Abschnitt 3

XI.
Gentlemen Farmer.


Die Mitte zwischen diesen beiden Klassen hielt eine andere zahlreiche, deren Leben sich theilte zwischen Heimweh und Behagen an der jungen Freiheit, zwischen fehlgeschlagenen Plänen und dem frohen Ertrage neuer Anstrengungen, zwischen Geschäftsbedrängniß und harmlosen Farmerfreuden. Die glücklichsten waren immer die Kinder und Halberwachsenen, welche die vielerlei Annehmlichkeiten der alten Heimath nicht gekannt oder vergessen hatten und sich freuten an den Reizen und Genüssen, wie das freie Landleben sie überall darbietet. Einförmig und schweigsam aber war das Leben für alle. Auch die Glücklicheren mußten bekennen, daß das gefundene stille Glück sehr still, fast tonlos sei. Ein Tag wie der andere verging wechsellos mit Feldarbeit, Viehwarten, Handelsgeschäften und Ausbessern von Haus- und Feldgeräth. Jagden, eine Partie Whist, Besuche waren die Woche über nicht häufig. Die Männer kamen dann und wann zusammen, sich in öffentlichen Angelegenheiten zu berathen. Je länger einer im Lande war, desto mehr verlor sich bei ihm die Lust zu Gespräch, Lesen und Musik. Der Sonntag brachte einige Anregung. Dann war Besuchstag. Da sah man den ehemaligen Major mit einem Reste stattlichen Anstandes und den ehemaligen Rath mit etwas unsicherer Haltung aus den Büschen hervorreiten, Damen im leichten Landanzuge trabten flink über die dunkeln Waldwege, Herren in den malerischen Trachten aus dem Freischütz und der Stummen von Portici, wenn auch etwas abgerissen, schritten auf die Prairie hervor, wilde Hühner zu schießen. Das Gespräch wendete sich unwillkührlich häufig auf Deutschland zurück, obgleich man die Erinnerung an die alte Heimath zu vermeiden schien, und vielmehr Bürgerstolz, männlicher Gleichmuth und ein ernster Wille, mit dem selbstgewählten Loose zufrieden zu sein, sich geltend machten. Jedoch es ist schwer, gewaltsam seine innere Natur zu verändern. Ein paar amerikanische Jahre machen zwar die Eingewanderten rasch einander ähnlich und geben ihnen ein gleichmäßiges Aussehen und Benehmen, das härter und herber ist, aber minder fein und geistig, als es in Deutschland war: dennoch lassen sich die verschiedenen Jahrgänge der Einwanderung bald erkennen. Die meisten Ansiedler sind mit ihren Ideen in den Zuständen stehn geblieben, in denen sich ihr Vaterland befand, als sie es verließen. Nur das hört man aus der Unterhaltung leicht heraus, wie das Leben und Treiben in Amerika die einen stolz und männlich, die andern gemein und niederträchtig, noch andere herzensmilde und fast willenlos gemacht hat.


Viele gebildete Farmer bleiben selbst des Sonntags still zu Haus. Sie dachten früher wohl, in solchen Freistunden sich an klassischen Schriften zu erfreuen. Kommt man nun zu ihnen, so liegt wohl die Zeitung, höchst selten aber ein anziehendes Buch auf dem Tische. Sie sind nicht bloß lesefaul, sondern auch darin rechte Amerikaner geworden, daß sie in eine Art von Geistesträgheit versinken, sobald die Anspannung durch Arbeit, Geschäft und Politik aufhört. Darin weichen die Deutschamerikaner von ihren alten Landsleuten merkwürdig ab. Denn die letztern haben die Neigung, wenn die Stürme der Gegenwart sie ermüden, sich in die Ideenwelt zu flüchten und in diesem luftigen Reiche ungemein thätig zu sein. Nach jedem nationalen Aufschwung läßt sich darauf rechnen, daß das deutsche Volk alsbald zu irgend einer stillen Beschäftigung greift, sei dies Steckenpferd Romantik oder Kunst oder Sozialismus oder populäre Naturwissenschaft. Vielleicht hätten das klassische Alterthum und die Theologie am Ende des Mittelalters in Deutschland nicht so viel eifrige Freunde gefunden, wäre man nicht durch die jahrhundertlangen Stürme und Fehden ermüdet gewesen. Mancher Deutsche preist es als hohe Geistesmacht, daß er aus den Widerwärtigkeiten der Zeit sich in die ruhige Heiterkeit der Kunst und Wissenschaft retten könne, während der Anlaß im Grunde nur Schwäche ist. In Amerika preßt aber die Gegenwart zu sehr auf den Menschen, die drängende Noth, sich der Armuth zu erwehren, der reißende Geschäftswirbel und die Politik regen die Kräfte fortwährend auf, und kommt eine Freistunde, so ist man zu müde zum Lesen. Auch das Klima übt einen lähmenden Einfluß auf das freie stille Spiel der Geisteskräfte. Eher als der Ansiedler zum Lesen und zur wissenschaftlichen Beschäftigung kommt, geht die Familie, um in dem einförmigen Dasein doch einmal eine Abwechselung zu haben, zu einem ländlichen Balle, wo in unreinlicher Wirthsstube, zwischen Tabaks- und Whiskydüften, den Tänzern Rock und Weste entbehrlich scheinen. Bei Vergnügungen dieser Art benimmt der Ekel anfangs den Damen die Stimme, aber nach und nach fügen sie sich der Landessitte; es könnte auch seine unangenehmen Folgen haben, wenn jemand sich der Geselligkeit unfeiner Nachbarn entziehen wollte. Selbst wo eine Anzahl gebildeter Farmer beisammen wohnt, können sie schwerlich einen geselligen Kreis aufrechthalten, der nicht auf die Nachbaren roherer Erziehung ernstliche Rücksicht zu nehmen hätte. Einzelnen wird der sehr gemischte Umgang leicht, ohne daß sie sich viel vergeben; den meisten ist die Abhängigkeit von ungebildeten Leuten peinlicher, als alles was sie von politischer Unfreiheit kannten.

