Abschnitt 3

III.
Landreformer.


Es hat sich aber in der neuern Zeit aus den Nationalreformern eine andere Partei herausgeschieden und selbstständig organisirt, welche über die Forderungen der ersteren hinausgeht und sich zum Unterschiede die Sozialreformer nennt.


Die Nationalreformer wollen für jede Familie ein freies sicheres Eigenthum, dessen Werth und Erzeugnisse auf keine Weise verkümmert werden sollen durch die Spekulationen der Geldreichen und durch das, was die Reformer Monopole der letztern nennen, als Banken, Schutzzölle, indirekte Steuern. Neben dem wohlbegründeten Eigenthum wollen sie die Möglichkeit für jedermann, sich durch freie Schulen jede Art niederer und höherer Bildung zu verschaffen. Da die „Freiheit“ bereits Gemeingut der Bewohner der Vereinigten Staaten sei, so halten sie, sobald jene beiden andern Forderungen gewährt seien, auch „Wohlstand“ und „Bildung“ für jedermann gewährleistet. Weiter, glauben sie, dürfen politische Gesetze nicht eingreifen, das Uebrige müsse der Arbeit und Klugheit jedes Einzelnen überlassen bleiben.

Anders dagegen die Sozialreformer. Sie stimmen in der Boden- und Schulfrage mit den Nationalreformern überein, deren übrige Forderungen aber halten sie für unpraktisch, weil sie doch nicht zum Ziele führten. Sie wollen statt dessen der Sache auf den Grund gehen und die Bedingungen zum Reichwerden des einen und zum Verarmen des andern abschneiden. Sie verlangen deshalb Organisation der Arbeit und Tauschassoziationen. Die Arbeiter sollen sich zusammen thun, Werkstätten errichten, Maschinen ankaufen und für sich arbeiten lassen, Magazine und Läden gemeinschaftlich halten, ihre eigenen Banken anlegen, und sich mit Krämern, Wirthen, Ackerbauern assoziiren, um ihren Geldmarken Kredit und ihren Erzeugnissen Abnehmer zu verschaffen. Dadurch soll die bestehende Uebermacht des Kapitals gebrochen werden. Zugleich soll vermittelst der Tauschassoziationen und Tauschbanken ein unmittelbarer Verkehr zwischen Produzenten und Konsumenten hergestellt und dadurch aller Zwischenhandel, weil dieser nur auf Kosten des Arbeiters vor sich gehe, brach gelegt werden.

Diese Partei zählt bis jetzt fast nur unter den jungen Handwerkern und Fabrikarbeitern ihre Mitglieder. Sie ist thätig und rührig in der Verbreitung ihrer Prinzipien; von ihren Führern werden nicht selten die Redner der Nationalreformer zu öffentlichen Wortkämpfen herausgefordert, welche dann stundenlang unter lebhafter Theilnahme der Zuhörer statthaben. Auch praktische Versuche sind von den Sozialreformern bereits vielfach gemacht. In einigen größern Städten hat sich hie und da eine Schaar junger Handwerker zu gemeinschaftlichen Werkstätten und zum Verkauf ihrer Erzeugnisse auf gemeinschaftliche Kosten vereinigt. Es können aber solche Unternehmungen nicht recht aufkommen, theils weil der Mangel an Kapital nicht sobald zu ersetzen ist, theils weil sie bei ihrer eigenen Schwerfälligkeit von dem raschern Umschwunge des großen Verkehrs wieder erdrückt werden. Die große Masse der amerikanischen Bürger wendet sich noch mit Unwillen von den Sozialreformern ab, und ist der Ansicht, daß ihre Grundsätze den Nerv des amerikanischen Lebens, den Handel, gefährden, daß sie aber niemals Macht gewinnen würden, weil der eigene Grundbesitz regelmäßig auf andere Gedanken führe. Die junge Partei läßt sich dadurch nicht irre machen. Sie findet in Amerika freien Raum, die Wirkungsweise ihrer Grundsätze darzuthun. Der Staat hilft ihnen nicht, aber er verbietet ihnen auch Nichts, so lange sie nicht in die Rechte anderer eingreifen. Jeder Gedanke an eine gewaltsame Durchführung ihrer Pläne würde sie nur lächerlich machen. Gelingt es ihnen, etwas Gescheidtes und Nützliches den Uebrigen leibhaft vor Augen zu stellen, so finden sie Hülfe und Theilnahme in Menge. Scheitern ihre Bestrebungen an der eigenen Unfähigkeit oder daran, daß sie Unmögliches wollen, so zergeht die Sache ebenso rasch und spurlos, wie schon so manche Seifenblase in Amerika zersprungen ist. Bis jetzt spricht der Erfolg allerdings noch deutlich gegen die Sozialreformer.

