Abschnitt 3

X.
Hauseinrichtung.


Sehen wir nun den Bau und die Einrichtung der Häuser näher an, wie sie jetzt hauptsächlich in Frankreich und Deutschland gewöhnlich sind, so erkennt man nur noch etwas vom nationalen Stempel darin und auch das ist halb verwischt. Man baut die Häuser eben nur, um möglichst viele Menschen darin, jeden egoistisch für sich gesondert, unterzubringen. Da liegt denn die Kasernenform sehr nahe, der untere Stock muß zu Kaufläden und Werkstätten verwendet werden, die Armen müssen mit Kellergeschoß, Dachräumen und Hinterhöfen vorlieb nehmen. Künstlerischer Schmuck und gefälliges Aeußere sind mehr als Nebensache geworden. Wer so viel Geld und Geschmack hat, daß er eben nur nach seinem Behagen ein Haus haben will, und darauf verzichtet noch mehr Geld zu gewinnen, – und dieser Leute giebt es heutzutage merkwürdig wenige, – der baut sich nach irgend einem Baustil aus der altgriechischen oder mittelalterlichen Zeit, nach Palladio oder nach eigenem Genie sein Haus, in der Regel aber verfällt er auf die freundlichen Formen von Gartenhäusern oder Landsitzen, welche glücklicherweise in Mode gekommen.



Die Weltsitte bedingt jetzt nur eigene Räume für jeden Hausbewohner oder Gast, und einige größere Zimmer, um Gesellschaft zu empfangen. Wie wenig Willkühr erlaubten sich dagegen unsere Vorfahren in der ganzen Einrichtung des Hauses, wie angemessen erschien alles der damaligen Ordnung der Familie und des Hausstandes. Da war vor allem die große Familienstube mit dem Ehrensitze für Hausherrn und Hausfrau, den erhöhten geschmückten Räumen in den Erkern oder in den Fensternischen für die Töchter, dem schimmernden Schrein für Silbergeräth und Ehrengeschenke. Da war ferner vor der etwas höher liegenden Familienstube die Diele oder die Hausflur, wo die Kinder spielten, die hellglänzende und geräumige Küche, wo man sich manchmal am Heerde sammelte, der große Saal mit alterthümlichen Bildern für besondere festliche Gelegenheiten. Das Schlafzimmer der Herrschaft hatte seinen bestimmten Platz im Hause, es war stets so angebracht, daß von da aus durch ein Guckfenster zu überschauen, was im Hause vorging. Oben im Hause lagen die Schlafstuben für die Söhne und Töchter, die Gastzimmer, die Leinenkammer, die Bibliothek; im Hinterhause befand sich nahe an der Küche die Mägdekammer, auf dem Hofe nahe den Stallungen die Knechtskammer, unmittelbar an der Küche war die Gesindestube. Zu den weiten Kellern unter dem Hause kamen andere Räume für die Vorräthe und Waaren auf dem hohen dreifach durchschichteten Boden. Diese ganze Einrichtung ist in den neuern Häusern abgeworfen. Das deutsche Bürgerhaus mit dem hohen Giebeldach ist fast gänzlich aus der Mode gekommen, man braucht keinen Boden mehr zum Aufbewahren des Vorraths, weil man bei den erleichterten Verkehrsmitteln das Nöthige täglich auf dem Markte oder in den Läden kaufen kann.

