Abschnitt 1

VIII.
Auf dem Ohio und Mississippi.


Es mochte fast Mitternacht sein, als ich mit einem jungen Deutschen, der mich bis tief in den Westen hinein begleiten wollte, auf das Schiff kam, dessen Abfahrt für die Nacht angesagt war. Unter einem Schwarm von Flüchen, den uns die schwarze und farbige Dienerschaft nachschickte, – die Leute schliefen in ihre Decken gehüllt auf dem Fußboden der großen Kajüte – erreichten wir über Arme und Beine der Schläfer stolpernd unser Schiffskämmerchen. Wir hatten es uns nahe am Radkasten gewählt, weil hier die Muskitovorhänge noch rein und unzerrissen waren; denn die Kajüten bleiben dort, wenn das Boot nicht zu voll ist, leer, weil in der Mitte des Schiffes das Geräusch der Maschine am stärksten ist, dafür empfindet man an dieser Stelle am wenigsten dessen Schwanken. Ich war herzlich müde von den Abschiedsfesten der letzten Tage, bei welchen alle möglichen Weine zum Vorschein kamen; der edle Catawba, der um Cincinnati wächst, und, wer sollte den hier erwarten, ein alter Rüdesheimer Firnewein hatten den Vorzug behalten. Der erste hatte köstlich gemundet die Nacht vorher, als die deutsche Liedertafel mir noch ein Ständchen brachte, den Rüdesheimer, der gar Eilfer sein sollte, beherbergte ganz heimlich ein Apotheker. Nebenbei gesagt, werden in Amerika die deutschen Apotheker zehnmal eher reich als die Doktoren, und bleiben dort wie in der ganzen Welt eigenthümliche Leute.


Am Morgen weckte mich einmal wieder die Schiffsglocke. Unser Boot fuhr jetzt erst ab. Da ich mich etwas verspätet, mußte ich am zweiten Frühstücke Platz nehmen, das der Dienerschaft gehört, und kam zwischen fünf Indianer zu sitzen; sie waren vom obern Missouri, Pottowattomies, und auf Kosten der Regierung ein Jahr in einer Schule bei Washington gewesen. Die jungen Leute benahmen sich still und anständig, aber die Kleidung der Weißen stand ihnen auch jetzt noch so windschief, als wenn sie gestohlen wäre. Auf dem Verdecke und der Werfte war alles schon in Thätigkeit. Die lieblichen Hügelzüge auf der Kentuckyseite, die ich so oft durchstrichen, umhüllte ein bläulicher Dunst, noch einmal sah ich in Cincinnati’s mit Baumgrün besetzte Straßen hinein, noch einmal flogen meine Blicke den Ohio hinauf zu jenem Landhause, wo ich so manchen stillen Abend glücklich gewesen war, im Garten unter Blüthenduft und unter dem Funkeln von tausend Feuerfliegen. Das Schiff schwamm bereits mitten im breiten, gelben Ohio. Bei dem wehmüthigen Gedanken, daß ich auf diesem Erdflecke so viele theure Menschen, so viele brave Freunde verließ, die ich wohl niemals wiedersehe, war es doch ein köstliches Gefühl, endlich wieder frei und der Arbeit ledig zu sein. Das deutsche Werk, „Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika,“ war endlich fertig geworden, zwei Tage vorher hatte ich dem Verleger den Rest des Manuskripts überliefert, acht Bogen waren schon gedruckt, und zwar, da die Theilnahme an der Sache rege geworden war, in einer Auflage von viertausend Exemplaren. In Europa, erst nach einem halben Jahre, sollte ich das Buch bekommen. Ich genoß nun alles doppelt, was mir die zweite Hälfte meiner Reise in Amerika brachte.

Noch ein paar Stunden unterhalb Cincinnati blieben die Ufer belebt von Städtchen und hübschen Häusern. Der Ballhill, auf dessen weinbekränzten Höhen wir uns herrlicher Tage erfreut hatten, winkte noch eine Zeitlang herüber, dann sahen wir nur noch dunkle Blockhäuser und Waldung, in welche der Fluß einriß und die Baumwurzeln entblößte. Es verbreitete sich über den größten Theil des Schiffes jene amerikanische Stille und Ruhe, welche dem Naturgenuß ungemein günstig ist, aber die Fröhlichkeit der Gesellschaft niederdrückt. Man hatte überflüssig Zeit, das Hauswesen auf einem großen Dampfschiff der westlichen Flüsse kennen zu lernen. Das untere Stockwerk hat nur einen Boden, durch dessen Ritzen und Löcher man wohl mal das Flußwasser schäumen sieht; auf freien Säulen erhebt sich das obere Stockwerk, welches aus einer einzigen langen Kajüte besteht. Das untere ist vorn und hinten halb offen und enthält Maschinen, Küche, Mannschaft, Waaren und die Lagerstätten ärmerer Reisenden, welche kaum eines Blicks gewürdigt werden. Selbst die Frauen, welche die Armuth zwingt, hier unten vorlieb zu nehmen, werden ganz unamerikanisch, oft empörend behandelt. Wer nur eben das Geld erschwingen kann, wohnt in der Kajüte, an deren Langseiten sich die Thüren zu den Schlafkämmerchen befinden; eine andere Thür öffnet sich aus diesen auf die Gallerie, welche oben rings um das Schiff läuft. Am hintern Ende ist das Zimmer der Damen, dort sitzen sie den ganzen Tag wie stumme Göttinnen in der Pagode, nur die Ehemänner und Vertrauten dürfen das Heiligthum betreten. Dreimal des Tages, wenn das Essen aufgesetzt ist, begiebt sich eine feierliche Szene. Die Herren ordnen sich in unabsehlicher Reihe hinter ihren Stühlen, im Gänsemarsch kommen die Damen gemessenen Schritts aus ihrer Kajüte, der Kapitän führt die erste, dies ist seine Glanzminute. Sobald die letzte Dame sich gesetzt hat, tönt die Klingel, und nun fahren sämmtliche Herren blitzschnell wieder zu den Stühlen und auf die Speisen los. Im Nu haben sie ihre Teller hoch aufgehäuft und in wenigen Minuten zweimal geleert. Diese Herren bedauern gewiß nichts mehr, als daß der menschliche Leib nicht mit einer Art von Klappe versehen ist, durch welche man die nöthige Portion Speisen dem Magen auf einmal zuschieben könnte, dann brauchten sie sich mit dem nothwendigen Uebel des Essens, das so viel Zeit kostet, nicht zu belästigen.

