Abschnitt 4

VII.
Gesellschaftliche Gegensätze.


Im Gesellschaftszimmer kommandirt das junge Volk. Die Herren stürmen zur Tafel wie wilde Burschen, die mit Schnelligkeit und Gelächter ihre Stühle erobern wollen. Die Damen schmücken sich mit den prachtvollsten Stoffen, mit kostbaren Spitzen und überreichlich glänzenden Juwelen; es ist nicht der geläuterte Geschmack, der sich darin kund giebt, sondern die jugendliche Freude an Putz und Glanz. Es schlingt sich fortwährend durch die Gesellschaft eine Kette von jugendlicher Lust, von Lebhaftigkeit und Flattersinn, von Offenheit und Edelmuth. Aber mitten dazwischen fährt auch häufig ein kalter Windstoß, die Jugend stockt, rechnet und überdenkt; es ist als wenn ihre Fröhlichkeit aus dem Willen und Verstande und nicht aus dem Herzen käme, als hätte man alte Leute mit jungen Gesichtern vor sich. Oft scheint das Völkchen mit Lachen und Jubeln nahe daran, sich in Zuchtlosigkeit aufzulösen, und doch, sobald stille Wünsche von irgend Jemand berührt werden, stellt sich sofort bei ihm nüchterne Selbstbeherrschung ein. Bei größter Heftigkeit der Begierden hält sich jeder fast instinktmäßig im Zaum. Die amerikanische Gesellschaft ist im Ganzen ein treues Abbild des sanguinisch-melancholischen Charakters, der im Volke überwiegt. Der Amerikaner ist lebhaft, empfänglich, gleich voll warmen Gefühls, gleich zuversichtlich und überschwänglich in seinen Hoffnungen, aber es bedarf vielleicht nur weniger Minuten, um ihn schweigsam und in trüber Stimmung zu finden, es ist jedoch eine gewisse trockene Melancholie, die niemals trauert und niemals das Rechnen vergißt.


Auch in der Unterhaltung ist ein ähnlicher Gegensatz merkbar. Die Phantasie des Amerikaners ist feurig und fliegend, sie stürmt ungestüm auf ihren Gegenstand los und macht Luftsprünge von einem zum andern. Kein Volk wird so leicht von einer Idee ergriffen und fortgerissen, und das erhebt den Amerikaner hoch über die ewig im Kleinlichen arbeitenden Leute; aber er treibt die Idee, die ihn erfaßt hat, auch gleich bis in ihre äußerste Spitze, wo sie zur Schrulle wird. Die Summe von neuen und originellen Ansichten und Gedanken aber, welche die amerikanische Unterhaltung beleben, ist auffallend dürftig. Was einmal an der Tagesordnung ist, bekommt man vorgesetzt wie täglich Brot, es wird sofort zum Gemeinplatz, wie denn auch die Sprache der Amerikaner noch viel reicher ist an feststehenden Redensarten, als die der Franzosen und Engländer. Der Amerikaner denkt und spricht gern über alles in der Welt, was ihm in Schriften oder Gesprächen irgend woher zukommt, er möchte jeden Satz auch in seiner letzten Konsequenz erkennen und aussprechen, aber es hängt ihm etwas vom Unglück der Eklektiker an. Diese sammeln eine Menge Ideen aus aller Welt und fügen sie zierlich in einander, aber keine einzige hat innere Wahrheit und frische Triebkraft.

Die amerikanische Unterhaltung würde an Gehalt und Anmuth unvergleichlich gewinnen, wenn die verheiratheten Frauen mehr Einfluß darauf hätten. Aber das ist wieder ein Punkt, wo sich Gegensätze scharf berühren. Es ist bekannt, wie die Frauen in Amerika vergöttert werden, sie sollen nur die Freuden des Lebens und nie dessen Arbeit und Mühen kosten. Sie schalten ganz frei in ihren kirchlichen Kreisen und setzen vorzugsweise daraus die Gesellschaft zusammen, die sie bei sich sehen wollen. Das Gefühl der weiblichen Würde steigt bis in die letzten Volksschichten hinunter. Und dennoch bedeuten die Frauen in Amerika im Grunde weniger als bei uns. Ihre Erziehung scheint dort darauf angelegt, sie schwachnervig und schwindsüchtig zu machen. Mangel an Dienstboten und Herkommen erlauben ihnen wenig freie Stunden außer dem Hause. Man verbannt sie von öffentlichen Festen und sperrt sie auf Reisen in Gasthöfen und Dampfschiffen in eine Art Serail, und die Männer sind im Ganzen wenig in ihrer Gesellschaft. Ein praktischer, fast männlicher Geist ist den Amerikanerinnen vorzugsweise eigen, sie arbeiten eifrig auch in der Literatur, im Gefühle, die Erzieherinnen des Volkes zu sein: gleichwohl hängt der Gang der öffentlichen Dinge, die Strömung des Volkslebens, der Geist in der Literatur in Europa viel mehr von den Frauen ab als in Amerika. Hier schweigt man in Gegenwart der Frauen von Politik und Geschäft, damit kein Mißton der Leidenschaft sie berühre; in Europa hingegen bekümmern sich die Frauen ernstlicher um alles, was die Männer thun und erstreben, und sie würden sich schön bedanken, wenn sie für amerikanische Verehrung auch amerikanische Unthätigkeit eintauschen sollten.

