Abschnitt 2

XI.
Gentlemen Farmer.


In Lebanon trank ich ein Glas schlechten Dünnbiers, welches hier schon eine seltene Labung war, bei einem alten Deutschen, der fürchterlich auf die Fürstenknechte in Deutschland schimpfte. Der arme Mann wollte durch Schimpfen sein Heimweh los werden. Vor seinem Hause fuhr ein schwerer Wagen vor, der Eigner des Stiergespanns trat herein im kurzen kothbedeckten Zwilchwams, die lange Ochsenpeitsche in der Hand. Früher war er ein hoffnungsvoller Künstler in einer Rheinstadt seit Jahren hatte er sein Vermögen in eine amerikanische Farm gesteckt. Da ich ihn hatte besuchen wollen, ritt ich jetzt mit ihm. Er war der mildherzigste Mann von der Welt, aber so still und schweigsam, als wenn er Denken und Sprechen verlernt hätte. Eine Stunde lang hörte ich keinen Laut von ihm, als das Haar und Tschi, das die Ochsen regierte, oder ein theilnahmloses Ja oder Nein, mit welchem er meine Fragen beantwortete. Wir bogen von der Straße ab in den prachtvollen Wald hinein, in dessen Dunkel hin und wieder eine Farm zum Vorschein kam. Diese Wohnungen waren beinah so gut als bei uns ein Bauernhaus, dessen Besitzer drei Pferde auf dem Acker hat. Die meisten dieser Farmer waren Deutsche aus den gebildeten Ständen. Im Hause meines Begleiters sah ich soviel Elend, nackt und bloß, daß die Familie es nicht schlimmer hätte haben können, wenn sie plötzlich aus einer behaglichen Stadtwohnung in Dürftigkeit auf eine Waldhütte versetzt wäre. Nicht weit davon stand die Farm eines mir schon von Deutschland her bekannten Barons. Er hatte ein Buch voll Pläne mitgebracht, wie ausbündig klug er die Landwirthschaft betreiben wolle, und ging mit aller Neulust ans Werk. Aber er machte nur eine Thorheit über die andere. Die rohe amerikanische Farmerei, die nur ein Raubbau ist, war ihm höchst zuwider, und er konnte haarscharf ausrechnen, wie viel er bei verständiger Bewirthschaftung gewinnen müsse; aber jedesmal zerstörte einer der tückischen Zufälle, mit welchen die Landwirthschaft in Amerika so geplagt ist, seine Anlagen, und es gerieth ihm nicht das Mindeste. Sein Knecht, den er aus Deutschland mitgebracht hatte, fand sich besser in die Landesart hinein, und der Baron müde, täglich Kühe zu melken und das verlaufene Vieh aus dem Walddickicht wieder zu holend überließ ihm die Bestellung der Farm und ergab sich den Freuden der Jagd. Aber bald steckte er in Sümpfen und hatte sich das Fieber zugezogen, bald stürmte er bei seiner Kurzsichtigkeit über Baumwurzeln und zerbrach den Flintenschaft, so daß ihm zuletzt kein Mensch mehr eine Flinte leihen wollte. Nach ein paar Jahren konnte er weder die Steuern bezahlen noch Kaffee und Zucker kaufen, und der rückständige Dienstlohn des Knechts erreichte beinah den Kaufwerth der kleinen Farm. Es blieb nichts übrig, als sie ihm abzutreten und in St. Louis eine Schenke anzulegen. Da mußte der Baron sich hänseln lassen von Maurern und Handlangern und rettete sich vor Schulden kaum aus einer Woche in die andere. Zum Glück starb ein alter Onkel in Deutschland, dessen Erbschaft ihn aus dem Fegefeuer erlöste. Sein früherer Knecht unterdessen fuhr täglich Obst und Gemüse, Eier und Hühner nach St. Louis zu Markte und brachte sich durch den Verkauf solcher Kleinwaaren, welche dem Farmer in der Nähe der Städte besser zu Statten kommen, als sein Mais und Waiden, in den Besitz einer einträglichen Farm.


