Es war drei Uhr Morgens, als ein scharfer Steinkohlengeruch und das Rasseln des alten Wagenkastens ...

II.
Pittsburg.


Es war drei Uhr Morgens, als ein scharfer Steinkohlengeruch und das Rasseln des alten Wagenkastens mich aus dem Schlafe weckte. Wir waren auf den Straßen von Pittsburg. Da ich in der Schenkstube Licht und warmen Ofen fand, und der Schlaf entflohen war, beschäftigte ich mich mit Lesen. Von Zeit zu Zeit kam ein Nachtschwärmer herein, der seinen flauen Magen mit einem Glase Brandy anregte. Fanden sich ihrer zwei zusammen, kam gleich die Rede auf einen bedeutenden Bankerott, der in diesen Tagen bei einem Pittsburger sich eingestellt hatte. Man bedauerte den Mann der das Unglück gehabt, und rühmte, wie viel Quellen des Wohlstandes für das Land sein unternehmender Geist neu eröffnet habe. Der Amerikaner denkt bei Anlässen der Art nicht an die Verluste, welche so viele Familien leiden, sein Blick fällt gleich auf die Ausdehnung des Gebiets, in welchem eines Mannes Handelsgeist schöpferisch gewirkt hat. Das Zimmer, in welchem ich mich befand, war im ersten Gasthause und stattlich ausgeschmückt, aber alles hatte darin das unangenehme Aussehen des Verwohnten und Verbrauchten. Sobald nur ein wenig Tageshelle an die Fenster flog, machte ich mich hinaus auf die Straßen. Aber da wälzten sich Wolken von Rauch und Nebel so dick und tief durch einander, daß man keine drei Schritte weit sehen konnte, die Leute schienen sämmtlich schmutzige Wäsche zu tragen. Ich sprach einen jungen Mann an, der mich freundlichst zu den großen Eisengießereien führte und sich im Gespräch als einen Abkömmling der hessischen Soldaten zu erkennen gab.


In den Pittsburger Fabriken kann man sich acht Tage lang umsehen und findet immer noch viel Neues. Ueberall, in den weiträumigen Eisengießereien, den Eisenwalzwerken, den Werkstätten für Maschinen, Glas und Baumwolle, und in der Menge anderer Fabriken wird der Fremde bewillkommt und gern umhergeführt und unterrichtet. Es sieht sich gar zu hübsch an, wie der Mensch so leicht und spielend die ungeheuern Kräfte und Stoffe der Natur behandelt, wie die Ströme glühenden Metalls hervorschießen und sich rasch in die vorgeschriebenen Formen fügen: die Natur wird wie ein ungeheurer Riese gelehrt und gezwungen, dem klugen Menschen so artig und nach dem Takte ihre Dienste zu leisten. In den Nägelfabriken machte ein Mann fünfzig Nägel in der Minute, er hatte dabei nichts zu thun als den Eisenstab in die Maschine zu halten, welche ihn mit ein paar immer richtigen Schlägen zurecht formte. Die Fabrikation des Nagels, die sich so nett und klein übersehen läßt, scheint eine besondere Liebhaberei gewesen zu sein, in der Patentkammer zu Washington sah ich mehr als hundert verschiedene Modelle dafür. In den Wollfabriken arbeiteten junge Mädchen, wohlgekleidet und freundlich, bleiche Armuth sah man auch hier wohl, doch sehr wenig im Vergleich zu Fabrikstädten in Europa. Die ungeheuren Maschinen, welche die Wasserwerke treiben, sind in Pittsburg wie in allen großen Städten der Vereinigten Staaten sehenswerth. Die hierzu gehörenden Gebäude zeichnen sich durch Form und Festigkeit vor den Fabrikgebäuden in der Stadt und Nachbarschaft aus, diese haben meist nur ein schwarzes und wüstes Aussehen; man baut hier nichts, als gerade das Allernothwendigste, um wenig Geld auszugeben und rasch viel zu gewinnen. Von dem zierlichen Geschmack, mit dem in Europa der Fabrikant seine Werkgebäude anlegt und es sich darin recht heimisch macht, zeigen sich hier erst schwache Spuren.