Es ergaben sich nach den vier großen ethnographischen Gebieten Deutschlands vier verschiedene Formen von deutschen Bauernhäusern. Das niedersächsische Bauernhaus ist hochgieblich und weiträumig, besteht aus Fachwerk, und hat Tenne, Ställe für Pferde und Rindvieh mit den Wohnungen unter einem Dache. Auf die lange Tenne führt das Einfahrtsthor; die Krippen in den Stallungen können zu beiden Seiten unmittelbar von der Tenne aus beschüttet werden. Oben im Hause ist die um einige Stufen erhöhte Familienstube mit der Kammer für die Eheleute, davor die Küche, zu deren beiden Seiten sich kleine Thüren auf Hof und Garten öffnen. Steht die Hausfrau am Heerde, beherrscht ihr Auge das ganze Haus. Diese Hausform findet sich im ganzen Norden bis tief in Norwegen hinein. Die zweite ist die süddeutsche, sie wird zunächst durch den Holzbau bedingt, ist einfacher als die niedersächsische, hat für die Familienstube einen Vorbau, und an einer oder auch der andern Seite des Hauses läuft außen am zweiten Stock eine Gallerie her, während darunter die Thüren zu den Stallungen sind. Während das niedersächsische Haus einen Hof hat, aber die Giebelseite nach der Straße zukehrt, steht das süddeutsche meist gleich an der Straße und zwar mit der Langseite. Eigenthümlich ist darin eine gewisse trauliche Dunkelheit und Geschlossenheit in den vielerlei kleinen Räumen. Bis in die Alpen und die Donau hinunter ist das süddeutsche Haus verbreitet. Mehr ins Oesterreichische hinein bekommt es etwas mehr Wohlhäbiges und Helles, während in der Schweiz die Holzverzierung zunimmt, aber auch das Dach geneigter und schwerer, das Innere des Hauses dunkler wird. Im Westen von Deutschland, besonders am Rhein und Main und in Thüringen herrscht die dritte Form, die fränkische. Das Haus hat hier ein mehr bürgerliches Ansehen mit hellen Fenstern, ist kleiner, aber fester, in der Regel von Steinen gebaut und eingerichtet auf einen sorgsamen Anbau von wenigen Morgen Landes. Das Vieh ist untergebracht in abgesonderten Ställen, welche entweder neben dem Hause stehen oder demselben angebaut sind. Endlich im Osten von Deutschland, soweit früher die Slaven ihre Sitze hatten, begegnet uns am häufigsten die vierte Form, welche wir die slavische nennen können. Sie ist daran kenntlich, daß das Haus ein kleines Viereck einnimmt, sei es nun aus Erde und Lehm oder Stein oder Holz gebaut; sowohl zu den Vorrathsräumen als für die Stallungen sind besondere kleine Häuser neben das Wohnhaus gebaut. – Ueberall aber nimmt in Deutschland auch auf dem Lande die willkührliche Einrichtung des Hauses bei Neubauten und Ausbesserungen je nach zufälligem Gefallen oder Bedürfniß überhand. Selten baut ein Bauer noch ein Haus streng in der Weise seines Landes, eine kleine Verbesserung oder sonstige Neuerung müsse, glaubt er, daran angebracht werden.

Daß wir nun bei solcher Willkür und Regellosigkeit, wie sie jetzt in Bau und Einrichtung unserer Häuser und in den Haussitten überhaupt besteht, uns gerade schlecht befänden, kann man gewiß nicht sagen. Ein Entgegenwirken würde aber völlig vergeblich sein. In der letzten Zeit der römischen Welt riß ein ähnliches Durcheinanderwerfen von Baustilen und Volkssitten und ein Abstreifen der Sitten und Ordnungen der Vorfahren ein. Auch heute ist die gleiche Erscheinung ein Zeichen, daß um uns ein Absterben vorgeht; aber es ist nur das Absterben der mittelalterlichen Weltanschauung und sozialen Einrichtungen. Die Fülle und Energie jedoch der religiösen und politischen Ideen, welche jetzt die Welt bewegen, die riesige Macht der Literatur, noch mehr die ungeheuren Eroberungen auf dem Felde der Naturwissenschaften, durch welche neue Naturkräfte entdeckt und die bekannten bezwungen werden, das alles giebt Bürgschaft, daß die Kulturvölker sich nur in einem Zustande der Erneuerung und des Uebergangs befinden. „Von einem Ufer abgefahren und noch nicht am andern gelandet.“ sagt ein russisches Sprüchwort, das drückt unsere jetzigen Zustände aus. Sollte wirklich darin, daß unsere Häuser so häufig etwas Gasthof-, Fabrik- und Kasernenartiges annehmen, schon eine Hindeutung liegen, daß neue Gemeinschaftsverhältnisse sich allmählig, wenn auch erst in langer Zeit entwickeln werden? – Aber ebenso gewiß hängt mit dem Vorherrschen jenes Willkürlichen und Zufälligen in unserer Hauseinrichtung zusammen, daß das Leben des Einzelnen wie das Leben der Völker seine festen Normen und seinen ruhigen sichern Gang verloren hat, und daß statt dessen Bewegungen, welche stoß- und schwungweise alles mit sich fortreißen, um bald darauf für eine Zeitlang wieder Ruhe und Ermattung folgen zu lassen, in der Gegenwart so gewöhnlich sind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II