Abschnitt 1

VI.
Im Staate Ohio.


Von Cincinnati aus machte ich einen kleinen Streifzug in das Innere des Ohiostaats. Der Frühling arbeitete schon, nach der Natur jener westlichen Gegenden mit Gewalt hereinzubrechen, die Knospen an Baum und Gesträuch schwollen als müßten sie platzen, und bereits senkte sich die Sonnengluth in das breite Flußthal des Ohio. Zwischendurch säuselte freilich noch ein eisig scharfer Luftzug, so gefährlich dem Europäer, der die wärmenden Unterkleider zu früh abwirft.


Mein vornehmster Reisegefährte bis Hamilton, einem hübschen Städtchen sieben Stunden von Cincinnati, war ein langer dünner methodistischer Yankee; so jung auch das Bierbrauen hier zu Lande war, machte er doch bereits im Hopfen sehr bedeutende Geschäfte. Er suchte mich zu bekehren und zugleich über den deutschen Hopfenhandel auszuholen. Die göttliche Gnade und Erleuchtung verwickelte sich in seiner Rede fortwährend mit Dollars und Cents. Die Gegend war vortrefflich angebaut und mit hellgeweißten Häusern besäet. Mit Verwunderung sah ich, wie weit der Weinbau sich schon vorgewagt hatte. Er war durchgängig in den Händen von Deutschen. Die gebornen Amerikaner verlegen sich zwar hier und da ebenfalls auf den gewinnbringenden Anbau des Weines, dieses guten Helfers wider den frostigen Puritanismus, aber es will ihnen mit den Rebpflanzungen nicht recht gelingen, es ist ihnen die sachte, gemüthliche aber unaufhörliche Arbeit unmöglich, welche die edle Rebe von den Menschen fordert. Für so viele unserer Landsleute, welche mit ihrer feineren Bildung weder in die Oede amerikanischen Farmerlebens noch in das Marktgewühl amerikanischer Städte hineinpassen, möchte die Pflege des Weinstocks mit etwas Ackerbau verbunden noch das erträglichste Geschäft sein.

Von Hamilton fuhr ich mit ein paar Landsleuten am andern Morgen ins Miamithal hinauf. Die niedrigen Anhöhen treten weit zurück und dazwischen liegt der fette üppige Boden, den zuerst die Pennsylvanier Deutschen und später ihre aus Europa nachwandernden Landsleute in Beschlag genommen haben. Es giebt deutsche Bauern hier, die zweitausend Aecker Grundbesitz haben. Bei jeder Flußwendung sieht man ein paar von ihren stattlichen Gehöften. Der Miami, ein Fluß fast so groß wie die Weser, geht häufig mit zerstörenden Fluthen über seine Ufer, man sah noch überall die Spuren der letzten großen Ueberschwemmung. Die amerikanischen Flüsse stürzen sich zu Zeiten, von ungeheuren Regengüssen angeschwollen, plötzlich wie tückische wilde Dämonen ins Land hinein, die Springfluth kommt auf einmal und unversehends, jagt aber auch rasch vorüber. Der Miami bot uns eine Reihe ächt amerikanischer Flußansichten. Die Gewässer winden sich und fluthen mehr als daß sie strömen, über ihre trübe Oberfläche beugen sich die Bäume mit weiten Aesten, viele verdorrt, andere umgefallen mit den Wurzelscheiben gegen den Fluß gekehrt, dazwischen dehnen sich gelbe Schlamm- und Sandstreifen, im Hintergrunde stehen die bleichen Sykamoren wie riesige Birken, auf den leise ansteigenden Anhöhen ein weißes Bretterhaus, weiterhin im Gehölze die düstere Blockhütte, – das Ganze hat etwas Grelles, Zerfahrenes, man meint, der braune Indianer müsse hinter dem verworrenen Baumwerk hervortreten mit flatterndem Haarbusch. So sind die kleinen, so die großen Flüsse, die letztern wälzen dazu dürre Stämme und haben manchmal stolzere Ufer. Die Einöde solcher Flußlandschaften hat immer einen seltsamen Reiz, es ist das wüste Durcheinander der Urwelt. Tritt man Morgens auf der Jagd an diese Gewässer, dann sind sie belebt von Gevögel und allerlei Gethier, und kehrt man Abends an ihren Ufern heim, wenn der Mond sein falbes Licht durch das Baumgewirre streut und die zahllosen Leuchtwürmer wie goldene Lichtfünkchen vor den Füßen aufstieben und ringsum ein unaufhörliches Gesumme von Millionen kleiner Leben hin und herwogt, – dann fühlt man sich überweht von den einsamen Schauern des „großen Geistes.“

