Abschnitt 2

VI.
Im Staate Ohio.


Wir besuchten endlich noch den Kirchhof von Dayton, eine halbe Stunde von der Stadt. Auch hier ist eine umfriedete Waldhöhe zur letzten Ruhestätte eingerichtet. Der Weg windet sich sanft um den Berg, zu beiden Seiten auf grünen Plätzchen oder an stillen Abhängen liegen die Grabhügel und Erbbegräbnisse, überhangen von den alten Bäumen des Urwaldes, dessen Rauschen die Stille noch fühlbarer macht. Oben ist eine herrliche Aussicht über die reiche, schimmernde Thalebene. Auf amerikanischen Grabsteinen findet man statt unseres Genius mit der umgestürzten Fackel häufig ein liebliches Bild, ein Lämmchen ruhend unter einer Palme.


Von Dayton aus machte ich den Rückweg nach Cincinnati zu Fuß. Er führte meist durch dunkle Wälder, welche von zahllosem Gevögel belebt waren. Von einem Baum zum andern ging das Fliegen, Beißen und Kreischen, es vergnügte mich der Verstand, mit welchem sie ihre Jagd anstellten. Die Bewohner des Luftreichs sind mit edlerer Natur begabt, als die schwerfälligeren Thiere, welche sich nicht von der Erde erheben können zu dem grünen Laubdach. Wie anmuthig sind die Bewegungen der Vögel zwischen dem Gezweige, wie kunstreich ballen sie ihre Nester, und wie treu hält sich immer ein Männchen und ein Weibchen zusammen. Die Vögel in Amerika scheinen am Landescharakter Theil zu nehmen. Sie singen und spielen nicht viel, sie sitzen entweder still zwischen den dunkeln Bäumen oder sie schießen ungestüm auf ihre Beute zu und suchen sich keck und rüstig die Nahrung abzujagen. Auch das haben sie mit den Menschen in diesem Lande gemein, daß sie über große Landstrecken gleichartig verbreitet und im ruhlosen Ziehen und Wandern begriffen sind. Es giebt vielleicht kein Vögelpaar in Amerika, das jedes Jahr wieder am selben Orte sein Nest baut. Eine Wanderung durch die Wälder in Ohio giebt indessen wenig Abwechselung. Rasche Flüge von schreienden Waldvögeln, eine Schlange, die durch die Blätter raschelt, alle Augenblick wühlende Schweine, dann Kühe mit Schellen, dann die langen Zickzackzäune von grauen Holzscheiten, diese gräßliche Augenqual, die Mais- und Waizenfelder dahinter, in ihrer Mitte das Blockhaus, Tücher zum Trocknen davor aufgehängt, der Mann vielleicht pflügend in der Nähe, jedenfalls aber in dem Hause eine nett gekleidete, oft feine Frau oder Tochter, – das sind die Bilder, welche die Einöde der ebenen Wälder beleben. Aber alles das wiederholt sich völlig eintönig, nirgends heitere, zur Ruhe einladende Plätze, nirgends kühles Gebirge, Felsen und sprudelnde Bäche, selten einmal ein freier Blick in die Gegend hinein, und dazu kommt noch das ganze unfreudige nüchterne Wesen der Amerikaner. Außer den regelmäßigen drei Mahlzeiten kann man in den Häusern selten etwas zur Stärkung auf die Reise erhalten. Noch schlimmer ist man daran, wo die Mäßigkeitsnarren in einem Bezirke obgesiegt haben; dann erhält man in den Wirthshäusern nichts, gar nichts als schlechtes Wasser zur Erquickung in der Sonnengluth, und als das beste Gericht ewig Speck und Eier. Mit wie manchem Seufzer denkt man dann an die angenehmen Wanderungen in Europa, an das fröhliche Wirthshaus und an die schattigen Weinlauben.

