern, die Maschine stöhnte und wühlte fort und fort, der Wind zischte im Tauwerk und knarrte um die Rauchschlote, aus denen die Funken fuhren wie Feuerfliegen, und rollte dann dumpf durch die endlosen Urwälder. Aber das alles machte die tiefe Stille, die Wasserwüste nur furchtbarer. Hier und da zeigte sich am Ufer ein grauer Punkt, ob Felsen oder Hütten war nicht zu unterscheiden. Es blitzte auch wohl in der Ferne ein Dampfschiff auf, brauste uns mit seinem Gluthofen, der im Unterdeck ganz frei steht, wie ein feurig Ungethüm entgegen und vorüber mit rauschenden Fluthen; und dann war alles wieder so still und öde, man hörte nur das Wellenklatschen und das Rasseln des Schiffs. Ich konnte dieser finstern Zauberwelt gar nicht Herr werden, es war schon drei Uhr Morgens, als mich der Nachtthau nöthigte, die trockene Kajüte aufzusuchen. Als ich am Vormittage wieder auf das Verdeck kam, waren die Ufer hügeliger und mannichfaltiger. Die Ortschaften mit den gelben Maisfeldern wurden zahlreicher, Felsenlager sahen hoch durch die Bäume, aber alles blieb wie verloren in der Größe des Flusses. So viel aber konnte man deutlich abnehmen, daß auch hier wie am Ohio das Sklavenland auf der einen Seite des Flusses viel weniger bebaut war, als das andere Ufer, wo nur freie Menschen wirthschafteten. Der schönste Anblick war nahe hinter Grandtown, wo eine helle Waldhöhe aufstieg, zu beiden Seiten Felsenblöcke. Die Sandsteinmassen, welche im Flusse, manchmal hoch über dem Wasser, stehen, sind zu seltsamen Formen ausgewaschen, und haben ebenso seltsame Namen, wie „Teufels Theetisch“ und „Teufels Backofen.“ Diese Benennungen rühren her von den alten Hinterwäldlern, welche oft genug diese Felsen im Fahrwasser mögen verwünscht haben, als sie noch allein mit ihren langen Flachbooten den Mississippi hinunter fuhren. Immerfort trieben mächtige Baumstämme mit Wurzelscheiben und dürren Astkronen den Strom hinab, der Steuermann hatte genug zu thun ihnen auszuweichen; noch mehr Noth machte ihm, daß das Fahrwasser sich so häufig ändert. Der Strom reißt auf der einen Seite Strecken Landes vom Ufer ab und schwemmt sie an der andern oder in seiner Mitte wieder auf, im Schlamm schlägt dann bald eine Art Pappeln aus und befestigt den Grund, bis eine stärkere Herbst- oder Frühjahrsfluth die ganze Insel wieder flott macht. Stehn aber die Inseln fest, so erheben sich in einigen Jahren darauf die stolzen Waldstücke wie riesige Tafelaufsätze. Oft konnte man tief in die Wälder hinein die Sümpfe und den Schlamm der Ueberschwemmungen sehen, welche der große Fluß alljährlich so weit ausschüttet. Wege am Ufer sind da ganz unmöglich, und wenn sie mit den größten Kosten geschaffen wären, würde sie die Fluth vielleicht schon im nächsten Jahre sammt dem Lande wegwaschen. Weil die Gewalt des Stromes so mächtig ist, brauchen die Schiffe zur Bergfahrt starke Maschinen und rasseln deshalb auch so arg, in der Regel sind sie in ein paar Jahren aufgebraucht. Und trotzdem ist die Fahrt so billig, daß ich von Cincinnati bis St. Louis, die recht gute Tafel eingerechnet, nur zehn Dollars zahlte. Es gab Wochen, wo die Dampfschiffe von Cincinnati bis Neuorleans für Kost und Fahrt den Tag nicht mehr als einen Dollar nahmen, gerade so viel als man in Gasthöfen mittlern Ranges bezahlt. Diese Billigkeit ist nur möglich durch die Wohlfeilheit der Lebensmittel und der Feuerung und durch die Menge der Reisenden und Güter.

Die Strecke von Cairo bis St. Louis, nur einhundert und neunzig engl. Meilen, ist bekanntlich noch jetzt viel gefährlicher als eine Reise über den Ozean; der Mississippi hatte hier allein im Jahre vorher sechs und dreißig Dampfschiffe eingeschluckt, diejenigen nicht mitgezählt, welche erst in die Luft sprangen. Daher hatte man auch für verschiedene Stellen schaurige Namen von Hölle und Teufeln entlehnt, eine hieß der Schiffskirchhof, – wie manche Leiche mag da unten liegen, umhüllt vom Schlamm des Mississippi. Zwei Schiffe mit Taucherglocken waren beschäftigt noch etwas von den versunkenen Schätzen wieder aufzufischen, das untergegangene Menschenleben konnte man freilich nicht wieder auffischen. Wozu auch so viele Mühe darum, – das Land bringt und empfängt ja doch neue Menschen genug, – so möchte mancher Anwohner des Mississippi denken in jenen Stadtlöchern, wo in der That Menschenleben manchmal noch jetzt mit so viel Gleichmuth ausgeblasen werden, als man bei uns etwa eine Injurienklage anstellt.

Ist man ein paar Tage auf diesen wüsten Gewässern gefahren, so fühlt man sich erleichtert, wenn einem endlich das stattliche St. Louis in einer Ausdehnung von ein paar Meilen vom hohen Ufer herüberglänzt. Bei dem Abgehen aus dem Schiffe machte ich noch eine sonderbare Bekanntschaft. Es hatte die Reise ein langer Herr in dem unvermeidlichen Frackrock mitgemacht; er trug den altadeligen Namen Livingston. Während der wenigen Worte, welche ich mit ihm wechselte, war es mir aufgefallen, daß auch die Nachkömmlinge so reicher und berühmter Familien so vollständig yankeesirt sein sollten. Und wer war es? ursprünglich ein deutscher Jude aus der Gegend meiner Heimath, Löwenstein aus Marburg, seit einem Dutzend Jahren Kleiderhändler in einem der Raubnester am untern Mississippi. Der Mann hatte wirklich nicht bloß im Namen die täuschendste Umwandlung in einen rechten Amerikaner fertig gebracht, auch Gesichtszüge, Sprache, Haltung waren entschieden yankeemäßig, ohne daß er selbst es sich recht bewußt war. Den Namen hatte er sich aber nicht selbst gegeben, seine Nachbarn hatten ihn so genannt und er zuletzt nur auf diesen Namen gehört; die englisch sprechenden Amerikaner sind nämlich gewohnt, einen deutschen Namen ihrer Zunge bequem zu machen, und wenn sie ihn nicht übersetzen können, doch auf das närrischste zu verunstalten. Aehnliche Umwandlungen von Natur und Charakter habe ich häufig in Amerika bemerkt, manche behaupteten, das Gesicht jedes Einwanderers bekomme schon nach drei Jahren einen andern Ausdruck. Offenbar trägt das Klima hieran die Hauptschuld. Was wäre wohl aus den französischen Canadiern und Jägern geworden, wenn ihnen die englischen Amerikaner nicht über den Hals gekommen wären? In dieser Beziehung sind in Nord- und Süd-Amerika interessante Naturstudien noch erst zu machen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II