Abschnitt 2

X.
Hauseinrichtung.


Merkwürdig ist diese Einförmigkeit besonders in Rußland. Durch all die vier Landstriche dieses weiten Reiches, von dem nordischen dichtbewaldeten an, durch den steinigen und halbbewalteten und ferner durch die fetten fruchtbaren Striche hindurch bis zur Steppengegend, findet sich immer das kleine russische Bauernhaus wieder, das mit seiner Giebelseite und den drei kleinen Fenstern darin, welche für die eine und gemeinsame Stube des Hauses dienen, auf die Straße sieht; über den Stubenfenstern fehlt im Dachgiebel niemals das eine Fenster für die Kammer der Töchter oder Mägde. Auch die Häuser des Adels im Innern von Rußland sind der Regel nach einstöckig und von Holz, nur mit dem Unterschied, daß sie geräumiger und mit einigen meist sehr überflüssigen Säulen vor der Thür oder einem Balkon geziert sind. Auch das russische Bürgerhaus in den Städten ist nur das verschönerte und bemalte kleine russische Bauernhaus; die Form und Ausdehnung besserer Bürgerhäuser ist, wie der Bürgerstand überhaupt, in Rußland nur von außen eingeführt, nicht auf nationalem Boden erwachsen. Im russischen Hause aber richtet sich die ganze Einrichtung und Lebensweise nach der patriarchalischen Sitte; alle Mitglieder der Familie stehen einander völlig gleich, aber sie alle sind auch gleichmäßig unterthan dem Familienhaupte, der Vater oder der älteste Bruder statt des Vaters hat unbeschränkte Gewalt. Es finden sich daher für ihn oder seinen geehrten Gast die besondern Ehrenplätze, und die Familienmitglieder verweilen nicht jeder einzeln im besondern Raum, sondern im gemeinsamen Saale. Die vornehmen Russen schleppen nun freilich noch mehr, als ihre Standesgenossen im übrigen Europa, zu ihren Häusern alle möglichen Baustile und Geschmacksrichtungen zusammen; aber wie unter all der gefälligen Glätte, welche der vornehme Russe so leicht annimmt, doch das Herbe und Gewaltsame des russischen Charakters immer wieder durchbricht, so siedelt sich auch in den modernsten russischen Wohnungen immer wieder die nationale Sitte an und sammelt die Familie im gemeinsamen Raume, wie die Leibeigenen in dem ihrigen. Die Russen finden sich stets unbehaglich in Häusern mit vielen kleinen Zimmern, welche noch dazu vollgepfropft sind von Möbeln und Hausrath; die russischen Großen bauen daher ihre Häuser um so viel größer, und die Familie wandert aus einem Zimmer ins andere, um sich dann hier, dann dort gemeinsam niederzulassen.


Wir wenden uns jetzt zu den Kulturvölkern.

Unter ihnen allen ist die nationale Sitte, welche sich in Bau und Einrichtung der Häuser zeigt, im schnellen Abnehmen begriffen. Schwach und vereinzelt erhalten sich noch die Spuren dessen, was einst dem häuslichen und gesellschaftlichen Leben eines jeden dieser Völker seine eigenthümlich feste Färbung gab, nur das Klima fordert noch immer sein altes Recht. Das schwedische und norwegische Haus ist ungleich Vorrathshaus und eingerichtet für den langen Winter; das alte finnische hat seiner kleinen Fensterlöcher wegen selbst am hellen Tage nur Zwielicht. Das spanische Haus kann des nationalen Balkons, auf welchem man frische Luft und den Blick in die Straßen genießt, nicht entbehren. Das italienische behält noch immer das Leichte und Freie eines Landhauses, in welches Licht und Luft von allen Seiten eindringt.

Am steifsten halten die Holländer und Engländer fest an der Hauseinrichtung ihrer Vorfahren. Der Holländer baut noch immer nur wenige Räume, welche aussehen als wären sie nur der Reinlichkeit wegen da. Den bessern Theil des Hauses hält er den größten Theil des Jahres verschlossen, weil er ihn nur für festliche Tage öffnen und ihm durch den täglichen Gebrauch nicht den Anstrich des Verwohnten geben will. Seine Küche hat er wie der Engländer halb in der Erde. Der Engländer legt auf das Wohnzimmer, das allen Hausbewohnern gemeinschaftlich ist, das Hauptgewicht; die Privatzimmer sind klein und überaus einfach, aber jenes muß geräumig sein und wohlgelegen, einen großen Tisch und einen kleinen mit einer Menge von Sesseln, und unfehlbar seinen Kamin mit einem Kamingesims haben, welches mit irgend einer glänzenden Ausstellung prunkt. Ein größeres englisches Haus ist ein Muster von vollendeter Einrichtung. Es enthält regelmäßig die vier großen Räume des Wohn-, Speise-, Bibliothek- und Gesellschaftszimmers; die Küche mit Geschirr-, Milch- und Waschhaus befinden sich am Hinterhofe, die Schlafzimmer oben im Hause.