An den Menschen freilich, an der eben die Augen aufmachenden Kultur hat der Fremde in Amerika vieles zu lernen. Man sieht die Ortschaften gleichsam aus der Erde wachsen. Wo zwei Landstraßen sich kreuzen, da baut der Allerlei-Krämer seine Hütte, dann folgt der unentbehrliche Schmied und Radmacher, und in ein paar Wochen das Schulhaus, ein und der andere Handwerker und Handelsmann und der unvermeidliche Prediger, bis eine Art Städtchen zu Stande kommt, an welchem die Farmer einen Verkehrsplatz für ihre Geschäfte und Bedürfnisse erhalten. Anfangs sind diese Orte nichts als schmutzige Bretternester, aber nicht lange währt es, so erhebt sich hier und da schon ein festeres Haus von Holz oder Backsteinen, die ganze Wohnung mit allen Geräthschaften darin ist leicht und zierlich gemacht, aber das thut dieselben Dienste wie eine derbere Einrichtung. Unsere Zeit befreit sich überhaupt mehr und mehr von dem schweren und massiven Geräth, mit welchem unsere Vorfahren handtirten, wir lassen nicht mehr die Wucht des groben Stoffes arbeiten, sondern erzielen größere Erfolge durch eine kunstvolle Anwendung der Mechanik und Chemie. In solchen Dingen sind die Amerikaner selbst den Engländern voraus. Auch den Ackerbau betreiben sie in Gegenden, welche eben erst unter Axt und Pflug kommen, gleich mit soviel Kunst und Geschick, daß er leichte Mühe wäre, wenn nur der Winter zuverlässiger, der Sommer nicht so glühend, der Boden nicht so überfruchtbar in Gestrüpp und Unkraut wäre und die Platzregen, das zahme und wilde Vieh und das Ungeziefer nicht so zerstörend wirkten. Ich sprach manchen Farmer in Ohio, welcher meinte, ohne die Sümmchen von Deutschland her würde er niemals zu stattlichem Haus und Hof gekommen sein.

In den ersten Ansätzen zu einer Stadt findet der Reisende nicht selten schon politische Versammlungen, und hört mit Bewunderung die klare und gescheidte Politik der Farmer an. Einmal traf ich auch auf einen Yankee, der in höherer Wissenschaft Geschäfte machte. Er reiste umher und hielt für Eintrittsgeld den jungen und alten Leuten Vorträge über Elektrizität, Polarität, Magnetismus und Schädellehre, manches ziemlich faßlich durch Experimente veranschaulicht. Ueberall fand er eifrige Zuhörer, die nachher das Gelernte unter sich durchsprachen. Etwas Licht über das Naturleben erhielten sie doch immer. Wer hält unsern Bauern solche Vorträge? Aber freilich wo fände er auch unter ihnen solche Lern- und Wißbegierde, als unter diesen Farmersöhnen? Man kann ihnen das Fabelhafteste aufbinden, immer hören sie gespannt zu, und dabei spiegelt sich in ihren Gesichtszügen die innere Bewegung und der aufblitzende Gedanke. Von Natur zum Glauben an das Wunderbare und Ungeheure geneigt hat das amerikanische Volk zu wenig geistige Größen an seiner Spitze, welche die Volksbildung leiten und vor denen sich die Aufschneider fürchten könnten. Daher machen die Leute mit Riesenskeletten, Mormonenbüchern, Universalpillen und anthropologischen Geheimnissen so gute Geschäfte. Aber wenn ein Farmersohn vielen Sinn und Unsinn in sich aufgenommen hat, dann ist seine Wißbegierde erst recht angespornt, dann lernt er einen oder zwei Winter auf einer höhern Schule in der Nachbarschaft etwas Geschichte, Chemie, Physik, Handels- und Schifffahrtskunde. Das giebt die Leute, welche sich später zum Advokaten wie zum Großhändler, zum Senator wie zum Milizoberst geschickt fühlen. Sie lernen sich nicht auf einen bestimmten Beruf ein, sondern von Jugend auf sammeln sie allerlei Kenntnisse und Erfahrungen und vertrauen im Uebrigen ihrem Verstande und ihrer Manneskraft.

