Am andern Morgen machten wir in einem Städtchen Halt, um zu frühstücken. Aus den langen Thälern ...

I.
In den Alleghanies.


Am andern Morgen machten wir in einem Städtchen Halt, um zu frühstücken. Aus den langen Thälern wehte etwas von der Gebirgsluft, die so kräftig erregend in die Brust dringt; der dunkle Schooß des Gebirges versprach mehr wild erhabene Schönheit, als ich bisher am Wege gefunden. Ich ließ daher meine Reisegesellschaft, von der ich genug hatte, ruhig fahren und bekam bald im Städtchen ein Pferd geliehen. Da die Amerikaner stets so viel weite Geschäftswege haben und nicht gern zu Fuße gehen, so kann man auch in den kleinen Orten leicht Pferd und Wagen miethen. Ich ritt einen Bach hinauf, der lustig über das Gestein niedersprang. Der Boden hat einen lehmigen Untergrund und die obere Erdkrume, die sich aus verwesten Pflanzenstoffen gebildet hat, ist sehr locker, deshalb sind diese Gebirgswässerchen selten recht klar, sonst würden sie bei der Menge, in welcher sie aus dem Walddickicht hervorschießen, die Landschaft frischer und lebhafter machen. Das tief in den Boden eingeschnittene Bette dieser Flüßchen ist überwuchert von Brombeergeländen und wildem Wein und Lorbeer, seltener erheben sich über den Farrenkräutern Und andern breitblättrigen Stauden die rothen, blauen und gelbweißen Blumenhäupter; desto mehrfarbige Abwechslung bringen die großen Pilze auf dunkelm, und die rothblühenden Moose auf grünem Grunde. In den Thälern, wo das Wasser ruhiger fließt und sich abklären kann, ziehen die Bäche helle Silberfäden durch ungemein liebliche Gründe. Wo aber das Wasser keinen raschen Abfluß hat, breiten sich schwarze Sümpfe aus, deren Fieberhauch auch manchen hochstämmigen Bäumen die Kraft nimmt. Die Pennsylvanier-Deutschen haben den englischen Namen „Swamps“ für diese Sumpfstellen nicht unglücklich in „Schwämme“ verwandelt.


Ich war noch keine halbe Stunde geritten, als mich bereits tiefe einsame Waldöde umfing. Auch in diesen frühbesiedelten Landen werden die Ortschaften noch lange den Urwald vor der Thür behalten. Obgleich hier auf den Bergen weder die Baumstämme noch die Schlinggewächse besonders mächtig waren, führte der überaus schlechte Weg doch unter dem dichtesten Laubgewölbe in die Höhe, an den meisten Stellen war der Wald zu beiden Seiten ganz undurchdringlich. Man fühlt sich erleichtert, wenn man aus dieser gründunkeln Waldnacht auf höher gelegene kahle Stellen kommt. Die Bäume verdecken auch dort noch die freie Aussicht, aber vielleicht sieht man doch unten aus einem Thale den blauen Rauch, der sich über der Laubdecke emporkräuselt, ein Zeichen, daß Wesen da wohnen, welche fühlen und denken wie wir. Schon daß man nicht immer Laub, Stämme, Moos und Moder, sondern auch kahlen Grund und Felsbrocken vor Augen hat und einen halben Büchsenschuß weit sehen kann, ist eine Wohlthat. Denn in diesen endlos dichten Wäldern legt es sich wie der Druck einer finstern Naturgewalt auf die Seele, und wenn man singen will, hört man von selbst im ersten Verse wieder auf und versinkt wieder in das dumpfe Schweigen der Natur. Auch die Matrosen singen nur, wenn sie sich wieder dem fröhlichen Lande und den Stätten der Menschen nähern. Wie auf dem Meere die heitern Gebilde, welche im Geiste keimen, unaufgeblüht in das endlose Wellen und Wogen versinken, so verwehen in dem endlosen dumpfen Rauschen und Rollen des Urwalds die lebhaften Gedanken. Zuletzt hört man nur noch auf das verhaltene Brausen und Wallen in den Waldestiefen, die Ideen werden trübe und verfließen ins Unendliche und Unbestimmte. Damit man sein Ich nicht ganz an das mächtige Wogen der Natur verliere, fliegt dann und wann ein greller Lichtschein durch die Seele, man weiß nicht woher es kommt, vielleicht stürzte sich ein Flug Waldvögel kreischend ins Dickicht, oder man sah die scharfen Augen von ein paar Eichhörnchen hinter den Aesten lugen, oder es öffnet sich plötzlich eine Schlucht, in der tief unten Wasser braust. Wird man auch einen Augenblick durch dergleichen aus seiner Träumerei gerissen, bald darauf ist der Geist wieder wie umweht und umhüllt von grauen Schleiern. Der Ocean und der Urwald sind noch ein Stück wüster Urweltsgröße, unter deren schwerem Hauche der Mensch mit seinen leichten freundlichen Ideen nicht gedeihen kann. Auf den bahnlosen ewig gleichen Prairien, Steppen und Sandwüsten macht man eine ähnliche Erfahrung, jedoch ist sie nicht so trübe, weil auf jenen Ebenen frische Luft ist und weite lichte Himmelsbläue, man ist dort nicht befangen von dem Wellendunst des Meeres und von dem Modergeruch des Urwalds.

