Auf Kosten der deutschen Pennsylvanier üben die andern Amerikaner gern ihren Witz, aber sie können nicht ...

I.
In den Alleghanies.


Auf Kosten der deutschen Pennsylvanier üben die andern Amerikaner gern ihren Witz, aber sie können nicht läugnen, daß Brücken, Wege und andere Einrichtungen in Pennsylvanien nicht ganz so halsbrechender Natur, und die Leute dort solider und freundlicher sind, als im übrigen Lande. Von Harrisburg fuhr ich im westlichen Pennsylvanien auf der Eisenbahn nach Chambersburg. Es ging mäßig rasch, und die Bahn schien fest gebaut und ziemlich überwacht, und es blieb deshalb nur die Gefahr aufzubrennen, denn der Ofen im Wagen war fast bis zur Spitze rothglühend. Wir kamen durch mehrere Städtchen, in welchen der Zug so lange Halt machte, daß man durch ein paar Straßen laufen konnte. Diese Ortschaften haben in der Mitte einen freien Platz, welchen die Grafschaftsgebäude, Kirchen und Gasthäuser umgeben. Es durchkreuzen ihn regelmäßig vier Hauptstraßen, und auf diese öffnen sich in geraden Linien kleinere Straßen. Das Pflaster ist schön und reinlich, die Wohnungen sind klein, aber hübsch und steinern, die unsaubern Thiere werden in ihren Ställen zurückgehalten, und die Leute vor den Hausthüren haben ein stilles gutherziges Wesen. Durch die deutsche Gewöhnung wird hier amerikanische Rohheit und Raschheit noch eine Zeitlang fern gehalten.


In Chambersburg mußte ich bis zum zweiten Tag auf einen Platz in der Reihe von Postwagen, die täglich zweimal nach Pittsburg hier durchgingen, warten. Ist man endlich so glücklich mit acht Andern in dem engen Wagenkasten festzusitzen, so ist man genöthigt Brust und Glieder fleißig hin und her zu drehen, um nicht ganz zerquetscht zu werden. Diese Arbeit hielt indessen die Kälte ab, da die löcherigen Lederlappen, welche die Seitenwände vorstellten, sich auch nicht einmal befestigen ließen. Mit der Post ist es in Amerika noch schlecht bestellt, obgleich der Generalpostmeister ein Minister in Washington ist. Für das Gepäck mag der Reisende selbst sorgen, wenn er es zu behalten denkt. Um kleine Summen sicher zu übersenden, braucht man wohl die Vorsicht, die Banknoten durchzuschneiden, und in dem ersten Briefe die eine, in einem spätern die andere Hälfte zur Post zu geben. Denn kämen Brief und Geld nicht an, so wäre es gar zu schwer zu beweisen, welcher freche Postbeamte sie unterschlagen hätte, und wäre er auch wirklich der Ueberführung nahe, so stände ihm die Flucht nach allen Seiten offen. In einem neuen Lande, wo die Beamten nicht fest angestellt und die Strolche haufenweise sind, läßt sich von der Postverwaltung nur eine halbe Sicherheit für anvertrautes Gut erwarten. Die Enge unsers Postwagens wurde zum Entsetzen fühlbar, als den Eintritt verdunkelnd eine Dame einstieg, welche zu der Annahme, das zarte Geschlecht müsse hierzulande immer schlank und dünn sein, den breitesten Gegensatz darbot. Sie gab mir ohne Weiteres ihr Kind zu halten. Das Baby war aber nicht nur sehr unruhig, sondern wurde auch höchst unbequem und schrie zuletzt aus hellem Halse. Endlich erbarmte sich ein Nachbar meiner Noth, die Dame aber machte mir Vorwürfe, daß ich mit Kindern nicht umzugehen wüßte. Ich konnte nur mein Bedauern ausdrücken, daß ich nicht in Amerika erzogen sei und deshalb noch nicht viele Uebung darin habe, auch die kleinsten Kinder zu hätscheln. Unter den Amerikanern ist nämlich auch dies Landessitte, daß die Männer zu Hause wie auf Reisen den Frauen die Kindersorgen möglichst abnehmen. Steigt eine Frau in den Post- oder Eisenbahnwagen, so steht alles auf, ehrerbietig wartend, bis sie sich den besten Platz ausgesucht, und hat sie ein kleines, so wird es sofort der allgemeine Liebling und jeder bemüht sich, es zu erfreuen mit Zucker und Liebkosungen. Es ist doch merkwürdig, daß nicht so sehr in den Ländern, wo höfische Sitte und Feinheit blüht, als dort, wo das derbe Selbstgefühl der Männer herrscht, jede Frau überall und unbedingt auf den Schutz und die zarte Aufmerksamkeit jedes Mannes rechnen kann.

