Ich trat in mehrere ihrer Blockhäuser ein und fand vollständigst den Hinterwäldlercharakter. ...

I.
In den Alleghanies.


Ich trat in mehrere ihrer Blockhäuser ein und fand vollständigst den Hinterwäldlercharakter. Die Leute leben einsam in dunkler Waldnacht, abgeschnitten von der Welt der geselligen Heiterkeit. Ihr Leben ist der tägliche einförmige Kampf mit der Natur, ihre Gedanken bewegen sich nicht viel weiter als bis zu dem Walddickicht, welches die offene Ackerstelle am Hause umzieht. Die Axt und die Büchse sind ihnen köstliche Schätze, Selbstvertrauen und die Bibel die einzigen Güter, aus welchen sie Trost und Gedanken in der Einsamkeit schöpfen. Die Stille und Waldöde, welche sie wechsellos umgiebt, erfüllt ihr Gemüth mit einer Art von düsterer Religiosität. Ich blieb zu Nacht in einem Blockhause bei einem Pennsylvanier-Deutschen. Das Abendessen, in welchem gebratener Speck und heißer Maiskuchen die Hauptspeise war, wurde fast lautlos eingenommen; dann setzte sich der Mann mit seinem halberwachsenen Sohne ans Feuer und kaute Tabak, eine alte Mutter saß ebenfalls da und rauchte aus einem kurzen schwarzen Stummel, die Frau des Farmers säugte ihr jüngstes Kind, die andern Kinder standen mitten in der Stube und starrten mich an, die Haare hingen ihnen um das Gesicht, ihre Blicke blinkerten scheu und doch scharf und wachsam. Obgleich der kleine Raum mit Menschen überfüllt war, blieb es doch so still darin, daß man jedes Tiktak der Wanduhr hörte. Draußen rasselte der Sturm, ich unterschied deutlich, wie die Aeste sich an einander rieben und knarrten, dann geschah ein dumpfer Krach, Waldvögel kreischten, ein alter Baumriese war vom Sturme niedergeworfen.


Auch in Deutschland hatte ich in den Hütten und Bänken der Holzfäller und Forsthüter aus dem Gebirge ähnliche Abende verlebt, aber nie fand ich dort die Menschen so unheimlich still, nie auf so weiten Strecken sie so gleichmäßig in Gesicht, Tracht und Benehmen. Dieser unzerstörbare Gleichmuth, dies schweigsame Benehmen gegen den Gast, das Hastige und kurz Abgebrochene in den Bewegungen, die Raubvogelblicke, die dunkle Hautfarbe, und dazu die kuriose Mundart, – es kamen mir plötzlich die Indianer in den Sinn, bei welchen das alles nur noch schärfer ausgeprägt ist. Auch der Hinterwäldler wird wie das Waldthier unruhig, wenn die Menschen und Städte in seine Nähe rücken, er entweicht tiefer in den Busch. Diese Pennsylvanier-Deutschen sind an Bildung nicht vorwärts, sondern entschieden zurückgekommen. Die jungen Leute besuchen häufig bis zum zwanzigsten Jahre die Waldschule, aber die wenigen Ideen, welche sie dort in sich aufnehmen, verschwimmen wieder in dem einförmigen Leben in den Wäldern. Das aber ist gerade das Wesen des Wilden, daß er kein Bedürfniß hat nach Bildung und daß ihm das bloße Daseinsgefühl genügt. Er versinkt sogleich wieder in düsteres Hinbrüten, sobald das Nöthigste gethan ist, wozu ihn der Hunger, die Kälte oder sonst ein heftiger Antrieb zwingt, während der gebildete Mensch thätig bleibt, einer Folgereihe von Ideen Ausdruck zu geben, welche sein Dasein heiterer und mächtiger machen.