So ritt ich den ganzen Tag bergauf, bergab. Die Hügel sind ganz, die Berge fast bis zum Kamme mit Wald überdeckt. Man kann deutlich verfolgen, wie der Fluß oberhalb des Thales aus vielen kleinen Bächen entsteht und wie diese weiter hinauf aus einer Unzahl von Rinnen zusammenfließen, welche das Regenwasser fußtief in den Lehmboden eingerissen hat, bis ganz oben das Gerinne gleich Fäden dicht nebeneinander niederläuft. Aus der Schlammerde, welche auf diese Weise von den Wässerchen fortgeführt wird, bereitet sich unten im Thale das fruchtbare Bottomland, während das modernde Laub und Holz in den Wäldern den Abgang an Erdkrume wieder ersetzt. Auch wird man nach und nach inne, wie regelmäßig der Baumschlag und das Unterholz wechseln, je höher man aus den Thalgründen aufsteigt. Unten steht Zuckerahorn zwischen Ginseng, Dogwood, Papaws und ähnlichen Gesträuchen, dann folgen die Wallnußbäume, Buchen und Eschen mit den Schlingreben und Gummibäumen, eine Strecke höher herrschen fast nur die vielen Eichenarten und Rhododendronbüsche, und über diesen klettern den Berg noch in dichten Reihen hinauf die Kastanien und Fichten, deren Wurzeln mit Heidelbeersträuchen und stachlichen Ranken überdeckt sind. Zur Viehzucht eignet sich dies Gebirge weniger als das ebene Land, grüne Bergmatten giebt es nicht, gutes Gras wächst nur in den tieferen Thälern, die höher gelegenen sind naß und kalt. Ackerbau kann dagegen fast überall mit Nutzen betrieben werden, wo der Wald weggehauen ist. Man trifft auch bereits an den fruchtbarsten Stellen Blockhütten mit ein paar Morgen Ackerland, und an den Hauptwegen Kramläden, welche für Korn, Fleisch, Wildhäute, Baumzucker und dergleichen allerlei Waaren, Geräthe und Kleidungsstücke austauschen. Ein solches Kaufhaus ist zwar auch nur barackenmäßig aufgestapelt gleich den Farmerhütten, aber dem Reisenden winkt es Erquickung, er kann dort wenigstens sich am Aepfelwein kühlen, denn bei den Farmern unterwegs bekommt er nur Wasser und, wenn es hoch kommt, ein Glas trüben Whisky. Da wo mehrere Wege von den meilenweit entfernten Farmen zusammentreffen, steht mitten im rauschenden Walde eine kleine rohe Blockhütte, die Fenster darin geben etwas mehr Licht als es sonst diese Farmer in ihren Wohnungen gewohnt sind, vor dem Häuschen, sind Holzscheite aufgehäuft, die Thür ist offen, aber niemand zu sehen. Es ist eine Waldschule, versehen mit einer Tafel und ein paar dürftigen Bänken; die Kinder kommen dort ein paar Monate des Jahres, wenn ein Lehrer zu haben ist, zusammen. In den Thälern aber, welche sich auf eine vielbefahrene Straße öffnen, haben die Farmer schon stattliche Häuser und Gärten. Aber all diese Anfänge von Kultur sind nur wie spärliche offene Fleckchen in die Waldungen eingestreut, die sich viele hunderte von Meilen ununterbrochen hinziehen über langgestreckte Berge und Hügel. Dort giebt es noch Waldgründe und Berglehnen, welche das ganze Jahr hindurch keines Menschen Fuß betritt und wo nur Hirsch und Bär streifen. In vielen Gegenden ist deshalb hier in Pennsylvanien das Land noch gerade so wohlfeil, wie im entlegensten Westen. In der neuern Zeit bleibt indessen viel von der deutschen Einwanderung hier hängen, die ältern Ansiedler sind hauptsächlich Pennsylvanier-Deutsche.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II