Noch schneller und unerbittlicher hat der Erfolg die sozialistischen Ansiedlungen gerichtet. Schon frühzeitig wurde in Amerika versucht, Ansiedlungen nach den Grundsätzen der gemeinsamen Arbeit in Gruppen, und des gemeinsamen Eigenthums mit gewählten Verwaltern, anzulegen. Die That sollte den Beweis führen, welche Fülle von Lebensglück und Frieden sich die Menschen durch Annahme solcher Grundsätze verschaffen könnten. Diese sozialistischen Ansiedlungen scheiden sich in zwei Klassen.

Die erste Klasse hat bis jetzt noch überall Fiasko gemacht. Sie begreift die Ansiedlungen, welche zwar auf Bruderliebe und Erkenntniß des gemeinsamen Vortheils gegründet waren, jedoch des streng religiösen Verbandes entbehrten. Ihrer wurden mehrere im Westen des Staates Pennsylvanien und in den neuen weiter westlich gelegenen Staaten angefangen, und noch fortwährend werden dort einzelne Versuche gemacht. Aber immer zerfielen und verschwanden sie sehr bald. Die Bruderliebe hielt nicht Stich unter den Mühen und Drangsalen, welche die erste Einrichtung in wilder Gegend fordert, und der gemeinsame Vortheil löste sich auf in Selbstsucht und Hetzereien, woran das Ganze regelmäßig zu Grunde ging. Es scheint wirklich für den Menschen der bisherigen Gesellschaft zu schwer, den alten Adam auszuziehen und in einer Lebens- und Denkungsweise praktisch zu verharren, welche seinen anerzogenen Gewohnheiten widerspricht. Die berühmteste dieser Ansiedlungen war die von Owen, welcher die Kolonie der deutschen Rappisten am Wabash in Illinois im Jahre 1824 kaufte. Von allen Seiten strömten ihm Männer und Frauen aus den gebildeteren Ständen zu, mit frischer Thatkraft, mit Herzen voll Liebe und Aufopferung; aber die Einöde, das Hacken und Pflügen, das Melken und Waschen, und vor allem die Unmöglichkeit, sich an allerlei Menschen brüderlich zu gewöhnen, führten bald zur Auflösung. Gleich auf der ersten amerikanischen Landspitze, die der Ankömmling aus Europa gewöhnlich erblickt, lebt eine fourieristische Gesellschaft, die „Phalanx.“ Ihre Mitglieder, etwa hundert, bebauen gemeinschaftlich eine große Farm, die Damen tragen bei der Arbeit knappe Jacken und Höschen. Der Arbeitswerth eines jeden wird aufgerechnet gegen den Werth dessen, was er verbraucht, und der Ueberschuß getheilt zwischen den Arbeitern und dem Kapitalisten, dem die Grundstücke gehören. Der letztere zieht vielleicht noch einige Jahre seine Prozente und macht der Gesellschaft ein Ende, wann sie ihm die Farm in einen blühenden Zustand gesetzt hat. Daß nun gar Cabet kein Ikarien gründen werde, wurde von allen vorausgesagt, welche die Arbeiten und Leiden einer ersten Ansiedlung und die Natur der Franzosen kannten. Cabet’s nackter Atheismus konnte am wenigsten den Amerikanern gefallen. Nach mancherlei mißlungenen Versuchen sitzt der Ikarier jetzt in Nauvoa und schaut in die Zukunft, auf jenes unermeßliche Feld, das sich ungehindert mit Wolken von Gedanken bevölkern läßt.

Gedeihen hatte dagegen die zweite Klasse der sozialistischen Kolonien, nämlich diejenigen, welche auf der Grundlage eines religiösen Sonderglaubens und unter der Autorität eines von den Ansiedlern verehrten Sektengründers errichtet wurden. Ansiedlungen dieser Art haben die Shaker und die Mormonen in größerer Anzahl zu Stande gebracht, und man kann nicht verkennen, daß trotz der religiösen Verrücktheiten durch das Prinzip der Gütergemeinschaft von ihnen Bedeutendes geleistet ist. Von der vortheilhaftesten Seite haben sich die Deutschen gezeigt, wie die Rappisten, die preußischen Separatisten in Ebenezer bei Buffalo, die schwäbischen in Zoar im Staate Ohio, die Jünger von Keil in Bethel in Missouri. Die erste und berühmteste dieser Ansiedlungen liegt am Wege von Pittsburg nach Cincinnati.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II