Abschnitt 4

V.
Cincinnati.


Die Religionsfreiheit wird durch die alttestamentlichen Ansichten vielfach verkümmert, dennoch entstehen und bewegen sich in keinem andern Volke so frei und so zahllos die Sekten. Man kann auch durchaus nicht sagen, daß Ehre, Leben und Eigenthum unter den Amerikanern so geschützt seien wie in Europa, aber ganz gewiß wird kein anderes Volk seine nationalen Güter mit soviel Feuer und allgemeiner Aufopferung vertheidigen.


Zum mexikanischen Kriege wurden im Staate Ohio einmal Freicompagnien ausgeschrieben, irgend ein bekannter Mann erließ seinen Aufruf und eröffnete ein Werblokal, in drei Tagen waren die deutschen, in zehn Tagen die englisch-amerikanischen Companien vollzählig. Sie wählten nun ihre Offiziere und Uniform selbst, der Hauptmann erhielt von der Regierung die Gelder für Sold und Ausrüstung, und bald darauf bezog das Regiment eine Stunde von Cincinnati ein Zeltlager. Ich brachte eine Nacht darin zu, die deutsche Hälfte jubelte fast bis zum andern Morgen, eine Lagerordnung war verlesen, aber von soldatischer Zucht wenig zu sehen. Morgens früh wurden Uebungen gehalten, unter unsern Landsleuten sah man neben den deutschen Landsknechtsgesichtern eine Menge junger Leute von besserer Bildung, denen dies jämmerliche Loos bei der Wiege wahrlich nicht gesungen war. Auch die andern Compagnien bestanden vorzugsweise aus Pennsylvanisch-Deutschen und Irländern, die Unteroffiziere waren selbst bei diesen meist frühere deutsche Soldaten. Der Yankee nimmt die Muskete nicht; Blut und Freiheit für Sold zu verkaufen, das erscheint seinem kaufmännischen Auge nicht blos als ein schlechtes, sondern als ein niedriges Geschäft. Es wurden mir auch Szenen genug erzählt, wie unsere Landsleute im Felde von den höhern Offizieren, bis zu deren Range höchst selten ein Deutscher sich aufschwingt, gleich Negern behandelt wurden. Aber possenhaftere Kriegsübungen konnte man nicht sehen, als bei diesen Freisoldaten. In Reih und Glied stand der eine im zerrissenen Schlafrock, der andere in schmutzigen Unterkleidern, dieser marschirte, jener schlenderte. Ein einziges preußisches Bataillon würde ein paar solcher amerikanischen Regimenter aufrollen, aber wohlbemerkt nur im offenen Felde. In ihrem eigenen Lande sind die Amerikaner gar nicht zu überwinden, es schützt sie wie die Russen nicht nur ihr ungeheures Gebiet, sondern es ist auch das ganze Land entweder Wald oder umzäunter Acker. Man könnte ihre Seestädte beschießen, jedes Heer jedoch, welches sich ins Innere wagte, würde langsam aber ohne Rettung unter den Kugeln unsichtbarer Schützen verbluten, selbst wenn es Hunger und Seuchen überstände. Jeder Farmerbursche hat seine alte Büchse, der Lauf ist oft nur mit Bindfaden an das Schloß geheftet, aber dennoch fehlt er unter zehnmal nicht einmal das Auge des Eichhörnchens hoch in den Bäumen. Ich sah einst einen Alten seinen Knaben von sieben Jahren anstellen, das Kind mußte mit aufgelegter Büchse ein paar Schweine niederschießen.