Von den Häusern und Flußthälern sah ich nur dann und wann halbe Umrisse, wenn der Wind die Rauchwolken niederwälzte. Es war gerade wie in Birmingham, wo der Wind ewig den Rauch in die Augen bläßt. Pittsburg hat jetzt Steingebäude, wo früher nur Holzhäuser standen, eine große Feuersbrunst räumte mit letztern aus. Vielleicht kommt noch einmal ein großes Feuer und darauf die dritte verbesserte Auflage der Stadt. Des Nachmittags ging ich auf den Granthügel, um welchen sich die Stadt gelagert hat, aber es war nicht möglich, durch die Rauchschichten, die selbst bis hier oben hinreichten, hindurch zu sehen. Nur was einige Schritte unter mir lag, konnte ich wahrnehmen und mußte hin und wieder gehen, um aus Anblicken, die ich stückweise erhaschte, mir ein Bild der Gegend zusammenzusetzen; dies war aber, wenn gleich immer noch unklar, doch voll von Herrlichkeit. Gegen Abend, als es eine Weile ernstlicher geregnet hatte, und ich gerade auf der Landspitze zwischen den drei Strömen stand, erhellte sich auf einmal die Aussicht in die drei Flußthäler so wunderbar schön, daß ich auf der Stelle beschloß, hier in Pittsburg länger zu verweilen. Aus dem Lärm des großen Gasthauses siedelte ich über zu einem deutschen Hause an der Landung, wo ich eine stille recht behagliche Stube hatte mit der Aussicht auf den Fluß und die drüben liegenden Berge und Städte. Als es dunkel wurde, nahm sich die Reihe der Dampfschiffe unter meinen Fenstern prächtig aus in ihrer Beleuchtung, es war eine lange Kette von beweglichen Lichtern; dazwischen hörte man das Brausen und Wellenschlagen der überfahrenden Dampfer. Es lagen mehr als vierzig Dampfschiffe neben einander und darunter zehn, welche gleich auf dem Wasser gebaut wurden. Sieht man das leichte Geripp dieser Schiffe, so sollte man es kaum für möglich halten, daß sie auf den mächtigen Strömen nicht auseinander gehn, sie schwimmen aber nur eben darüber weg und brauchen auch nur ein paar Jahre zu halten. Es wurden auch eiserne gebaut, ich war des Nachmittags im Bauche eines großen Dampfschiffs und einer Brigg der Art; stark genug mögen diese eisernen Fahrzeuge sein, aber auch, des durch Sonnenstrahlen erhitzten Metalls gar nicht zu denken, unbehaglich genug, da statt der Fenster nur runde kleine Oeffnungen eingeschnitten sind. Auch auf den großen Werften der Seestädte schien es mir, als könnten die Amerikaner, die im raschen Fahren die Meister sind, in Festigkeit ihrer Schiffsbauten mit den Europäern sich noch nicht messen.

Am andern Tage war zum Glück Sonntag und die wahllose Menge der Schlote hörte auf Rauchwirbel auszustoßen, die Gegend wurde klar. Sie ist wirklich zum Entzücken. Man muß bedauern, daß die Amerikaner ihre große Fabrikstadt gerade an diese herrliche Stelle gesetzt haben. Freilich ist Pittsburg auch sehr zum Handel gelegen und recht in der Mitte der reichsten Kohlenberge. Zwei Flüsse, der Monongahela und der Alleghany, fließen hier zusammen, schneiden, da sie im spitzen Winkel aufeinander stoßen, eine Landzunge aus und strömen mit vereinigten Gewässern als Ohio weiter. Auf der Mitte der Landzunge erhebt sich der Granthügel zu bedeutender Macht, auch auf der nicht den Flüssen zugekehrten Seite ist er steil durch ein Tiefthal von den benachbarten Höhen abgeschnitten. So sieht man oben nach allen Seiten in reichblühende Thäler hinein, und sie geben ein um so mannichfaltigeres und zugleich abgeschlossenes Bild, als sie schräg aufeinander stoßen, und ihre Wände drüben ebenso steil und hoch als hellgrün sind, dazu geschmückt mit farbigen Felsen und hellen Landhäusern. Die Natur hat diesen Ort zum lieblichsten Aufenthalte zwischen Wasser, Grün und Felsen, die Amerikaner haben ihn zum schmauchigsten Platze von der Welt gemacht. Auf dem Granthügel werden vortreffliche Backsteine bereitet, in Deutschland hätte jeder einzelne Fabrikherr eine solche Höhe mit so wundervollen Aussichten durch Anlagen geziert, den Amerikanern steht sie nur im Wege. Die Stadt klimmt von der Spitze der Landzunge allmählig die Höhe hinauf, der untere Absatz ist bereits eingenommen, und auf seiner Mitte erhebt sich massenhaft das prächtige Gerichtshaus. Wie so häufig in Amerika, hat der eine Fluß helles, der andere gelbliches Wasser, man überschaut von hier oben noch eine Strecke weit im Ohio den Strich zwischen gelbem und grünem Wasser. Auch jenseits der beiden Flüsse sind schon breite Flächen dicht mit Häusern und Fabriken besetzt; es wird Pittsburg gehen wie Newyork, die Nebenstädte drängen sich nach und nach zur Hauptstadt, bis sie mit ihr ein Ganzes ausmachen, welches dann von den Flüssen nur durchschnitten ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II