Noch viel mehr in feststehenden Formen bauen die Nordamerikaner. Dieses Volk hat sonst alles abgestreift, was die freie Bewegung in Handel und Gewerbe, und die freie Meinungsbethätigung in Politik und Religion behindert, in seinem Hausbau aber befolgt es sklavisch eine gleichförmige Regel. Ein Blockhaus ist freilich schon an sich so einfach, daß es nicht viele Geschmacksentfaltung zuläßt, aber merkwürdig bleibt es doch, daß jedesmal, wo man es im weiten Gebiete der Vereinigten Staaten antrifft, Heerd, Ehebett, Bank, Fenster und Thür in dem einen sich genau an derselben Stelle befinden, wie in dem andern, das Dach überall gleich gebaut, ja selbst ein Normalmaß in Länge und Breite vorhanden ist, von welchem nur selten abgewichen wird. Aber auch das Backstein- und Bretterhaus in und bei den amerikanischen Städten trägt dieselbe Einförmigkeit von innen und außen zur Schau, mag es am atlantischen oder am indischen Ozean stehen. Im Erdgeschoß sind Küche, Vorrathszimmer und die Wohnstube des Gesindes; zur Hausthür führen immer ein paar Stufen, dann tritt man in einen schmalen Gang und von da ins Besuchszimmer. Dieses hat nothwendig einen runden oder halbrunden Tisch mit einem nie fehlenden Durcheinander von schön gebundenen Büchern, Daguerreotypbildchen und kleinen Ehrengeschenken. Hinter dem Besuchssaal ist, nur durch eine Zwischenwand von blanken Flügelthüren getrennt, das Wohnzimmer, wo ebenso gewiß jedesmal ein Piano steht, und wäre es auch der ärgste Schnarrkasten von der Welt. Die Zwischenwand wird nach Belieben, besonders des Abends bei Gesellschaft, weggeschoben, und dann hat man einen großen Saal. Reichere haben im ersten Stock auch noch Bibliothek-, Zeichnen- und andere größere Zimmer, welche ebenfalls zum allgemeinen Gebrauche dienen. In einem Anbau des Hauses nach hinten befindet sich der Regel nach der Raum zum Speisen. Im zweiten und dritten Stock sind Privatzimmer, ganz oben sehen noch kleine Fenster aus der Gesindeschlafkammer heraus. Der Amerikaner hält, wie der Holländer und Engländer, noch darauf, daß jede Familie ihr Haus für sich hat. Der Hausfrieden, das Gefühl, daß man im Hause sein eigener Herr ist, wird ihnen durch die Miether gestört. Wer miethen muß, hat auch gleich ein ganzes Haus zu miethen. Die Folge davon ist, daß die Privathäuser klein und ziemlich einförmig sind. In Deutschland und Frankreich, und zum Theil auch schon im übrigen Europa, sind der Beamten und anderer, welche nicht für ihre Lebenszeit auf einen festen Sitz rechnen, zu viele, hier mußten daher immer Wohnungen zum vorübergehenden Aufenthalt zu miethen sein. Es ergab sich daraus, daß die Häuser nicht einfach so gebaut wurden, als man sie für die eigene Familie brauchte, sondern so groß als der Eigner Geld oder Kredit oder Laune zum Bauen und Aussicht zum Vermiethen hatte. Man richtete mehrere für sich abgeschlossene Reihen von Zimmern als besondere Familienwohnungen in einunddemselben Hause ein, und der Miether hat nun den Vortheil, nach belieben und Jahreszeit seine Wohnung wechseln zu können. Der Junggesell aber hat auf dem Kontinent von Europa nicht nöthig, sich wie in England und Amerika in ein Kosthaus zu begeben, wo er gern oder ungern sich Tisch und Mitgliedschaft der Familie und die Pflicht, deren Damen den Hof zu machen, gefallen lassen muß, sondern er miethet sich Zimmer und Hausschlüssel, und bleibt so frei wie ein Vogel in der Luft. So zeigt sich in tausend solchen kleinen Dingen, daß bei uns der Einzelne im Privatleben freier und ungebundener ist, als bei den politisch geschlossener und gewaltiger auftretenden Völkern. Dafür ist auch bei uns das Volk, wenn es als Masse denken und handeln soll, schwächer an hausbackenem Verstand, an Energie und Haltung. Vielgereiste gestehen, man könne in keinem Lande unter so angenehmen und heitern Sitten, so entledigt allen Zwangs steifer Förmlichkeiten, so unbeengt von kirchlichen Rücksichten und stocknationalen Vorurtheilen, so rein hingegeben den Freuden, welche Kunst und Literatur im Verein mit schöner Geselligkeit gewähren, kurz so ächt human leben als in Deutschland; – aber trägt nicht eben dies weltbürgerliche Talent der Deutschen einen großen Theil der Schuld daran, daß sie noch immer so schwächlich sich geberden, wo es gilt, an Herrschaft und Vortheilen in den Ländern dieser Erde auch das ihrige in Anspruch zu nehmen?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II