Abschnitt 1

XI.
Gentlemen Farmer.


Vielleicht hängt es mit der Ehrlichkeit der Deutschen zusammen, daß sie auch an natürlicher Grobheit nicht arm sind. Die Zeiten sind zwar gewesen, wo die deutschen Ritter und Hansebürger manch fremdem Lande Proben jener Naturanlage zu kosten gaben, desto freigebiger bewirthen sich aber damit jetzt die Volks- und Kirchen-, Kunst- und Gelehrten-Stämme der Deutschen. Ein Blick in unsere Literatur zeigt noch immer redende Bilder dieser Färbung, obgleich offenbar jener neidische und leicht mit Grobheit gepaarte Zug nicht mehr in dem Grade wie früher eines der Kennzeichen deutscher Schriftstellerei ist. Unsere Literatur ist anständiger geworden, ohne an Kern und Gehalt einzubüßen. Meisterstücke von Grobheit aber liefern sich unsere Landsleute in Amerika, dessen Volk ja überhaupt nach der Ansicht Vieler noch tief in den Flegeljahren stecken soll. Nicht wenige Deutsche dort aus den untern Klassen thun sich ordentlich etwas daran zu Gute, ihr neues Gleichheitsbewußtsein auf möglichst derbe Art die gebildeteren Landsleute fühlen zu lassen. Nächst den protestantischen Predigern haben davon am meisten diejenigen Deutschen zu leiden, welche in der alten Heimath nur die Feder oder den Degen führten, in der neuen aber zu Axt und Pflug gegriffen haben. Der Amerikaner nennt sie Gentlemen Farmer, der Deutsche hat für sie den Namen Lateinerfarmer erfunden.


Sie bilden in allen Gegenden der Union eine hervorstechende Klasse von Ansiedlern, nur in den Sklavenstaaten sind sie wenig vertreten. Außer Wisconsin aber ist kein Landestheil stärker von ihnen bevölkert, als der südwestliche Strich von Illinois, welcher St. Louis gegenüber zwischen dem Mississippi und Kaskaskia liegt. Schon in den dreißiger Jahren, als Duden seine verlockenden Briefe schrieb, hatte sich eine Anzahl von deutschen Adeligen und Beamten, Gelehrten und Predigern hier angesiedelt, getrieben von unbezwinglicher Sehnsucht nach Freiheit und Naturfrische, nicht wenige auch geleitet von stillen Rittergutsideen. Jene Gegend, auch wohl das Lateinerviertel genannt, gehört zu den fruchtbarsten und wohlgelegensten in Amerika, aber nicht zu den gesundesten. Wie die Fieber hier hausen, davon bekam ich gleich einen Vorgeschmack, als ich von der Fähre, welche mich von St. Louis nach der Illinoisseite gebracht hatte, mein Pferd ans Ufer führte. Ein junges Mädchen saß auf einem Baumstamme, bleich und vom Fieber durchschüttelt, ein ältlicher Herr hielt ihr Haupt an seine Brust und führte sie dann langsam mit bekümmerten Blicken auf’s Fährboot. Ich ritt an langen Zügen von Vieh und Wagen vorbei, prächtigere Ochsengespanne konnte man nicht sehen. Oft zogen acht Stiere vor einem Kornwagen, um ihn durch das tiefe Erdreich der Wälder zu bringen. Mit ein paar Farmern, welche aus dem Rheingau stammten, kam ich ins Gespräch; sie sagten, sie hätten zu leben, aber auch Fieber genug; ohne die Krankheiten, meinten sie, hätte man es schon zu etwas bringen können, jetzt seien sie noch nicht viel weiter als vor sechs Jahren, als sie hergekommen. Um in der Sonnengluth durch einen Trunk kühlen Wassers mich zu erfrischen, trat ich in einige Blockhäuser am Wege. In manchen Hütten war auch nicht einmal Wasser zu bekommen, wohl aber fand ich in fast jedem Hause einen Fieberkranken, der sich mühsam mit erdfahlem Gesicht und schlotternden Gliedern von seinem Lager hob. Einer, dem der Tod schon aus den Augen sah, verschmachtete selbst vor Durst, seine Leute waren nach der Stadt, ich mußte ihm erst eine Strecke weit einen Napf voll Wasser holen. Manche dieser armen Hütten boten von außen, halbversteckt zwischen dem mannigfachen Grün von Kräutern, Ranken und Bäumen, einen freundlichen Anblick. Hinter dem Hause aber gab es Pfützen oder nahebei im schönsten Gehölze häßliche Sümpfe. Des Ansiedlers Zeit und Kräfte reichen in den ersten Jahren nicht hin, solche Fieberlöcher auszufüllen und dadurch die Luft zu verbessern, später wird er lässig und verdrossen und verfällt in die Landesgewohnheit, blühendes Leben gleichgültig zwischen Tod und Gefahren zu erblicken.