Es ging gleich hinter Chambersburg in die Höhe. Von den Alleghanybergen hatte ich so viel Entzückendes gehört und freute mich darauf, einmal wieder recht ins Gebirge zu kommen. Schon begannen seine Vorposten, Wiesen mit Flüßchen, Tannenplätzchen, in Menge verstreute Felsblöcke und kleine von roh behauenen Steinen aufgeführte Häuser. Als wir höher kamen, sahen wir auf eine weite von stolzen Bergen umragte Ebene zurück. Vor uns machte eine blaue Bergwand einen langen Strich durch die hohen Wolken, und als wir oben waren, sahen wir tief unten ein schmales Thal und uns gegenüber einen andern langen Bergzug, der jede Weitersicht abschloß. So blieben nun die Umrisse des Gebirges. Weitgestreckte Berglinien ziehen in ungefähr gleicher Höhe hintereinander her, zu Zeiten durch eine Querwand verbunden, dazwischen sind hübsche helle Thäler tief eingefurcht, aus denen die Aecker oft bis in die hohen Bergwälder hineinreichen. Die Straße folgt gewöhnlich einem Flüßchen; wo es aus den Bergen herniederkommt, da schmiegt sie sich hinein, läuft dann ganz allmählich an einer Berglehne hinauf; auf ihrer Spitze angelangt, wo man fast nur die Kämme der Wellenlinien des Gebirges sieht, sucht die Straße ein Querjoch, aus dem sie zur nächsten Höhe führt, um auf deren anderer Seite wieder den Windungen eines Flüßchens entlang hinabzusteigen, ein Thal rasch zu durchschneiden und dann wieder zu ganz gleicher Bergfahrt überzugehen. In den Thälern, deren grünes bewässertes Bette man von oben weithin verfolgen kann, kamen wir durch kleine Städtchen, welche ziemlich schwarz aussahen und viele Schmieden hatten. Die erbärmlichen Wagen zerstoßen sich auf den noch schlechtern Wegen an dem Gesteine, Radmacher und Schmiede finden daher an der Straße reichliche Arbeit. Im Abenddunkel sahen wir sie vor einem Feuer auf der Straße auf die rothglühenden Radreifen loshämmern, daß die Funken sprühten.

Als wir nach dem Abendessen wieder eine ansehnliche Höhe hinauffuhren, lag über dem Gebirge der Schimmer einer wundervoll hellen Mondnacht. Bergzüge über Bergzüge hoben ihre Kämme hintereinander empor, hier und da hing schon etwas Schnee an den Felsen und Bäumen, aus den tiefen Thälern starrten die zahllosen Baumwipfel. Die ganze Reisegesellschaft war ausgestiegen. Um mich herum liefen und stolperten ein paar berauschte Viehhändler aus dem Westen, weiter unten schallte das rohe Gelächter von einigen Burschen, welche ein junges Ehepaar zaghaft immer eine Strecke vorausgehen ließ. Die Alleghanyes scheiden den Osten vom Westen, sie machen auch eine Gränzscheide zwischen der feinern städtischen Bildung, dem nüchternen Wesen der Bewohner der alten Staaten und dem freimüthigen, warmherzigen, aber roheren Benehmen der Westleute. Was ich von den letztern bisher gesehen, nahm nicht sehr für sie ein. Es waren geriebene Leute, welche Karten spielten, Branntwein tranken und denen bei den ersten Worten Dollars und Cents immer zwischen die Zähne kamen. Weil ich mit diesen Reisegenossen nicht anbinden wollte, suchten sie mich durch derbe Späße zum Reden zu bringen. Der gewöhnliche Amerikaner findet es unausstehlich, wenn jemand ihm nicht sein Geschäft und seine Denkweise offenbaren will. Diese Neugierde ist häufig so zudringlich und widerwärtig, daß man das unbehagliche Gefühl hat, als wollte sie einem bis in den Magen hinab sehen. Bei dem Abendessen hatte der Wirth, ein alter Deutschpennsylvanier, eine Banknote, die er irrthümlich für unächt hielt, nicht annehmen wollen, den nannten sie nun einen „regelrechten deutschen Dickkopf“ (regular dutch blockhead), und ergingen sich in den rohesten Witzen über das „verdammte deutsche Volk“. Als ich still blieb, vergnügten sie sich, zu drängen und zu stoßen, daß ich dachte, der alte Wagenkasten müsse auseinander brechen. Ich sah eine schlimme Nacht voraus, fing endlich an zu fluchen englisch, deutsch, französisch, italienisch, was mir nur einfallen wollte, und hielt meinem Gegenüber den Fuß nahe vor die Augen mit dem Versprechen, ihn da hinein zu stoßen, wenn er mich noch einmal drücke; das gab erst ein Gelächter, und dann wurden sie freundlich und fragten nach Deutschland und der alten Welt. Ich erzählte ihnen nun Wunderdinge und hatte den Erfolg, daß sie nicht nur artig wurden, sondern sich auch die Hälfte als Nachkommen von Deutschen zu erkennen gab. Führt einen das Unglück unter solche amerikanische Rowdies, so hat man nur die Wahl, sich schleunigst zu entfernen, oder möglichst grob und kurz angebunden zu sein, Stillschweigen macht sie nur zudringlicher und verwegener.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II