In der Nähe der Damen speisen und halten sich Tags über die feineren Herren auf. Die Mitte des Saales nehmen die ehrenwerthen Farmer und Kleinhändler ein, stille förmliche Leute, deren sämmtliche Gedanken Tags über in zehn Linien zusammenzufassen wären. Weiter unten, wo der Schenktisch ist, saufen und spielen, schwören und fluchen den ganzen Tag rohe Bursche, ihr Dunstkreis ist Schnaps und Schweiß, ihr Benehmen so frech als widerlich. Bei Tage sind sie unleidlich durch ihr unaufhörliches Lärmen, und bei Nacht muß man vor den Gaunerkniffen auf der Hut sein, mit welchen sie Taschen und Koffer der Mitreisenden leeren. Die armen Indianer zogen sich meist in ein Eckchen draußen zurück, man sah sie mit verächtlichen Blicken an und fand es nicht passend, daß ich mich mit ihnen unterhielt; sie werden im Grunde noch jetzt nicht viel besser als bei uns Zigeuner angesehen. Von afrikanischer Verwandtschaft war auf dem Schiffe unter den Heizern und Aufwärtern jede Schattirung vertreten, vom kernschwarzen Ebenholz bis zum matten Citronengelb. An der Behandlung, welche sie von den Weißen erfuhren, ließ sich leicht erkennen, wo diese wohnten. Gehörten sie den sklavenfreien Staaten an, so benahmen sie sich gegen die Neger und Mulatten mit unwillkührlichem Widerwillen; die Herren aus den Sklavenstaaten gingen gütig mit ihnen um, aber ungefähr so, wie man mit hübschen Windspielen und Rossen umgeht.

So bot unser Schiff eine Musterkarte des amerikanischen Volkes. Welche Abstufungen folgten sich nicht schon bei einer Wanderung durch die Langkajüte von den aristokratisch kühlen und geputzten Herren und Damen zu den starr an den Wänden lehnenden stillen Leuten, welche ewig Tabak kauten und aus deren Gesichtern nie ein Lächeln das finstere Dollarsbrüten verscheuchte, und dann weiter hinab zu den halbwilden Flegeln und Gaunern. Das Rohe und Gemeine läuft im amerikanischen Leben dicht neben dem Vornehmen und Hochherzigen her. Trotz des guten Anscheins, den alle Amerikaner leicht anzunehmen wissen, ist doch die feine Kunst und Sitte der alten Welt, welche so manches Schlechte und Ungestüme mildert und umhüllt, hier noch ebenso wenig unter das Volk gedrungen, als die lähmende Macht der Polizei. Kennte man alle, die auf diesem Schiffe beisammen waren, genauer, so würden vielleicht gar wenige darunter sein, welche man auf die Länge nicht unausstehlich fände, aber die Summe von tüchtigen Eigenschaften, welche in ihnen steckt, macht sie als Volk bewundernswerth. Mancher Europäer faßt sein Urtheil über die Amerikaner dahin zusammen: ich respektire sie als Volk, und lasse mich mit den Einzelnen nicht weiter ein als ich muß.

Höchst einladend war es, vom Zeltdach beschattet ganz vorn im Schiffe, die Füße nach Amerikanerart über die Brüstung gelehnt. Stundenlang zu sitzen und auf die Strömungen und Wälder zu schauen. Ich sog mit vollen Zügen die würzige Luft ein und lauschte auf das Rollen und Flüstern in Wald und Strom, man dämmert dabei ein bischen ein, aber wacht alle Augenblick angenehm erfrischt wieder auf. Als der volle Mond aufging, wurde es wie heimlich lebendig in den Windungen der Flußthäler, welche in den Ohio einmünden, und das Schiff flog so schnell über die glänzenden Wellen, daß die Sternbilder, welche im Wasser wiederblinkten, an den Flanken vorüberschossen.

Die erste Nacht lagen wir still, weil nach und nach das Flußbett von Nebel dicht überfüllt wurde; am Morgen löste er sich auf in weiße Wölkchen, welche eine Weile über dem Wasser hin und her, und dann an den Seitenhöhen empor flatterten. Es zeigten sich jetzt die Uferlehnen steil, völlig einsam und mit Wald bedeckt, der Ohio lag dazwischen wie ein gelber See in hohen Ufern. Erst am Abend, als wir Louisville vorbei waren, erhielt er das klare Wasser, das ihm den Namen des schönen Flusses erworben hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II