Abschnitt 1

IV.
Rappisten.


Unter strömenden Regen fuhr ich von Pittsburg den Ohio hinab. Der Fluß ging hoch, Dampfschiffe brauseten in Menge vorbei, früher gehört als gesehen; denn Regen und Nebel verhingen Fluß und Ufer mit dichten Schleiern; nur wenn ein Windstoß sie Verriß, tauchte eine Ortschaft hervor oder eröffnete sich eine steile Schlucht. Vor uns qualmte ein stattlicher Dampfer, seine Rauchwolken zogen einen langen braunen Strich in die weißen Nebel hinein. Unser kleines Boot nahm paffend und stoßend seinen besten Anlauf und überholte zuletzt den Vormann unter lautem Beifall der Reisenden. „Wir schlagen sie!“ riefen die Amerikaner und rieben sich vor Freude die Hände. Die Leute des Westens brauchen noch viel mehr, als die Ostleute jenseits der Alleghanies, in ihren Ausdrücken das Streit- und Lebenslustige, Witz- und Bilderreiche, was die Sprache jedes jungen Volkes auszeichnet. Nach anderthalbstündiger Fahrt wurde ein Boot für mich ausgesetzt. Die kleine Nußschale flog auf den tobenden Wellen hin und her, und das Wasser schlug über den Rand. Ich dachte jeden Augenblick, entweder ich muß in den Fluß oder mein Gepäck. Endlich stießen wir ans Land, ich watete den Uferschlamm hinauf, meine Sachen waren rasch ausgesetzt, das Boot schoß wieder in den Nebel hinein, und da stand ich im Regen und sah nach der steilen Höhe, über deren Rand einige Rappistenhäuser blickten. Ich trug aus den anspülenden Wellen mein Gepäck unter einen Baum und eilte die Treppe hinauf.


Viel Widerwärtiges hatte ich über die Rappisten gehört, die Deutschen in Amerika erzählen noch eifriger, als im Mutterlande, lieber das Schlechte von einander als das Gute. Aber gleich bei Eintreten in das Städtchen war ich überrascht von der zierlichen Ordnung. Im ersten Hause kam man ans Fenster und wies mich in reinem wohlklingenden Deutsch an den Wirth, der sogleich mein Gepäck heraufholen ließ. Die Leute sahen mild und freundlich und auch recht wohl aus, ruhiges Glück lag in ihren Augen. Dabei zierte sie ein angenehmes, ja gebildetes Benehmen, obgleich die Männer nur in blaues grobes Tuch, kurze Jacken mit kleinen breitkrämpigen Hüten, und die Frauen etwas klösterlich in die dunklen Farben der würtembergischen Bauerntracht gekleidet sind. Im Gasthause war alles sauber und nicht ohne Behaglichkeit, jeder kleine Dienst wurde mit einer stillen Freundlichkeit geleistet, die ihn doppelt angenehm machte. Den Nachmittag brachte ich bei dem Faktor der Gemeinde zu, Romelius Langenbacher, der nach Rapp der Bedeutendste war. Er bewirthete mich mit Trauben und selbstgekeltertem Wein, und erzählte mir die Leiden und Kämpfe, das Glück und die segensreichen Erfolge der Gesellschaft von ihrem ersten Entstehen an. Ich bekam Achtung vor diesen muthvollen und redlichen Menschen, welche als arme schwäbische Bauern sich blos durch eigne Kraft und durch ihr Gottvertrauen bis zu dieser Bedeutung erhoben, wo sie wahrhaft Wohlthäter des Landes wurden und dessen Augen auf sich zogen. In meinem Buche „Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika“ habe ich über die sozialen Einrichtungen, Schicksale und Verdienste dieser höchst merkwürdigen Sekte das Nähere berichtet. Abends unterhielt ich mich mit meinen Wirthen. Es kamen die Frauen heim und ich lauschte mit Lust dieser herzigen Sprache, deren milde Töne ich lange nicht mehr gehört hatte. In ihrem ganzen Thun und Wesen drückte sich ächte sittliche Güte aus und eine freudige Hoffnung auf das himmlische Jenseits. Auf meine Frage, wer denn nach ihrem Aussterben die Millionen ihres Vermögens erhalten solle? – antwortete der Schenkwirth ärgerlich: „Ei, das lassen wir dem Staate.“ Sie nehmen leicht eine Frage als vorwitzig auf. Ich fühlte mich heimisch wie unter den liebsten Landsleuten, und dennoch fremd, fremder als unter einem Volke mit anderer Sprache, denn hinter dem allen stand das Geheimniß ihres religiösen Glaubens, welcher diesen Herzensfrieden, diese herrlichen Früchte gemeinsamer Arbeit und gemeinsamen Eigenthums, aber auch das Gelübde der Ehelosigkeit und die einsiedlerische Abgeschlossenheit hervorgebracht hatte.