Fälle dieser Art begegnen einem hier wie überall in Amerika in Menge, einige machen unwiderstehlich komischen Eindruck, viel mehrere aber einen traurigen. Es ist ein merkwürdig Stück deutsches Leben in diesem Lateinerviertel zusammengedrängt. Als hätte ein Sturm aus allen Schichten des deutschen Volkes, von der niedrigsten bis zur obersten, Männer und Frauen losgerissen und sie hier zusammengewirbelt, so wohnen sie zusammen, arm und reich, um aus Trümmern der europäischen Gesellschaft die der neuen Welt aufzubauen. Kein Volk als das deutsche zählt so viele Familien, welche sich freiwillig aus ihrem Vaterlande verbannten und im gründlichen Widerwillen gegen ihr bisheriges Leben in den einfachsten Zuständen und Arbeiten neue Kraft und Heiterkeit suchten. Deutschland, das Land der Wissenschaft, die große Allerweltsbüchermacherei, hat statt der revolutionären Arbeiter anderer Länder sein literarisches Proletariat: Deutschland stellt auch zu den neuen Kreuzfahrern, welche nach dem Westen ziehen ins Land der Zukunft, zahlreiche Züge, die aus geistigen Antrieben sich aufmachen. Andere Auswanderer treibt Noth und Sorge über das Meer, wie mir denn einmal ein alter Bauer sagte: „Es kommt keiner hierher, dem nicht drüben sein Päckchen zu schwer wurde.“ Jene gebildeten Männer hingegen könnten durch viele andere Mittel und in einer Lebensweise, die sie gewohnt sind, den Unterhalt für ihre Familie gewinnen, aber es ist ihr poetischer Hang, der romantische Zug, des Deutschen Glück und Qual, was sie in die Wälder und Prairien treibt, eine Bauernidylle zu versuchen und eine Art Naturrecht zu gründen in blühender Wildniß.

Ich hatte Gelegenheit, das Leben dieser Gentlemen Farmer in der Nähe zu betrachten. Mehrere bebauten stattliche Farmen, und wohnten wie die wohlhabenderen Bauern in Norddeutschland. Diese hatten ein ansehnliches Vermögen mitgebracht, waren über das erste Heimwehleiden hinaus, und befanden sich zufrieden bei behaglichem Einkommen und einfachen Genüssen, im kräftigen Selbstgefühl amerikanischer Männer und in dem freien natürlichen und ungenirten Leben. Von Rittergütern mit zahlreichen Dienstleuten war auch bei ihnen keine Spur, zu zierlichen Landsitzen nur ein schwacher Ansatz zu finden. Statt des Parks hatten sie den dunkeln Urwald, und wo der Blumen- und Obstgarten mit hübschen Rasenplätzen und reinlichen Kieswegen hätte sein müssen, befand sich häufig ein Stück Feld voll wuchernden Unkrauts oder ein kleiner Morast. Man hatte schon Mühe genug, nur einen kleinen Garten mit den nöthigsten Küchengewächsen in Ordnung zu halten. Die meisten Farmen gewährten noch immer den Anblick, als wäre das Felderviereck eben erst in den Wald hinein gehauen. Am besten ging es denen, welche entweder mit ihren Kapitalien eine Menge kleiner Zinsgeschäfte machten, oder welche die amerikanische Kunst gelernt hatten, die Farmerei wie Handelsleute zu betreiben.

Die aber mit schmalem Vermögen hergekommen waren und von dem Ertrage einer kleinen Farm leben mußten, waren beladen mit Sorgen und Elend. Die Männer arbeiteten wie bei uns Tagelöhner, die Frauen sahen abgehärmt aus, und die Kinder wuchsen auf in halber Verwilderung. Vom Leben oder Sterben eines Paar Ochsen oder vom Gedeihen einiger Säue hing das Wohlsein der Familie ab, und man freute sich auf die Zeit, wo die Kuh wieder Milch und Butter gab, weil dann in Fleischspeisen zu sparen war. An süßes Nichtsthun war hier nicht zu denken, die Nahrungssorgen drückten, das mitgebrachte Vermögen schwand bei vielen zusehends dahin, und der Morgen kam nicht oft, wo sie einmal fröhlich und guter Dinge aufstanden. Auch das Heimweh quälte und ruhte nicht, wenn es auch nicht laut wurde. Desto inniger schloß sich die Familie an einander, durch die rührendste Hingebung suchte man einander das harte Loos zu erleichtern. Aber unter fortwährendem Kampf mit der Noth, unter Fieber und Entbehrungen erlahmt zuletzt das Herz und wird matt und gleichgültig. Bei manchen dieser Waldsiedler, welche die Noth zwang, bei ihrem elenden Leben auszuharren, fragte man sich unwillkührlich: wie weit ist’s hier noch bis Sibirien? Die Zeit brachte zuletzt auch ihnen Linderung, sie gewöhnten sich an das neue Leben, an täglich Speck und Maisbrod, und verloren Sinn und Andenken für all das Liebliche und Werthvolle des Lebens in Deutschland.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II