Abschnitt 3

VI.
Im Staate Ohio.


Endlich war der Tanz zu Ende und jetzt wurde uns Zuschauern der Text gelesen. Ein Shaker trat vor und hielt uns eine kluge und begeisterte Predigt. „Wir seien wohl hergekommen, sagte er, um sie tanzen zu sehen und dann darüber zu lachen, er aber wolle den Geist Gottes zu uns sprechen lassen. Fleisch und Blut könnten den Himmel nicht erobern, sondern nur der Geist in uns, das stehe in der Bibel. Daher müßten wir unser Fleisch abthun, nicht indem wir uns tödteten, sondern indem wir unser Fleisch bei lebendigem Leibe abtödteten. Im Himmel sei kein Freien und werde nicht zum Freien gegeben. Wir beteten aber täglich: Herr, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auch auf Erden. Wenn wir es ehrlich mit diesem Gebete meinten, so müßten wir denn auch das Freien lassen. Durch sie, die Shaker, gäbe Gott der Geist uns Zeugniß, die Bibel könne das nicht, sondern der Geist offenbare das Rechte. Sie seien glücklich und für die Ewigkeit wohl aufgehoben, – aber ob wir es wären? Das Weltende sei ganz nahe, das Gericht Gottes breche bald herein.“


Uebrigens hatte ich dergleichen schon einmal gehört, bei den Rappisten auf Economy, jedoch nahm sich bei unsern dortigen Landsleuten alles weit lieblicher aus. Ihr nächtlicher Gottesdienst war ebenfalls schauerlich genug, aber man behielt doch seine fünf Sinne beisammen. Auch hatten die Rappisten um ihre Häuser hübsche Gärten und Blumen, während hier nur kahle Anger waren. Selbst der Kirchhof der Shaker hatte keine Grabhügel und keine Blumen, platt auf den Rasen gelegte Steine bezeichneten die Ruhestätten. Beide Sekten denken über die Nothwendigkeit und Wirkung der Ehelosigkeit, sowie über das schnell herannahende Weltende ungefähr dasselbe.

Unter den Zuhörern schien wenigstens diesmal die Shakerpredigt kein Herz bewegt zu haben, Mädchen und Burschen schwangen sich fröhlich auf die Pferde und verschwanden im lustigen Trabe in dem Walde, ein lockender Anblick. Ich unterdessen sah mich in der neuen großen Möncherei näher um. Vier lange und hochstöckige Häuser mit sehr vielen Fenstern, dazwischen Wirthschaftsgebäude mit einigen hundert Aeckern vortrefflich bestellten Landes machten die Ansiedlung aus. Alles ist zweckmäßig, aber höchst einfach eingerichtet. Die beiden Häuser der einen Seite sind von den ältern und jüngern Schwestern bewohnt, von denen die erstern, welche über die Anfechtungen hinaus sind, für die Brüder in den beiden andern Häusern kochen, waschen und nähen. Die Brüder besorgen Ackerbau, Viehzucht und die gewöhnlichen Handwerke, dazu betreiben sie gute Tuchwebereien, flechten Stroh, machen Holzarbeiten und dergleichen. Jedoch dienen die Erzeugnisse nur zu ihrem eigenen Gebrauche und sie treiben weiter keinen Handel damit, als um sich Kaffee, Zucker, Reis und dergleichen anzuschaffen. Fünf bis acht wohnen und schlafen in einem Zimmer. In jedem Hause ist noch ein besonderer Betsaal. Alles Eigenthum wie die Arbeit und Mahlzeit ist gemeinschaftlich und wird von selbstgewählten Vorstehern verwaltet. Wer in die Gesellschaft eintritt, schießt sein Vermögen ein, der Austretende bekommt nur ein Almosen. Von den Mutterhäusern in Neuengland aus wird noch eine Art Oberaufsicht geübt. Dies und ähnliches erfuhr ich in dem Geschäftshause, in die andern Häuser lassen sie, die Verführung zu verhindern, keine Fremden hinein. Man nahm mich erst kalt auf, nachdem sie mich aber ausgefragt hatten, wurden die alten Männer ganz freundliche Wirthe. Wohin ich kam, war blanke Reinlichkeit und Klostergeruch. Wände und Geräthe trugen einen dunkeln Anstrich von grauer oder bräunlicher Farbe. Kein Laut unterbrach die tiefe Stille, die Menschen schlichen umher wie Schatten, welche aus den Gräbern gestiegen. Nachmittags, als keine Fremden mehr zu fürchten waren, kamen auch die jungen Mädchen in langer Reihe paarweise zum Bethaus, einige liebliche Gesichtchen waren darunter, alle jedoch sahen leichenhaft aus mit dunkler Farbe unter den Augen. Sie rissen die Augen auf, als sie mich sahen, aber kein Lächeln strahlte über ihr Gesicht. Trotz der scharfen Absperrung kommt es vor, daß eine oder die andere sich sachte entfernt zu Menschen, welche das Heirathen nicht für Sünde halten. Dafür wird auch mancher Laie, der herkommt, die Tänze zu sehen, durch die Predigten getroffen und schließt sich der Sekte an. In Europa zerstört man die altehrwürdigen Klöster, in Amerika entstehen neue.

Die Shaker sind harmlose, friedliche Leute, die weder den Gebrauch des Schwertes, noch des Eides für recht halten. Ihre Genüsse sind das Schwelgen in mystischen Verzückungen. Wenn sie sich mit heiligen Gefühlen in den Wirbel des Tanzes werfen, immer rascher die Glieder fliegen, immer heißer das Blut durch die Adern jagt, dann fühlen sie sich von göttlichem Feuer durchlodert, von himmlischer Wonne beseligt. Oft wandern sie in ihren Tänzen mit erhobenem Haupte und weit offenen Augen gleichsam der Herrlichkeit des Himmels entgegen, oft schließen sie sich wie ein Herz und eine Seele zum Ringelreihen zusammen, oder sie schwingen sich durchströmt und fortgerissen vom seligen Drang und Feuer um sich selbst herum gleichwie die Himmelskörper ewig rotiren. Die Eigensucht ist unter ihnen abgethan, weiche aufopfernde Liebe erfüllt ihre Herzen und sie betrachten einander wie zarte Gotteslämmchen. Kommt ein Armer zu ihnen, so geben sie ihm Obdach und Nahrung so lange er es bedarf. Aber verachtet von der Welt und abgeschlossen von ihr können sie sich nicht eines Anflugs von geistlichem Hochmuthe erwehren, auch die Almosen geben sie mit einer Gleichgültigkeit, die nicht aus gutem Herzen kommen kann.

Je mehr ich mich dem Ohio wieder näherte, desto grüner wurde die Gegend. Da oben bei Dayton guckte der Frühling so eben erst aus den grünen Baumspitzen hervor, hier stand er schon in heller Blüthe. Die Uferhöhen des Flusses erschienen in der Ferne wie Gebirgszüge und erfrischten endlich wieder durch helle Aussichten und Waldeskühle; denn da unten in den ebenen Wäldern kommt man nie aus einer dumpfen Luft heraus. Als ich wieder nach Cincinnati in die äußern Straßen kam, schienen sie mir auf den ersten Blick vergrößert und verändert, so schnell waren mehrere Kaufläden und Häuser im Bau fortgeschritten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II