Diese traurigen Eindrücke wurden aber immer wieder verdrängt durch den mächtigen grünen Glanz, den die ganze Gegend auszustrahlen schien. Haide, aber tausendmal schöner als norddeutsche, voll des üppigsten blumigen Grases, wechselte ab mit italienischen Hainen und wieder mit hochwogenden Baummassen. Von den Maisfeldern, welche wie gelbe Teiche und Seen sich durch die grüne Fülle zogen, kamen Aerntewagen, und durch das Gehölz drängten sich die stattlichsten bunten Heerden. Durch ein langes Gewinde von Hügeln, welche einst die bis hierher rollende Mississippifluth ausgerundet hatte, kam ich auf eine weitgedehnte Wiesenfläche, über welche mein Pferd in geradem Strich dahin schoß. Die amerikanischen Pferde sind hartmäulig und schwer zu lenken, man muß die Zügel scharf fassen und sie mit voller Kraft rechts oder links herumreißen, aber in geradem Laufe stiegen sie wild und unermüdlich, ohne einmal zu verschnaufen. In den Pferden wie in den Stieren und Säuen, welche muthiger und klüger, man möchte sagen, praktischer, als die europäischen Hausthiere, ihrer Nahrung im wilden Walde nachgehen und mit Geschick und Ungestüm den Einbruch in die Feldumzäunungen versuchen, steckt dieselbe Landesnatur wie in den Menschen. Gegen Abend kam das Vieh truppweise gelaufen und lagerte sich vor den Zäunen. Längs des Waldrandes blitzten die Fenster in einer Reihe von netten mit grünen Läden geschmückten Farmhäuschen, untermischt mit grauen Blockhäusern. Im Dunkeln scheute mein Pferd vor einem Gegenstand am Wege. Es richtete sich aus dem Grase ein Mann auf, der sich als einen alten Berner Postknecht zu erkennen gab. Der Weg nach der Schweizeransiedlung Highland war ihm zu weit geworden, weil er aus bloßer Verzweiflung, wie er sagte, zuviel Branntwein getrunken. Ist er bei dieser Gewohnheit geblieben, so ist er wahrscheinlich todt. Denn ein Säufer, der in Europa es noch zehn Jahre ausgehalten hätte, ist in Amerika in zehn Monaten dahin. Eingeborne Amerikaner widerstehen dem Branntweingifte länger.

Ich blieb die Nacht und den andern Vormittag in Highland. Tags über hatte die Augustsonne heiß genug gebrannt, in der Nacht zitterte ich im Bette vor Frost. Das Städtchen liegt nett und einladend auf einer Anhöhe. Die Häuser, meist von Handwerkern, Wirthen und Handelsleuten bewohnt, gruppiren sich um den Hügel bis in die Prairie hinein, in dieser wohnen die Farmer zerstreut. Highland ist der Mittelpunkt eines fröhlichen und geselligen Lebens, man versuchte sogar ein Liebhabertheater, die Methodistenkirche stand nicht weit davon. Mit meinen dortigen Gastfreunden besuchte ich einige Farmen, in welchen wirkliche Bauern wohnten; es war wohnlich darin, die besten freilich waren mit Schweizer Gelde gebaut. Man versuchte alle Arten von Getreide-, Wiesen-, Obst- und Weinbau, um zu sehen, was am besten geriethe. Von einer einzigen solchen Ansiedlung hat der ganze Staat Lehrgewinn. Die früheren Alpenbewohner brachten hier weniger vor sich, als diejenigen Schweizer, welche ehemals in den Vorlanden des Hochgebirgs wohnten. Ein anderer Sammelplatz deutschen Lebens ist Belleville, das ich einige Tage später auf der Rückkehr nach St. Louis besuchte. Diese lebhafte und freundliche Stadt ist vorzugsweise von gebildeteren Deutschen bewohnt und bietet unsern Landsleuten mehr Annehmlichkeiten, als irgend eine ähnliche Stadt in Amerika.

Von mehreren kleinen Höhepunkten um Highland hatte ich bereits eigenthümliche Aussichten auf die Prairie gehabt. Am Nachmittag war ich allein in diesem einsamen Meere von wildem Gras und Blumen, das sich still und endlos ausdehnt. Ringsum und soweit man sehen konnte, schien sich in leichten Wellen die Wiesenfläche bis in unermeßliche Fernen zu ziehen, wo ihr grünlicher Schimmer mit der Himmelsbläue zusammenfloß. Gerade wie vom Schiffe aus gesehen der Meeresspiegel scheinbar rings gegen den Horizont ansteigt, so glaubt man auch hier immer, es sei der fernverschwindende Prairierand höher als der eigene Standpunkt. Das reinste Himmelsblau wölbte sich in unermeßlichem Bogen über die Wiesenfluren. Zu Zeiten ließ sich auf der Prairie Kuhgeläute hören, dessen munterer Klang sich bald wieder in die tonlose Stille verlor. Wenn aber von weitem der Wald sichtbar wurde, schallte alsbald der Schlag der Aexte herüber.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II