Und doch war dieses Waldvolk noch deutsch, das warme Gefühl bei ihm gleichsam unter der starren Hülle noch rege, es dauerte nur lange, bis sie etwas aufthauten. Daß auch Deutsche so werden konnten, dazu half nicht bloß das öde Waldleben, sondern auch das Klima, welches dem Körper die weiche warme Fülle benimmt, und welchem die scharfen Lichter und die grellen Wechsel eigenthümlich sind. Es ließen sich indessen die alten Farmer, welche noch in ihrer halbdeutschen Abgeschlossenheit eigensinnig verharrten, bereits wohl unterscheiden von ihrem jüngeren Nachwuchs, dieser nimmt allmählig Sprache und Sitte der übrigen Amerikaner an und wendet sich mehr dem Geschäftsverkehre zu. Auch diejenigen deutschen Einwanderer, welche sich erst vor zwanzig Jahren hier angesiedelt, machten bereits gegen ihre Nachbarn aus jüngerer Zeit einen merklichen Abstich durch ein stilles und schroffes Benehmen und durch eine gewisse Härte und Trockenheit im Wesen, welche nur das unmittelbare Praktische und Nöthige, dies aber auch gleich und ganz will. Je länger im Wald, je weiter ab von europäischer Gesittung. Wie, wenn diese Waldsiedler ganz und für immer von städtischer Bildung und Geselligkeit abgeschnitten wären, würden sie nicht von selbst immer lässiger im Denken und Arbeiten werden, mit immer weniger Lebensbedürfnissen sich begnügen, und ihre Kinder halbroh, halbnackt aufwachsen lassen, bis diese das freie Umherschweifen in den Wäldern täglich mehr vorzögen und ihre Farmen nach und nach verfallen ließen? In der scharfen Luft würden die armseligen Hütten bald verwittern, das Waldgrün, welches gleich üppig wuchert, sobald es die Axt nicht mehr zähmt, würde die Trümmer der Wohnstätten überwachsen, und die europäische Kultur läge wieder vergangen und vergraben in den Wäldern Und wieder schweiften neue Indianer umher. Wenn ein paar Menschenalter in diesem Lande genügten, die Natur eines Volks so zu verändern, so liegt wenigstens nicht mehr etwas Unnatürliches in der Annahme, die Delawaren, Huronen, Mohikaner und wie sie alle heißen, seien die verwilderten Nachkommen der Norweger, welche einst an der amerikanischen Küste sich ansiedelten. Merkwürdig bleibt es immer, daß der Weiße, besonders aber der Franzose, wenn er einzeln lange unter den Indianern lebt, so leicht deren Sitte und Denkungsart annimmt. Liegt etwa in Land und Luft etwas, was diese Neigung weckt und befördert? Gewiß ist auch die Denkkraft des Menschen viel mehr von der Landesnatur abhängig, als wir uns gern gestehen wollen.

Andern Tages ritt ich nach dem Städtchen zurück und fuhr mit der nächsten Kutsche weiter. Die Aussichten wechselten auf tiefe flußbewässerte Thäler, breite hellgrüne Berglehnen und auf blaue Höhenzüge, dicht hintereinander, so weit das Auge sehen konnte. Zu Zeiten führte der Weg auf der Kante einer Bergkette hin, wo man auf der einen Seite auf blanke Ebenen hinabschaute, welche in der Ferne wiederum von blauen Bergen umzogen waren. Weniger an der Waldabnahme, als an der durchdringenden Kälte, der vermehrten Menge von dicht umhergestreuten Felsbrocken und an den spärlichen grobsteinernen Häuschen merkte man, wenn wieder eine Gebirgshöhe erreicht war. Voll Lust und Erwartung war ich die vielberühmten Alleghanyes hinaufgefahren und fuhr ärgerlich wieder herunter. Grandiose Bergmassen und wildzackige Felsgestalten hatte ich gar nicht gesehen, einige Bergseiten waren recht tüchtig mit Steinblöcken und Wildwald besäet; das kräftige Blau der Berge, das Hellgrün der Wälder und Thalbreiten, rasche Ströme, in welchen sich greise Baumriesen und alle Laubschattirungen spiegeln, unzählige überaus liebliche Waldgründe und kleine Wasserstürze werden künftig den Malern herrliche Bilder liefern, aber auf hochragende Bergmajestät mit bleichen Felsöden und wilden Schluchten muß man verzichten. Die Alleghanyberge erfreuen den Reisenden hauptsächlich deshalb so sehr, weil er ermüdet ist durch die einförmigen Landschaften, welche er vorher tagelang durchfahren hat. Vielleicht aber habe ich diese langgestreckten Bergzüge nur auf ihrer nüchternen Stelle gesehen, in Virginien und Nordcarolina sollen sie wilde prachtvolle Scenerien aufdecken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II