Abschnitt 1

V.
Cincinnati.


Nachdem ich in Economy ein paar lehrreiche Tage zugebracht hatte, gaben mir zwei Vorstandsmitglieder der Rappisten bis unten an den Fluß das Geleit, um mir zu helfen ein Dampfboot anzuhalten. Der Ohio fluthete voll und stark daher, das erste Schiff schoß vorüber, erst das zweite antwortete auf unser Tücherschwenken mit der Glocke, denn zum Glück lagen auch eine Anzahl Fässer am Ufer; bloß um einen Passagier hätte der Dampfer nicht erst den weiten Bogen gemacht, der nöthig war um das Fahrzeug gegen die rasche Gewalt der Wellen anzustemmen. Ein Kahn wurde zum Ufer getrieben, ich sprang schnell hinein, mußte aber erst eine Ladung von Matrosenflüchen aushalten, weil die Fässer nicht mitkamen. Am Bord wurde ich mit lautem Gelächter empfangen auf Kosten des getäuschten Kapitäns, der aber bald mitlachte. Es war im Dezember, der unaufhörliche Regen der letzten Woche hatte alles flott gemacht, und die Menge der Dampfschiffe und kleineren Boote, an welchen wir vorüber flogen, steuerte lustig durch die Massen von losgerissenem Holz und Baumwerk, welches auf den gelben Fluthen sich tummelte. Die Schiffe gingen haarscharf aneinander vorbei, anfangs erschrickt man, später läßt die Gefahr uns gleichgültig, und man gewöhnt sich an die Denkungsart der Amerikaner, welche lieber zehn Schiffe versinken oder in die Luft fliegen sehen, als daß hundert ungebaut bleiben. Auch das grobe Versehen der Kapitäns und Lokomotivführer findet bei den Geschwornen leicht Gnade, weil sie wohl wissen, daß durch Strenge der Polizei oder des Gerichts das schaffende Drängen des Verkehrs gelähmt würde.


Die Flußgestade waren sehr schön, lange steile Bergwände untermischt mit kleinen Kuppen, selten eine Thalöffnung, an beiden Ufern zwei Bänke von aufgeschwemmtem Lande (Bottom) über einander. Die Windungen des Ohio bildeten prachtvolle Seen und dunkle Einfahrten. Aber alles das blieb fast immer dasselbe zwei volle Tage lang, nie kam ein bischen Abwechselung als hie und da eine Stadt oder Ansiedlung. Regelmäßig trifft man auf eine größere Stadt, wo ein Fluß in den Ohio einmündet und zu beiden Seiten Bottomland abgesetzt hat; wo dieses nur eine kleinere Bucht in die Uferhöhen hinein macht, liegt wenigstens ein Städtchen. Die Ortschaften sehen sich ähnlich wie ein Ei dem andern, nur in Gallipolis, der ältesten Stadt am Ohio, fallen dunkle Steinhäuser ins Auge. Diese rühren noch aus der Zeit her, wo die Franzosen „den schönen Fluß“ befuhren und ganz ernstliche Anstalten machten, das englische Gebiet mit einem Gürtel von Forts zu umziehen und dessen Ansiedler vom Westen abzuschneiden. Hier auf diesen unermeßlichen Gebieten war Raum für französische weit fliegende Pläne, wie fast spurlos ist alles verflogen!

Weil der eisig kalte Wind, sobald man oben auf das Hochdeck kam, Rauch und Regen einem ins Gesicht peitschte, war ich meist auf die Kajüte angewiesen; aber hier war es still und frostig einen Tag wie den andern. Da sich die Leute vom Morgen bis zum Abend mit Langerweile beschäftigt, so konnte man genug lesen, schlafen oder auf das vorbeifliegende Ufer starren. Die stummen Sykamoren, zierlich umhangen von Schlinggewächsen und deren weißen Perlbüschelfrüchten, gaben mehr Unterhaltung, als die Gäste der Kajüte.