Die Bevölkerung des Staates Ohio ist zur Hälfte deutscher Abstammung, deutsch sprechen etwa noch zwei Fünftel. Gleichwohl hörte ich nur dann unsere Sprache, wenn die deutschen Farmer ganz unter sich waren. Das Englische ist einmal die Geschäfts- und Gerichtssprache und viel vornehmer als das Deutsche. Wenn im Wirthshause oder bei dem Krämer nur ein paar englische Amerikaner waren, so machten sie grobe Späße über die Deutschen, welche noch nicht fertig Englisch konnten, und unsere Landsleute nahmen die Verhöhnung ruhig hin und wagten kein deutsches Wort. Nur den Schulmeister sah ich hin und wieder sich ereifern. In den kleinen Blockhütten in den amerikanischen Wäldern des Sommers für vierzig bis fünfzig Dollars Schule zu halten und Kost und Wohnung bei den Farmern in der Reihe herum zu nehmen, ist ja bekanntlich das Loos manches jungen unglücklichen Deutschen, den all seine Ideale und seine Bildung hier kaum vor dem Verhungern schützen.

Bei Lebanon im Warren Bezirk liegt Union Ville, eine Shakeransiedlung. Nicht weit davon kam ich über einen offenen Platz im Walde, der mit verfallenen Holzhütten und Gerüsten besetzt war. Jetzt lag alles öde und menschenleer und das Gesträuch wucherte schon wieder mannshoch, vor einem Jahre tobte hier ein methodistisches Waldlager. Es war Sonntagsmorgen, als ich in das Shakerdorf kam. Ich ging sofort zum Bethaus, welches zugleich das Tanzhaus ist. Denn nach den Offenbarungen der Mutter Annely, „der Braut des heiligen Geistes,“ glaubt diese Sekte das ewige Leben durch Mönchsthum und religiöse Tänze verdienen zu müssen. Anna Lee war eine arme Frau, welche vor etwa achtzig Jahren in England lebte, sich in mystische Schwärmereien vertiefte und mit großer Kraft und Begeisterung ihren Glauben verkündete, es sei der Geist Gottes, d. h. Christus in ihr wieder erschienen. Die Shaker, welche sie für die zweite Eva halten, glauben deshalb schon im tausendjährigen Reiche zu stehen, welches mit der Wiederkunft Christi beginnen soll. Das Bethaus hatte auf der Langseite zwei Thüren, durch die eine traten die Männer, durch die andere die Frauen hinein. Ebenso hatte sich die Menge der Gäste getheilt, welche zum Zusehen hergekommen waren und ihre Pferde draußen angebunden hatten. Zufällig kam ich in die Frauenthür und sah mich auf einmal in doppelter Klemme, vor mir die sinnverwirrenden Tänze, rings um mich die hübschen Farmerstöchter, welche mich auslachten. Ein alter Shaker bedeutete mich, auf den Platz der Männer zu gehen, da hatte ich Muße, das Schauspiel anzusehen. Es ist so seltsam als man es sich denken kann, lächerlich und grauenhaft zugleich, – die Frauen wie hüpfende Leichen, die Männer wie verrückte Betbrüder. Es war ein gewöhnlicher Saal ohne die geringste Verzierung, auf der einen Seite sprangen die Männer, auf der andern die Frauen, bald tanzten sie vor und zurück, hinter und gegeneinander, bald zogen sie kleine und lange Ringelreihen. Keines aber faßte das andere an, jedes trippelte für sich, einige machten zwischendurch kerzengerade Luftsprünge; das Hauptstück schien aber zu sein, sich um sich selbst wie ein Wirbel zu drehen, ein Knabe leistete darin Unglaubliches. Dabei sahen sie durchaus ernst und andächtig aus, die Hände aber hielten sie alle halb erhoben, gerade wie die Pudel beim Tanzen ihre Pfoten halten, und den Takt gaben sie sich durch ein gellendes Liedchen, welches zuletzt in einen langen tiefen Ton auslief. Dann ließen sie die Hände sinken und standen ein paar Minuten still, worauf sie sich gegen einander verbeugten und das entsetzliche Tanzen wieder anhob. Die Männer tanzten in Hemdärmeln, die Frauen trugen sich dunkelbraun mit weißen Hauben und Schürzen und hatten über dem Arm ein Schnupftuch hängen, die Gesichter waren sämmtlich gelbbraun mit tief liegenden Augen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II