Abschnitt 3

VII.
Gesellschaftliche Gegensätze.


Das Selbstgefühl eines jeden ist auch die Quelle der Gleichheit aller. Nur Männer, die sich gegenseitig unabhängig von einander wissen, behandeln sich auf wirklich gleichem Fuße. In der alten Welt kann bei so vielen Unterschieden des Standes und der Erziehung von amerikanischer Gleichheit gar nicht die Rede sein, obgleich nicht zu verkennen, daß seit den letzten funfzig Jahren die verschiedenen Volksklassen in Kleidung und Benehmen, in Sitten und Ansichten sich rasch einander nähern. Amerika nimmt zur Zeit viel Europäisches an, die alte Welt noch schneller Amerikanisches, es ist als trüge es die Luftströmung herüber. Die Gleichheit ist aber in der neuen Welt so alt wie die Geschichte. Wo der Unabhängigkeitssinn ganz von selbst sich emporrichtete und hart und zäh wurde, weil jeder Einzelne nicht von der Macht und Güte des Andern lebte, sondern sein Wohlsein nur der eigenen Arbeit verdankte: da galt auch der eine so viel als der andere, für die Gemeinde war im Kampfe mit der Natur und den Wilden die eine Manneskraft der andern werth. Das ist im Wesentlichen noch jetzt so und wird noch lange nicht anders sein. Das Land hat noch Millionen von Bau- und Geschäftsstellen, durch ihren Betrieb kann, wer ernstlich will, unabhängig werden. Daß er dies wird, ist entscheidend, nicht wie er es wird. Ob der eine Doktor oder Advokat, der andere Schmidt oder Zimmermann ist, begründet noch keinen Unterschied der Stände zwischen ihnen; jeder treibt eben nur ein Geschäft, für dessen Leistung er bezahlt wird. Auch giebt es keines, das seinen Mann vorzugsweise reich und fein machte, jeder Handwerker rüstet sich darauf, sein Geschäft im Großen kaufmännisch großartig und möglichst manierlich zu betreiben. Man trifft im Innern des Landes Postkutscher von gebildetem Benehmen in Frack und Handschuhen, als kämen sie eben vom Balle: so verbindet sich überall Anspruch auf gesellige Bildung mit Arbeit und Geschäft. Außerdem ist jeder Vollbürger, und nicht bloß dem Worte, sondern der That nach. Die Stimme des Armen fällt im Wahlkampfe gerade so schwer ins Gewicht als die des Reichen, und häufig muß der letztere sich erst lange bemühen, ehe der andere ihm seinen Einfluß verspricht. Ein junger Mann bedarf nicht des Vermögens und großer Verbindungen, sondern des Talents und der Ausdauer, um sich zu den höchsten Staatsämtern aufzuschwingen. So lange aber politische Macht nur durch Verstand und Charakter zu erringen, so lange kann sich keinerlei Art von Standesvorrecht fortsetzen. Endlich ist in den Vereinigten Staaten das Nationalgefühl so machtvoll und so sehr alles andere überwiegend, daß schon das Bewußtsein, Glieder desselben Volkes zu sein, sie einander werth und ebenbürtig macht. Die Amerikaner stehen daher sämmtlich auf festem gleichem Boden und der eine sieht dem andern gerade ins Gesicht. Deshalb behandeln alle Männer sich wie Bekannte, der Höchststehende ist dem Aermsten leicht zugänglich und schüttelt ihm die Hand, und ihren Verkehr beherrscht Freimuth, Offenheit und Vertrauen. Während der Europäer hauptsächlich mit seinen Berufsgenossen umgeht, mischen sich in Amerika Kaufleute, Richter, Handwerker, Farmer, Aerzte unaufhörlich im öffentlichen Verkehr durcheinander. Selbst die Reichsten wohnen verhältnißmäßig in kleinen Häusern. Wo einer im Innern des Landes, denn die größern Seestädte machen auch hierin eine Ausnahme, sich durch äußerliche Mittel und Zeichen hoch über die andern erheben wollte, würde die Mehrheit ihn mit Witz und Laune bald wieder herabziehen. Europäische Gewohnheit, sich freiwillig aus bloßem Respekt unterzuordnen, findet der Amerikaner nicht bloß verächtlich, noch mehr, sie ist ihm unverständlich.


Sowie aber der Amerikaner in sein Haus tritt, ist er wie umgewandelt, denn hier herrschen die Frauen. Gleichheit und Freiheit läßt er draußen, und kennt nur noch die Leute, mit denen Frau und Tochter umgehen. Draußen wogt alles frei und lustig und gleichberechtigt durch einander, im Hause gilt nur die Aristokratie der Herkunft und des Familienstolzes, des Reichthums und der Bildung. Viele Frauen halten es unter ihrer Würde, nur zu sprechen von andern, deren Gesellschaft als weniger vornehm gilt. Die feinere Gesellschaft möchte ihre eigenen Kirchen haben, wie ihre eigenen Straßen und Plätze, Konditoreien und Badeorte. Jedes Städtchen, ehe es noch aus dem Ei gekrochen, hat schon seine Aristokratie, welche die kleinlichsten Untersuchungen anstellt, bevor sie neuen Ankömmlingen das Gitter öffnet, mit welchem sie sich umzogen hat. Und wenn in einem Oertchen durchaus kein Vorzug zu entdecken wäre, den ein paar Familien für sich in Anspruch nehmen könnten, so würde der Umstand hinreichen, daß der eine Prediger lederne Handschuhe trüge und der andere wollene, um die Gemeinde des erstern sich vornehmer fühlen zu lassen.