Am frühesten Morgen tönten verschiedene Glocken, welche die Gruppen zum Gebet und zur Arbeit riefen. Hier war alles schon in Thätigkeit, während über den amerikanischen Städten und Dörfern noch der Schlaf lag; die Wagen fuhren, die Fabriken ließen sich hören, und die sich begegnenden begrüßten sich freundlich wie Geschwister. Das reinliche Städtchen liegt mitten in einer kleinen höchst fruchtbaren Ebene, rings mit den angenehmsten Höhen umgeben, von welchen klares Wasser durch die Straßen läuft. Der Ohio fließt vorbei in einer achtzig Fuß tief eingerissenen Schlucht, an seinem andern Ufer erhebt sich wie ein Gebirgszug eine herrlich begrünte Waldhöhe. Nach dem Frühstück holte mich Langenbacher ab. Wir besahen zuerst den Viehreichthum. Nie habe ich so schöne Ochsen und Rinder, Woll- und Borstenheerden gesehen, auch die Pferde waren größer als gewöhnlich. Das Vieh wurde aber auch mit zarter Sorgfalt und Zuneigung gepflegt, jedes größere Stück hatte seinen Namen und lief auf Anruf herbei und leckte uns sanft und zutraulich die Hände. Auch darin war ein Meisterstück geleistet, und ich wurde darauf aufmerksam gemacht, wie der Mensch es vermöge, die Thierwelt freundlicher und verständiger zu machen. Darauf gingen wir durch die landwirthschaftlichen Gebäude, die Tuch- und Seidenwebereien, und die Werkhäuser der verschiedenen Gewerbe. Die ganze Stadt, jedes Haus und Geschäft ist nach einem wohl durchdachten Plane angelegt, was einander nöthig hat findet sich beisammen, die Gemeinschaft greift in einander wie ein kunstvolles Räderwerk. Nachdem bereits an andern Orten Ansiedlungen nach dem Gemeinschaftsplane errichtet, und das Beste durch die Erfahrung nach und nach erprobt war, wurde hier in Economy alles auf das Zweckmäßigste angelegt. Die ganze Einrichtung verdient, zum Muster für künftige Anlagen bis in’s Kleinste hin gezeichnet und dargestellt zu werden. In einer langen Reihe von Jahren sind allmählich die kunstreichsten Maschinen entstanden, jedes Jahr wurde eine neue Verbesserung ausgedacht. So hebt eine Dampfmaschine Flußwasser aus dem Ohio und gesundes Trinkwasser noch zehn Fuß tiefer herauf. Nachdem der Dampf zur Wäsche, zur Wärmung verschiedener Fässer, zum Farbenreiben und noch zu vielen andern Vorrichtungen gedient hat, wird er wieder zu Wasser verdichtet und geht mit einem kleinen Zusatz frischen Wassers in die Kessel und Röhren zurück, diese bleiben dadurch Jahre lang von Schmutz frei, weil das Wasser jetzt von kalkigen und erdigen Stoffen gereinigt ist. Der neue heiße Dampf treibt die Mahlmühlen, dörrt das Mehl, so daß es sich fünfzehn Jahre lang aufbewahren läßt, und dient zugleich zur Heizung und zum Betriebe der Zeug- und Tuchwebereien und anderer Gewerbe. Diese schwäbischen Bauern fanden durch Nachdenken und Probiren nach und nach das Beste und zugleich Einfachste heraus, es ist kein Gewerbe, in welchem sie nicht die ausgezeichnetsten Waaren lieferten. Sie ließen aus Frankreich Mühlsteine, aus Spanien Schafe, aus England Rinder, aus Deutschland und vom Cap Weinreben kommen, veredelten die Viehzucht, den Feld-, Garten- und Obstbau und die Pflege der Seidenwürmer, und stellten in allen diesen Beziehungen die feinsten Proben an, was der amerikanische Boden leisten könne.

Wohin wir zu den arbeitenden Gruppen kamen, überall empfing uns die stille Höflichkeit des guten Herzens. In der Seidenfabrik arbeiteten einige junge Mädchen, Unschuld und Freudigkeit der Seele sprach aus den anmuthigen Zügen. Mit weichen lieblichen Stimmen sangen sie ein Lied. Die meisten aber, die ich sah, waren Greise und Greisinnen; wer noch nicht fünfzig alt, gehörte noch zu den Jungen. So arbeiteten sie zusammen, wenig plaudernd, ruhig sinnend den ganzen Tag, ohne Leidenschaft und ohne Kummer. Um das Leben dieser Leute zu verstehen, muß man die Apostelgeschichte lesen. Merkwürdig war auch, wie gut der alte Rapp jedes Gemeindeglied kannte und an seinen richtigen Platz stellte. Die ernsten Leute waren in den Fabriken, die lebhafteren bei dem Feldbau beschäftigt. Langenbacher galt auch außerhalb Economy’s für einen höchst gescheidten Handelsmann; der Schenkwirth im Gasthause erzählte gern und las Zeitungen, blieb aber immer würdevoll und gemessen; der Tafelmeister war ein freundlicher Alter, der nichts lieber hatte als wenn man seine Speisen lobte; der Stallmeister machte gern einen lustigen Witz, war neugierig wie eine Elster und betrachtete sich Welt und Menschen mit möglichster Behaglichkeit und Gemüthsruhe. Am Abend kam ein betrunkener Amerikaner in das Gasthaus, er erklärte, er habe keinen Cent, und wollte doch in roher Manier den Herrn im Hause spielen. Jeder andere hätte ihn vor die Thüre geworfen, hier aber behandelte man ihn ernst und liebreich und brachte ihn zur Ruhe. Lachen aber mußte ich, als auch ein paar deutsche Handwerksburschen ankamen, und bei den gastfreien Rappisten Nachtquartier und Zehrpfennig zu finden; auf die freundlichste Weise wurden sie zum Holzsägen genöthigt, und obgleich sie anfangs sich muthwillig und linkisch dabei anstellten, wußte ihnen der Tafelmeister so nett zuzureden, daß sie sägten mit Lust und Eifer.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II