Der Herrschersitz gebührt in amerikanischen Gesellschaften nicht den Frauen, sondern dem Vorwitz und der Lustigkeit junger Mädchen. Die verheirathete Frau, und wenn sie die liebenswürdigste und geistreichste wäre, kommt in die stille Ecke. Da hört man denn statt geistvoller Unterhaltung ewiges Ballgespräch, und statt des Lächelns, welches anzeigt, daß eine feine Bemerkung verstanden ist, schallt das Gelächter, welches lustige Einfälle belohnt. Jeder aristokratische Kreis hat noch ein besonders ausgesuchtes Häuflein junger Damen aus den ersten Häusern, welche den Ton angeben und ein Szepter führen, dem keiner ausweichen kann. Sie halten das geheime Gericht über den Ruf und die Zulässigkeit der Mitglieder der Gesellschaft, und setzen in ihren Vorberathungen unbedingt fest, was an Vergnügungen, Szenen und Spielen aufgeführt werden soll. Säße wenigstens die Erfahrung von ein paar Jahren in ihrer Mitte, so möchte aus den Berathungen manches ebenso gescheidte als jugendliche Unternehmen hervorgehen. Aber da die Königinnen fast jedes Jahr wechseln, so kommt der Hof nie zur Ruhe und Besinnung, er muß jedes Jahr wieder dieselben kindlichen Ideen durchspielen, und gleicht manchmal einer Schaar von Hühnchen ohne Gluckhenne. Die jungen Damen treiben in Amerika Astronomie, Chemie und Metaphysik und lesen den Göthe, Homer und Virgil. Aber während ihrer Glanzzeit sind sie beschäftigt durch die Spiele, Leidenschaften und Wirbel der Gesellschaft, sie hatten noch nicht Zeit bildungssicher zu werden. Treten sie dann in den Stand der Frauen und damit in die Zurückgezogenheit, so versinken ihnen die kaum gehobenen geistigen Schätze wieder, weil mit der fehlenden Anregung auch die Lust vergeht, die erworbenen Kenntnisse selbstthätig anzubauen und aus ihnen die stille Flamme zu entzünden, welche Geist und Gemüth gleichmäßig nährt und erwärmt. Früher ist ihnen alles spielend leicht gemacht, aber weil die geistige Kraft durch eigene Anstrengung selten gestählt wurde, schlummert sie jetzt wieder ein. Der Engländer ist entzückt über die Lebhaftigkeit, mit der sich Amerikanerinnen frischzu in alle Gegenstände der Unterhaltung mischen, findet aber bald, daß seine Landsmänninnen zwar seltenere, jedoch verständigere Bemerkungen machen. Dem Deutschen gefällt der selbstständige Sinn, das rasche entschiedene Wesen der Amerikanerin, das sich auch in ihrer meist scharfen, nicht weichen und milden Stimme hören läßt: aber wie häufig vermißt er den tieferen Gehalt der Bildung und des Gemüths!

Würden die amerikanischen Frauen die Leitung in geselligen Kreisen nicht aus der Hand geben, so möchte sich darin auch die heitere Ruhe einstellen, in welcher die feineren Fähigkeiten sich zu schönen Blüthen öffnen, wo die leichte Strömung der Ideen zum belebenden Aether wird, und sich durch die Mitglieder die unsichtbaren Fäden inniger Anhänglichkeit ziehen, welche aus längerem gegenseitigen Verständniß und aus der Hochachtung des geistigen und sittlichen Werthes des andern entsteht. Die Frauen in Amerika möchten noch einen andern Vortheil daraus ziehen. Jetzt ist ihr Loos rasch abzublühen, fortdauernde Thätigkeit und geistige Anregung in geselligen Kreisen möchte ihren Geist frischer und ihre Schönheit länger erhalten; denn in dem Willen, schön und geistvoll zu bleiben, liegt eine wunderbare Macht, welche selbst der zerstörenden Gewalt der Zeit widersteht oder doch ihre Spuren verschleiert. Doch vielleicht erzeugen und bedingen Klima und Natur jedes Landes auch die Sitten und Gewohnheiten der Menschen immer wieder auf dieselbe Weise, und zwar mit einer geheimen Kraft und Fähigkeit, der gegenüber keine Anstrengung Stand hält.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II