Am dritten Morgen waren wir vor Cincinnati. Vergebens sah ich mich um nach „der Königin des Westens,“ was vor mir lag war nicht einmal prächtig, die Werfte berghoch, oben wieder der gewöhnliche Wall von Geschäfts- und Trinkhäusern und fensterlückigen Baracken, und dahinter das bekannte Häuserschachbrett. Die Straßen der Stadt sind aber recht freundlich, weil Baumgrün sie belebt und fast überall am lichten Ende Fluß oder Hügel erscheint; von Palästen jedoch ist wenig zu sehen. Statt des prachtvollen katholischen Domes, der sich hier erheben sollte, brachte man in kolossalen Verhältnissen nur eine steinerne Schäferhütte fertig, in deren nackten Wänden sich große viereckige Fensterlöcher befinden; auch das Innere des Domes ist kahl und schmucklos wie die englischen Bethäuser. Selbst in dieser katholischen Kirche hatten Musik und Gesänge etwas Opernhaftes, und der Bischof predigte immer im vollen Ornat. Aber auch in seiner jetzigen Gestalt erhebt sich der katholische Dom stolz und gewaltig über die wahllosen kleinen Sektenkirchen, ein Abbild der mächtigen Einheit der katholischen Kirche, welche den ganzen Erdball umfaßt. Die Freimaurer haben eine weite Halle, welche mit ein wenig unverständlicher Gothik verziert ist. Die Gasthöfe sind ausgedehnte Gebäude, und eine Anzahl großer Privathäuser nicht ganz ohne guten Geschmack gebaut. Sehenswerth bleibt noch immer die Halle, welche einst Frau Trollope errichtete, um darin den Damen von Cincinnati modische Kleiderstoffe vorzulegen. Als die alte Engländerin mit ihrer Geschmacksveredlung schlechte Geschäfte machte, schrieb sie aus Aerger ihr Buch, halb Zerrbild halb Wahrheit. Es erhält sie aber noch jetzt in so lebhaftem Andenken, daß sie in Cincinnati sich nicht dürfte blicken lassen, wenn ihre Augen ihr lieb wären. Ueber sie, Marryat, Dickens und die andern Engländer, welche den Amerikanern so viel böse Dinge nachgeredet, hörte ich dafür zur Rache eine ganze Folgereihe von kleinen Schandgeschichten erzählen. Es fällt aber auch wirklich gerade dem Engländer schwer, gegen die Amerikaner gerecht zu sein, weil er einmal in den engen und starren Anstandsbegriffen seiner Landsleute eingerostet ist.

Cincinnati hat auch nicht einmal freie Plätze oder Parks, bei der Anlage der Stadt dachte man nicht daran, und auch jetzt fühlt man höchstens das Bedürfniß, auf den Landhäusern des Sommers das sinnlich Angenehme der Natur zu kosten. Die Amerikaner haben überhangt merkwürdig wenig Natursinn. So unfähig die meisten sind, Schönheitsfülle und Ideengehalt einer Beethovenschen Symphonie von einem lustigen Walzer zu unterscheiden, so selten trifft man einen darunter, der das gewaltige und geheimnißvolle Leben der Natur und ihre leisen Glockentöne in sich vernehmen könnte. Auch den Alten ging dieser tiefere Natursinn ab, sie hatten zu viel leibhafte Götter in der Natur, die Amerikaner haben zu wenig darin.

Niemals traf ich daher auf den herrlichen Höhen am Ohio einen ächten Amerikaner, der an dem prachtvollen Landschaftsbilde zu seinen Füßen die Augen geweidet hätte. Cincinnati ist von einem weiten Ringe sonniger Waldhügel umbogen, in deren reizenden Vertiefungen die Blicke sich verfangen. Der hellspiegelnde Ohio durchzieht die Rundfläche, am einen Ufer breitet sich Cincinnati aus, gegenüber kommt aus einem weit geöffneten Thale der Licking herbei, an dessen Mündung sich zwei Städte, aus der einen Seite Covington, auf der andern New-Port, gebettet haben. Von den Hügeln herab erscheint die Rundfläche tief in das Land eingeschnitten, nach noch einem Menschenalter wird sie wohl eine halbe Million Menschen beherbergen. Einen ansehnlichen Theil dieses jetzt so unschätzbaren Bodens tauschte der alte Longworth, ein noch lebender Bürger von Cincinnati, einst für zwei kupferne Branntweinblasen ein. Den Ohio auf und ab glänzen die weißen Landhäuser zwischen dem Ufergebüsch, auf der Kentuckyseite winken die dunkeln Waldungen, auf der Ohioseite die zahllosen Weinfelder. Die Rebenpflanzungen vermehren sich so rasch, daß die Weingärtner mehr Geld ziehen aus dem Verkauf der jungen Schößlinge, als aus Wein und Trauben. Die Mäßigkeitsgesellschaften gehen freilich in ihrem fanatischen Eifer so weit, daß sie den Anbau des verführerischen Weines ganz verhindern wollen; aber zum Glück ist von unsern deutschen Landsleuten schon auf so vielen Hügeln und Aeckern die edle Rebe eingebürgert, daß sie nicht mehr auszurotten ist. Wie manch schönen Abend habe ich in den Weingärten vor den niedlichen Häusern, von Reben umblüht, mir den kühlen Wein schmecken lassen, wenn des Tages Sonnengluth überstanden war und mit den Millionen Glühfliegen sich der Duft der Kräuter und Wälder erhob. Die helle amerikanische Luft greift die Nerven an und die schwüle Tageshitze preßt auf den Geist, daß er nur an das Nächste denkt, aber Morgens und Abends ist diese Luft von lieblichem Aether und Wohlgeruch erfüllt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II