Es versteht sich wohl von selbst, daß auch Cincinnati seine reichen Leute hat, welche im Stande sind, ein altes Dampfschiff mit Säcken und Tonnen voll Sand und Steinen zu beladen, als gute Waare hoch zu versichern, und dann Schiff und Fracht während der Flußreise ganz zufällig verbrennen zu lassen, wenn auch unglücklicherweise ein paar arme deutsche Einwanderer ihr Leben dabei verlieren. Liebhaberei an solchen Streichen fände sich wohl in jeder amerikanischen Stadt, und man kann in keiner leben, ohne daß sie wöchentlich eine Reihe neuer Humbugs zu jedermanns Vergnügen hervorbringt. Manche Landsleute, deren Ideale oder Rechtlichkeitsgefühl hier gar zu arge Stöße bekommen, nannten deshalb die amerikanische Freiheit kurzweg die Freiheit einander zu betrügen. Ein guter Humbug macht sogleich tausend still lächelnde Gesichter. Es war im Winter 1847, als das amerikanische Korn und Fleisch der Hungersnoth in Europa zu Hülfe kommen mußte, ganz Cincinnati nichts als eine große Börse voll unermeßlicher Schwindeleien, und gefiel damals auch der folgende Streich. Ein Schweinefleischhändler hatte sich im Sommer vorher durch schriftlichen Vertrag 8 – 900 Schweine ansagen lassen, der Preis war vorher festbestimmt. Diese Art Glückspiel ist bei dem nationalen Hange zum Spekuliren auch bei den Lieferungen der Farmer in Getreide gebräuchlich. Als nun im Februar der Preis auf das Fünffache gestiegen war, stellte sich zu nicht geringer Freude des Kaufmanns der Geschäftsfreund mit den Worten ein, er habe die Schweine vor der Stadt. Eiligst wurden Anstalten zum Empfange der Vierfüßler gemacht, und es fand sich auch richtig die vertragsmäßige Anzahl von 8, der Bindestrich zwischen 8 und 900 blieb dem Kaufmann ein Strich durch die Rechnung.

Auch von Rowdies ist Cincinnati heimgesucht. Ich sah ihre Banden einmal ziemlich zusammen. Es bedeckten ein paar Tage lang unabsehbare Züge von Wandertauben den Himmel. Darauf kam Nachricht, sie hätten sich sechs Stunden von Cincinnati am Lickingflusse in Kentucky niedergelassen. Nicht drei Stunden dauerte es, da setzten schon hunderte von jungen Burschen, die alten Büchsen auf der Schulter, über den Ohio, den Tauben nach, und knallten sie nach Herzenslust von den Bäumen. Die Jagd ist in der Nähe der Städte fast allein den Tagedieben anheim gegeben, und deshalb hier kein recht anständiges Vergnügen mehr. So zahlreich nun dies Volk war, so unerschöpflich war es in Ausbrüchen von Wildheit. Bei hochprasselnden Feuern wurde Nachts im Walde gelagert, eine Unzahl von Bechern Whisky und heißen Kaffee ohne Milch wurden vertilgt, und wo immer man auf das Gespräch und Gelächter achtete, herrschte unbändige Laune, und wurden ebensoviel entsetzliche als lustige Streiche erzählt. Ich hätte lieber des Nachts bei Indianern als unter diesen Menschen bleiben mögen, und begriff nun wie es möglich sei, daß auch in Cincinnati in einem einzigen Monat so viele Todtschläge, Einbrüche und andere Gewaltthaten vorkamen. Einmal ging ich mit einem alten Geistlichen durch eine Straße, er war zufällig zwanzig Schritte vor mir und gerade vor dem Spritzenhause: da stürmte aus diesem am hellen Nachmittage ein Bursche auf ihn zu, schlug ihm mit einem Steine ein paar Zähne blutig in den Mund, und lief mit dem Rufe, „Gott segne euch, verdammter alter Dutchman!“ lachend davon. Eine Bestrafung dieses Frevels war möglich, wenn es möglich gewesen wäre, den Burschen aus seiner Bande herauszufangen, und dann vor Gericht zu überführen, ohne daß er durchschlüpfte. Leider nehmen auch manche unserer eingewanderten Landsleute amerikanische Unsitte noch viel schneller an als amerikanische Selbstständigkeit. Es ist eine Thatsache, welche nicht für Amerika spricht, daß Deutsche dort zehnmal schneller unehrenhaft werden, als wenn sie sich in England niederlassen. Ein Hauptmann der vorgedachten deutschen Compagnien wurde eines Abends aus der Gesellschaft auf die Straße gerufen, zwei Menschen fielen über ihn her und richteten ihn arg zu mit langen Messern, sein Hülfegeschrei rettete ihm eben noch das Leben. Der dringendste Verdacht ruhte auf zwei deutschen Literaten, welche nun freilich eine Zeitlang allgemein verachtet waren. Mit wahrer Freude denke ich dagegen zurück an die deutschen Volks- und Liederfeste auf dem Baldhill, einem weinbegränzten Hügel am Ohio mit entzückender Aussicht. Da war wirklich Lust an Wein und Liedern, an Natur und Gesellschaft. Gerade Cincinnati vereinigt eine bedeutende Anzahl höchst achtungswerther und gebildeter Deutschen, aber die Marats der deutschen Presse fehlen auch nicht, und selbst aus der fröhlichsten Gesellschaft weicht selten ganz das Gefühl, daß man halb und halb in einem Lande der Verbannung ist.

