Abschnitt 2

IV.
Rappisten.


Am andern Morgen wurde mir eröffnet, ich solle Rapp sehen, wahrscheinlich war in der regelmäßigen Versammlung bei ihm am Abend vorher Gutes von mir gesagt. In der Begleitung der beiden Aeltesten ging ich zu seinem Hause, dort trafen wir den Vorsteher des Feldbaues, den obersten Webermeister und den Maschinenmeister, sie waren mir schon früher bei der Arbeit als die bedeutendsten ausgefallen, und hatten jetzt ihre Feiertagsröcke an. Auch Rapp’s geliebtester Schüler war da, ein noch junger Mann, ein schöner geistvoller Kopf. Keiner gebrauchte Tabak, weil er den Leib verunreinige. Branntwein nehmen nur die Alten und Kranken zur Stärkung, an etwas Wein erquicken sich auch zu Zeiten die übrigen. Ich sprach davon, wie sie die Natur rings um ihre Ansiedlung verschönert hätten, und da hörte ich auf einmal von diesen Männern im Bauernrocke Ideen über die Wirkung des göttlichen Geistes im irdischen Stoffe und über die fortschreitende Verfeinerung der Natur und des Menschen. Aber nicht bloß geistig müsse diese Veredlung vor sich gehen, denn was nicht Geist und Leib zugleich habe, sei ohnmächtig im Weltall. Ich fragte weiter, – wie tief hatten diese einfachen Leute das geheime schöne Leben der Natur begriffen. Auf dem Kamine standen Blumen und Früchte höchst täuschend nachgebildet in Wachs und Farben und doch schöner noch als in der Wirklichkeit, ein Werk von Rapp’s Enkelin, – da hieß es: im Menschen seien alle Kräfte und Gebilde der Natur enthalten, er könne aus sich allein sie wieder schaffen und noch tausendmal schöner. Die Natur erhalte vom Menschen, der ihre Blüthe und zugleich ihr Retter sei, das höhere Leben, mit dem Menschen sei auch die Natur gefallen, und er müsse sie wieder verherrlichen. Aber ohne daß die Menschen ihren Eigenwillen opferten, ohne daß sie in eine wahre Lebensgemeinschaft träten, würden sie keine Macht über Welt und Natur gewinnen; noch unbekannte Kräfte würden in den Menschen durch ihre liebevolle und gänzliche Vereinigung geweckt, nur in solcher Gemeinschaft könnten sie die niedere Natur besiegen, so daß sie herabfalle, wie die einhüllenden ersten Blätter welkten, wenn die junge Pflanze aufschieße.


Verwundert sah ich diesen Greisen ins Gesicht, deren Züge so milde und ehrwürdig, und deren Augen so hell und freundlich strahlten. Da kam Rapp. Ich hatte mir einen, wenn auch noch kräftigen, doch von der Last seiner neunzig Jahre und eines Lebens voll Kämpfe und Mühen gebeugten Mann vorgestellt, und wen sah ich? Einen Sechziger mit starkem Geiste und blitzenden Augen und raschen heftigen Geberden. Seine Stimme hallte wie Metall, und sein Antlitz, welches vom reichsten Silberglanz des Haares und Bartes umgeben war, spiegelte ebensoviel Ernst und Hoheit als Milde und Lächeln ab. Wenn er sich aufrichtete, war er wie ein Löwe. Er faßte mich lange bei beiden Händen und sprach über mein Vorhaben und meine Zukunft. Dann setzten wir uns dicht um seinen Sessel und seine Rede floß wie ein tosender Waldstrom, er allein sprach noch ganz in schwäbischer Mundart, aber unendlich treuherzig. „Du und jeder, Ihr habt ein Naturlicht in Euch, das faßt der Verstand, er faßt alles was bloß dem Menschen gleich ist: aber was höher ist als der Mensch, das fasset das Gnadenlicht, das ist das innere Licht was von oben kommt, und wer es hat, soll es dem andern geben. Jeder Mensch kommt zu Gott, jeder trägt die Ewigkeit in sich, und keiner geht verloren, denn alle müssen zu ihm zurück, weil sie von ihm ausgegangen sind; aber der eine hat mehr Qual und Thierischsein als der andere. Die uns verließen, sind der Erde wieder verfallen. Aber wenn die Zeit erfüllt ist, wird der Mensch die Natur verwandeln, die Thiere werden sanft und schön, und die Pflanzen werden lieblich und leuchtend werden. Und dazu ist vor allen bestimmt das Volk in Deutschland, das wird wieder das größte Volk werden, es ist das verachtetste gewesen. Seine Sprache allein ist die wahrhafte. Was heißt Hirsch, was heißt Ochs? Das sind die Thiere, wie sie da leiben und leben, da fliegt der Hirsch, da steht der Ochs. Die andern Sprachen sind ein für allemal zurechtgebacken.“ So sprach er noch vieles andere, was ich verstand und was ich nicht verstand. Er sagte mir auch, wie lange ich reisen, und daß ich nicht in Amerika bleiben solle, denn da zerrissen sich die Menschen wie wilde Thiere und schleppten selbst ihr Gericht herbei. Darauf führte er mich zum Tische, wir nahmen vortrefflichen Rheinwein mit Kuchen, und ich mußte mir mit den köstlichsten Birnen die Taschen füllen. Dann gab er mir noch Wünsche für die Reise und sagte: „Nun geh mit Gott und daß Du mir brav bist!“ Die andern gaben ihm alle die Hand und sagten: „Gott behüte Dich, lieber Vater!“ Sie waren so gerührt, daß sie weinten, ich war selbst ergriffen. Rapp ließ uns noch sagen, daß ich ihr Gast sei. Abends spät war Gottesdienst. Alle kamen auf einmal in die Kirche und gingen auf einmal wieder hinaus. Rapp diktirte jeden Vers der Lieder, betete und predigte sitzend wie auf dem Katheder. Als einmal nicht recht gesungen wurde, rief er: „Was, Ihr könnt’s nicht, da laßt’s bleiben!“ und diktirte ein anderes Lied. Seine Predigt verbreitete sich über ähnliche Ideen, wie ich sie am Vormittag von ihm gehört hatte. Alles war todtenstill, nur seine donnernde Stimme, die von den Geheimnissen Gottes und der Natur sprach, schallte in die Nacht hinein. Mir kam ein Grauen an in dieser mir so fremdartigen und doch so liebreichen Gemeinde, als wäre ich in einem lange untergegangenen Kloster eisgrauer Mönche und Nonnen, welche sich in die Wildniß vergraben, um der Kreatur Gutes zu thun und ihren religiösen Seltsamkeiten nachzuhängen.