Stellt man zuletzt die beiden Fragen: was hat im Ganzen genommen, Amerika durch die Menge der deutschen gebildeten Farmer gewonnen? und was haben sie für sich selbst gewonnen? – so kann man sich auf beide Fragen der Antwort nicht entschlagen, daß der Gewinn verhältnißmäßig unbedeutend ist. Das Ergebniß ihrer Uebersiedlung ist keineswegs das, was sie in andern Verhältnissen hätten leisten können, und noch viel weniger, was sie selbst gehofft haben.

Die Erfolge der deutschen Geistesarbeit sind jetzt in allen Ländern der Welt ersichtlich, deutsche Wissenschaft dringt zerstörend und befruchtend, erneuernd und verjüngend in die Welt hinaus, wie ein Meer, das immer höher fluthet und sich in tausend Rinnen und Bächen durch die Länder verbreitet. Ehemals brach sich in gleicher Weise, nur noch rascher, von Deutschland aus der Protestantismus Bahn. Manche Nichtdeutsche betrachten dies Vordringen des Germanismus mit einer Art von komischer Furcht, andere, denen das ungeheure Gebiet der deutschen Wissenschaft erst eben dämmert, sehen uns, die wir politisch verhältnißmäßig so wenig in der Welt zu sagen haben, ungefähr so an, wie einst die Ritter ihre gelehrten Burgkapläne. Nichts liegt nun näher als die Erwartung, daß die in allen Vereinigten Staaten angesiedelten deutschen Gentlemen Farmer auf die geistige Kultur des Landes einen gewichtigen und segensvollen Einfluß üben müßten. Solche Einwirkung ist allerdings vorhanden, aber nur in sehr geringem Grade. Diese Deutschen sind nicht der Sauerteig der Kultur geworden, weder durch Schriften noch durch den persönlichen Umgang bereichern sie das amerikanische Volk mit ihren geistigen Schätzen. Ein einziger gebildeter Deutscher, der sich in den amerikanischen Städten einen Wirkungskreis zu eröffnen verstand, hat oft der Bildung mehr genützt als hundert dieser Farmer. Sie verrichten Bauernarbeit und in dieser groben Arbeit und unter dem Drucke des Klimas liegt ihr Geist gefangen. Ihre Kenntnisse sind ein Kapital, das mit jedem Tage unfruchtbarer und kleiner wird. Ihr geistiges Leben gleicht einer untergegangenen Welt, aus deren Schlamm und Schutt nur hier und da neues grünes Wachsthum emporkeimt.

Für sich selbst aber haben sie nicht Fülle und Behagen, nicht frischen Lebens Lust und Thätigkeit gewonnen, sondern sie haben durch Arbeit und Leiden erreicht, was jeder Bauernknecht auch erreichen konnte. Sie genießen das anregende Gefühl amerikanischer Freiheit, aber sie entbehren des gewohnten geselligen und geistigen Verkehrs und der gewöhnlichsten kleinen Annehmlichkeiten. Sie sind nicht umgeben von der Verderbniß in den Städten, man findet unter ihnen die edelsten Naturen, bei denen die Treue noch etwas gilt und Würde und Werth des Mannes sich im täglichen harten Kampfe gestählt haben, – aber hätten sie all diese Energie, diesen Heldenmuth, die hier das Dulden und Ausdauern von ihnen verlangt, in ihrem Vaterlande auf ein würdiges Schaffen verwandt, so würden sie für sich und Andere Tüchtiges geleistet haben. Einzelne sind als amerikanische Farmer glücklich, die große Mehrzahl ist es nicht, ihr Leben ist – Resignation.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II