Die Sucht, streng abgeschlossene Aristokratien zu bilden, ist in Amerika um so sonderbarer, weil dort die Grundlagen dafür fehlen. Was vom europäischen Adel herübergesiedelt ist, hat seine Kennzeichen und seine Erinnerungen verloren, es gäbe auch kein Mittel sie zur Anerkennung zu bringen. Neue Wappenschilde aber, so leidenschaftlich reichgewordene Newyorker darin verliebt sind, machen noch weniger Eindruck. Bildung ist fast überall Mittelgut und zugleich Gemeingut. Das Farmermädchen denkt und strebt nicht viel anders, als die reichste Kaufherrntochter. Wenngleich hochgebildete Gentlemen, welche auf sich selbst ruhen, vorhanden sind, so ist ihre Anzahl doch überaus klein. Großes Vermögen, das vom Großvater herrührt, wird zwar höher geschätzt, als wenn es der Vater erworben, aber es ist weder ein sicheres noch ausschließliches Besitzthum. Der Handel häuft Reichthümer zusammen und verschlingt sie wieder. Kurz es fehlt die hinreichende Anzahl alter reichbegüterter Familien, in deren Häusern sich der Glanz feinerer Bildung und ausgewählter Genüsse mit öffentlichem Ansehen vereinigt. In der amerikanischen Gesellschaft findet vielmehr eine ewige Fluth und Ebbe statt. Das Leben darin drängt sich dann hier dann dort, und kommt und geht, wie alles in Amerika. Die Männer kommen mit ihren jungen Frauen hier- und dorther gezogen, man findet sich zusammen, giebt Gesellschaften, macht Ausflüge voll Lachen und Fröhlichkeit, aber es hat das alles etwas von dem Unstätigen des Gasthauslebens. Die Leute wollen sich eben nur so lange mit einander vergnügen, als sie gerade beisammen sind. Dieser Gegensatz des Flüchtigen und Wandelbaren in der amerikanischen Gesellschaft macht das Bestreben, sich vornehm abzuschließen, immer wieder ohnmächtig. Denn Aristokratien bedürfen, um zu wachsen der Zeit und einer dauerhaften ruhigen Grundlage. Die große Mehrzahl der höhern Gesellschaftskreise in Amerika aber hat keine Vergangenheit, deren Andenken viel weiter als zehn Jahre zurückginge, und keine Zukunft vor sich als nochmal zehn Jahre. Allerdings giebt es in den größeren Städten einige ältere und reiche Häuser; besonders in Philadelphia und Boston und in den sklavenhaltenden Staaten bestehen Kreise von solider Vornehmheit und feinem aristokratischen Gefühl, sie sind aber nur vereinzelte feste Posten im wogenden Volksmeere, und keine politische Macht hat sich in ihnen festgesetzt. Ihr charakteristisches besteht eben nur darin, daß sie sich gegen die Berührung der Masse abschließen, es sind ihnen damit auch die Nerven und Hebel abgeschnitten, mit welchen sie in das Volk anregend und bewegend eingreifen könnten. In der neuern Zeit hat der verdoppelte Umschwung der industriellen Räder die Güter und Kapitalien mancher Familienaristokratie, welche noch aus der älteren Zeit herrührte, vollends in alle Winde zerstreut.

Auch im Innern der amerikanischen Gesellschaft, wie sie einmal geworden, in Ton und Stimmungen, die in ihr vorherrschen, stoßen wir auf entschiedene Gegensätze.

Man trifft in andern Ländern selten so viele Menschen beisammen, welche sich gegenseitig mit so achtungsvollem Vertrauen, mit so viel Herzlichkeit und Offenheit behandeln und einander so gern und unverweilt Dienste und Gefälligkeiten erzeigen. Und dennoch sitzt im Hintergrunde ihrer Gedanken und Gefühle ein kleiner Egoismus, der jeden Einzelnen wie mit einer unsichtbaren Mauer umgiebt und die warme Hingabe des Gemüths, die tiefere Anhänglichkeit und Verehrung selten aufkommen läßt. Man trägt ängstliche Scheu, die Gefühle eines andern anzutasten: wenn sich aber der Mehrheit der Gesellschaft eine Ansicht bemächtigt hat, so nimmt diese sofort die Schärfe des Untersuchungsrichters an.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II