Noch einen Tag blieb ich in dieser Stadt der neuen Gemeinschaft und des neuen Glaubens und unterrichtete mich über ihre innern Einrichtungen, welche, wie sie selbst gestehen, nur auf der Grundlage ihrer religiösen Ueberzeugung zu Kraft, Dauer und Blüthe gelangt sind. Nachdem ich bei ihrem „lieben Vater“ gewesen, der in seinen letzten Lebensjahren selten Fremde zu sich ließ, waren alle noch viel freundlicher, der alte Tafelmeister konnte nicht genug aussinnen, was mir wohl recht gut schmecken möchte. Sie hatten jetzt kein Hehl mehr gegen mich über ihren Glauben und erklärten näher, was Rapp mir schon von seiner Geheimlehre mitgetheilt hatte. Nun begriff ich diese Gemeinde, und warum sie als neue Jüngerschaar ehelos wandern und arbeiten muß, bis ihr Glaube erfüllt wird. Nun verstand ich auch, was Rapp ihnen ist, warum sie ihn so hoch und so innig verehren und warum er eine so wunderbare Macht über sie ausübt. In Deutschland waren sie nichts anderes als eine Sekte, die zu dem einfachen Urchristenthum zurückstrebte, in Amerika wurden auch sie von den Geheimnissen erfaßt, die sie in St. Johannes Offenbarung erschlossen glaubten. Es ist merkwürdig, wie die Idee des Millenniums, des tausendjährigen Reiches, welches mit der Wiederscheinung Christi anhebt, in Amerika von jeher die Geister der Menschen beschäftigt hat. Die deutschen Ephratenser, die Shaker, die Mormonen, die Milleriten und die Rappisten knüpften an die Hoffnung des tausendjährigen Reiches an. Sekten dieser Art verfielen meist auch darauf, die natürlichen Beziehungen zwischen Mann und Weib zu ändern und damit sich Eingriffe in die bisherige sittliche Welt zu erlauben. Die Shaker, welche schon im Millennium zu stehen meinen, geben sich viele Mühe, die Rappisten zu sich herüberzuziehen, werden aber von diesen stets abgewiesen. Die Jünger Rapp’s sind milde und nachsichtig gegen anders Denkende, aber sie fühlen sich glücklich und beseligt nur in ihrer jetzigen Weise, in ihrer Gemeinschaft allein finden sie das Friedensthal, in welchem sie auf die Erfüllung ihrer Hoffnungen harren. Amerika ist ihnen das Land der völlig losgebundenen Selbstsucht, ihr Prinzip steht im schärfsten Gegensatze zu dem, welches das amerikanische Volk bewegt. Eine junge Frau, welche aus Liebe die Gemeinschaft verlassen hatte und jetzt zum Besuche kam, konnte mir nicht genug erzählen, wie himmlisch glücklich sie einst in dieser geordneten Gemeinschaft gewesen, und wie bedrängt sie sich fühle in der Unruhe draußen unter den rohen Menschen. Sie erröthete jedesmal bei der leisesten Andeutung, daß sie einem Manne gefolgt sei, – so leicht kann auf ein edles natürliches Gefühl ein dunkler Schatten fallen.

Ich schied von den Rappisten mit herzlichem Bedauern, daß soviel Einsicht, Kraft und Edelmuth, so ächt religiöser Sinn auf Bahnen gekommen, auf welchen sie von der übrigen Welt sich abschieden, um einsiedlerisch, ohne ein großes wohlthätiges Resultat ihres Wirkens zu hinterlassen, langsam zu verwelken.

Der alte Rapp verschied nicht lange nach meinem Besuche zu Economy. Schon damals war das stille Absterben der Gemeinde sichtbar. Die Musik, unter deren fröhlichem Schalle sonst die Gruppen arbeiteten, ließ sich immer seltener hören, das Museum mit seinen Büchern und Naturalien stand öde und verstaubt, die Buchdruckerpresse arbeitete nicht mehr. Nach einigen Jahren werden noch ein paar Greise auf dem Friedhofe der Rappisten stehen und sich darüber zu trösten suchen, daß das ungeheure Vermögen, welches sie einst mit ihren Brüdern und Schwestern aufhäuften, zu keinem der großen Zwecke gedient hat, zu denen es einst ihr „lieber Vater“ bestimmte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II