In der letzten Hälfte meines Aufenthalts in Cincinnati zog ich mich einsiedlerisch auf meine Arbeit zurück, studirte des Morgens hinter geschlossenen Läden, um die entsetzliche Hitze abzuhalten, und schlich mich dann in die Wälder nahe bei der Stadt; dort schrieb und ruhte ich tagsüber im kühlen Schatten und labte mich zwischendurch in einer deutschen Milchwirthschaft. Ueberaus erfrischend waren dann die Gewitter, die fast jeden dritten Abend sich einstellten und in diesen westlichen Gegenden furchtbar prächtig sind. Die Blitze zackten sich in jäher Hast, der ganze Himmel war Feuer und Gluth, Schlag auf Schlag prasselte erschütternd der Donner, und in wenigen Minuten ergoß sich die Regenfluth in Bächen über den Boden. Manchmal begleiteten mich auf meinen einsamen Waldgängen Landsleute von originellem Wesen. Man glaubt kaum, wie viele solcher deutschen Originale schon in Amerika stecken. Dies Land entzieht uns nicht allein unschätzbare Mengen von rüstigen Leuten und Geldern, an Amerika denkt auch gleich, wer sich mit irgend einer neuen Idee herumträgt. Und wie rasch wird sie hier zu Wasser und nicht zu Brod, die meisten solcher Einwanderer nagen am Hungertuche. Eingeborne Originale giebt es in Amerika natürlich wenige, in dem uniformen Rock und Hut steckt durchgängig die uniforme amerikanische Seele; eher sind die Sonderlinge zu finden, denen durch die Löcher im Mantel die Eitelkeit breit hindurchsieht. Nur hin und wieder trifft man auf einige ächte Züge von Originalität. So besuchte ich zu Zeiten einen ausgezeichneten Professor der presbyterianischen Theologie, er war einer der Enthusiasten für Deutschland, und hatte über unsere Volksschulen, die er selbst besucht, hochrühmend geschrieben; auf seinem Kaminsims standen die Büsten seiner beiden größten Heiligen, das waren Calvin und Tholuck in Halle. Seine herzensgute Frau dachte damals noch nicht, daß ein kleines Buch über einen armen Sklaven sie zu einer Weltberühmtheit machen werde. Den großen Astronomen von Cincinnati traf ich gerade, während er seine Wagenräder firnißte, er erzählte mir dabei so Riesenhaftes von seinen Arbeiten und Vorlesungen, daß ein deutscher Gelehrter dagegen wahre Kinderarbeit verrichtet. Der Mann hatte aber die Kaufleute, Prediger und Advokaten der Stadt so nachdrücklich bei ihrer schwachen Seite zu fassen gewußt, bis sie ihm Geld genug gaben, womit er hoch oben auf einer runden Kuppe, von der man Stadt und Fluß in ihrer Hügelumwallung überblickt, eine prächtige Sternwarte baute, und aus Deutschland ein Frauenhofer’sches Fernrohr holte, das fast zehntausend Dollars kostete. Handwerker und Kärrner leisteten umsonst Arbeiten und Fuhren, und wenn diese ausblieben, fuhr der Professor selbst Sand und Steine auf den Berg und legte mit Hand an’s Werk. Herren und Frauen zahlen noch jährlich Beiträge und kommen Abends herauf, um nach dem Monde zu sehen. Astronomie ist überhaupt eine Lieblingssache der reichen Amerikaner geworden, die Klarheit der Lust und die Vorliebe für Mathematik regen dazu an, selbst Kaufleute errichten sich kleine Sternwarten und studiren am Himmel umher. Der Professor sagte ganz aufrichtig, er stehe auf den Schultern der größten Astronomen, wurde aber nicht wenig ärgerlich, als ich mir die biblische Schöpfungswoche und die Wunder des Josua und Gideon nicht ganz wörtlich zu erklären suchte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II