Unser Reiseziel war die Niederlassung eines rechten Deutsch-Amerikaners. Er war vor mehr als dreißig Jahren aus der Pfalz hierher gekommen und durch Verstand und Fleiß der reichste Grundbesitzer und der gesegnetste Familienvater geworden; beinahe ein Dutzend Söhne und Töchter hatten in nächster Nachbarschaft ihre eigenen Farmen. Wir bogen vom Miami an einem Nebenfluß herauf. Mehrere aus dem ruhigen Wasser hervorstehende Baumstämme zeigten sich wie mit dicken Schuppen bedeckt; meine Begleiter sagten mir, es seien Schildkröten, ich ging daher näher hinzu, und richtig, eine nach der andern patschte ins Wasser. Die Menge dieser Thiere war außerordentlich, welche Ernte für die köstlichen Gallertsuppen, die sich ans ihnen bereiten lassen. Die amerikanischen Farmerfrauen weigern sich freilich, dazu ihre Kessel herzugeben, etwa wie eine deutsche Bauernfrau ihr Kochgeschirr nicht will verunehren lassen durch Eidechsensuppen. Der kleine Fluß ging bis nahe vor die Bauerei des Alten, und auf den ersten Blick sah man, welch ein strenger und schaffender Geist hier walte. Er empfing uns, umflossen von langem weißen Barte, an der Hausthüre und gab uns ein anständig Essen; sein Gespräch war ein eigenes Gemisch von der Demuth eines Tunkers – er gehörte nämlich dieser friedfertigsten aller Sekten an – und von der Selbstständigkeit und Verschlagenheit des amerikanischen Farmers. In diesen Gegenden hat der Charakter noch Zeit und Raum, sich rund und kernig zu entwickeln. Das rein Menschliche, der antike Hausvater kommt häufig wieder zum Vorschein, freilich auch entstellt durch amerikanische Sektirerei und Geldmacherei.

Auf dem Rückwege sprachen wir bei einem Pennsylvanier Deutschen ein, welcher Farmer wie die übrigen und daneben ein Doktor war nach altem Styl, d. h. er machte Pferdekuren mit Kalomel und Kastoröl, und überließ in chirurgischen Fällen der Natur die Heilung. Die hier herrschenden Fieber verstand er indessen zu heilen, besser als viele gelehrte Aerzte aus Deutschland, deren mehrere in dieser Gegend ihr Blockhaus aufgebaut hatten. Das üppige Miamithal liegt nämlich jeden Sommer schwer unter dem Fluche der Fieber, und alle Viertelstunde wohnt ein Landdoktor. Hamilton hat auf jede hundertfünfzig Einwohner einen Arzt, darunter freilich auch frühere Bartscherer und die jämmerlichsten Pfuscher.

In der Nacht fuhr ich von Hamilton nach Dayton, neun Stunden, auf einem Kanalboot. Auch diese Stadt, „der Stern des Westens,“ ist großstädtisch im weiten Thalboden angelegt und im raschen Anwachsen. Man kann unsern Landsleuten, die einmal ihr Glück in der ungewissen Fremde versuchen wollen, nicht genug anrathen, sich aus den großen östlichen Städten wegzumachen und in diesen kleinern Städten des Westens anzusiedeln; denn wenn sie nicht gerade zu lange Unglück haben, so kann es nicht fehlen, daß sie mit diesen Städten heranwachsen und wohlhabend werden. Auf die Annehmlichkeiten der Geselligkeit müssen sie freilich meist verzichten. Das merkt man an der Freude, mit der hier ein gebildeter Deutscher einen Gast aufnimmt, mit welchem er in geistiger Heiterkeit verkehren kann. Auch ich fand in Dayton ein freundliches Haus bei einem Arzte und fuhr mit diesem in der Gegend umher.

Wir besuchten zuerst ein altes Denkmal, einen großen runden Erdhügel mitten im Walde. Daß dergleichen Hügel von Menschenhänden zusammengeformt sind, ist unzweifelhaft, aber man weiß noch immer nicht recht, was sie sein sollen. Sie sind so alt wie der Urwald, der sie überwächst. Die Meisten halten sie für indianische Grabhügel, obgleich die jetzigen Indianer nur ganz kleine Gräber machen. Man hatte in diesem Sommer einige solcher Erdkegel im Staate Ohio aufgegraben, und steinerne Streitäxte, Lanzenspitzen, allerlei Geräth, auf welchem selbst noch Abbildungen zu sehen waren, und Gebeine darin entdeckt. Auch in diesen Erdhügel war hinein gegraben, ohne daß jedoch etwas gefunden wurde. Eine Stunde von da, am Ende eines Bergrückens, zu dessen Füßen der Kanal weiter nach dem Norden führt, war oben im Walde eine weite Umwallung, deren Linien und Thore an einigen Stellen noch deutlich zu erkennen. Sie erinnerte mich an einen ähnlichen Wallgraben auf einer Waldhöhe bei dem Dorfe Kirchborchen in der Nähe von Paderborn, welche von einem befestigten Winterlager Karl des Großen herrühren soll. Ueber die Bestimmung dieser Umwallung in Ohio waren indessen alle geschichtlichen Spuren untergegangen; auch die Miami-Indianer hatten davon keine Kunde mehr. Alterthumsforscher haben aus solchen Resten aus alter Zeit einen Beweis mehr entnommen, daß Völker germanischen Stammes einst diese hügelwelligen Ebenen bewohnt hätten. Wird doch schon die Meinung verfochten, daß die Indianer selbst nur verkommene Ueberbleibsel der Normannen seien, welche in „Winland“ zuerst die amerikanische Küste betraten. Für die ächten alten Amerikaner aber ist es so gut wie ein Bibelwort, die Indianer seien Abkömmlinge der zehn verlorenen Stämme Israels. Diese verlorenen Hebräer machen überhaupt den Amerikanern viel zu schaffen, sie sind bei ihnen so populär wie der jüdische Geschichtsschreiber Josephus. Im tiefen Innern von China, in den persischen Gebirgen, in der asiatischen Hochebene und wo nicht sonst noch forschen amerikanische Missionäre so eifrig nach den zehn Stämmen, als suchten sie ihre verlorenen Brüder.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II