Abschnitt 1

XII.
Am Missouri.


Eine der schönsten Fahrten, welche ich in meinem Leben gemacht habe, war von St. Louis nach dem deutschen Städtchen Hermann. In Gesellschaft von Freunden und Landsleuten aus St. Louis, welche sich in der gesunden Luft und auf den jungen Rebhügeln von Hermann zu erfrischen bedachten, fuhr ich den Missouri hinauf. Manchem bekannten Farmer, der aus seiner hübschen Besitzung dem vorbeifahrenden Dampfer zuschaute, wurde lachend zugerufen, und freudig begrüßten wir die deutschen Weinpflanzungen, welche hin und wieder die Uferhänge umstrickten. Die Blicke verweilten um so lieber auf dem hoffnungsreichen Grün, als sie ermüdet wurden durch die Kothwellen des Missouri, durch traurige Schlammufer und endlose Züge von treibenden dürren Baumstämmen. Unser Boot indessen steuerte geschickt durch alle Fährlichkeiten des Flußbettes und deckte uns auch einen vortrefflichen Tisch, ohne daß wir genöthigt waren, die Speisen hineinzujagen, als ging es ans Leben oder Sterben. Weil Schiffsoffiziere und Reisende sich größtentheils als Deutsche kannten, so war man hier einmal von amerikanischer Sitte und Unsitte befreit. Das erste Mal in diesem Lande sah ich mich auf einem Boote, dessen Gesellschaft zum Vergnügen und nicht blos der Geschäfte willen reisete. Denn für gewöhnlich gleicht der Amerikaner auf der Reise einem Felleisen, das sich erst am Bestimmungsorte öffnet.


Inseln, welche nach und nach ihre Waldkronen höher hoben, Schwärme wilder Schwäne, welche sie umkreisten, die steilen Ufer Port Royals, stellenweise auch Aussichten, wie sie die Rheingestade zieren, Felsenwerk, welches in stattlichen Formen aus den Büschen hervorragte, – solche Abwechslungen verschönerten die Flußfahrt. Vorherrschend aber blieb der eintönige und grandiose Charakter amerikanischer Flüsse. Die Wasser fluthen so gewaltig, die Inseln, die Sandbänke, die verfallenen Bäume im und am Flusse, die endlosen Wälder und Prairien, alles das sieht aus, als wäre es sich noch ganz selbst überlassen. Begegnet man einer Farm am Ufer oder einem Boote, so wird die Landschaft auf einige Augenblicke freundlicher, weil die Menschennähe immer wohl thut; sind sie wieder verschwunden, so ist Alles wieder so wild und einsam, als wäre man auf dem ersten Fahrzeug, mit welchem der Mensch diese weiten Fluthen und Wälder zu durchmessen wagte.

Gegen Abend wurde die Gegend wieder belebter, Hügel mit hübschen Kuppen erhoben sich, und als die Sonne mit ihren letzten Gluthen Wald und Wasser vergoldete, traten die weißen Häuser von Hermann schimmernd aus der Ferne. Man sieht anfangs nur Kirche und Gerichtshaus auf feinen Hügeln mit einem hellen Gebäude an der vorspringenden Landung, das Boot braust um einen Uferhang, und man steht überrascht bei dem stattlichen Anblick der jungen Stadt. So groß und mit so viel netten Häusern hatte sich keiner von uns Hermann gedacht; auch war alles bald überzeugt, daß an landschaftlichen Reizen man schwerlich am Missouri eine begabtere Lage hätte finden können. Der herzliche Empfang, welcher uns am Ufer wurde, machte uns bald heimisch in Hermann. Ein lustiges Gelage zog sich bis tief in die Nacht, und weit über die finstern Gewässer des Missouri schallten die deutschen Lieder.

Am andern Tage erstiegen wir die Höhen, welche die Stadt malerisch umkränzen. Die Lage ist überaus anmuthig. Die Stromgestade erheben sich und treten zugleich auf beiden Seiten im weiten Umkreise in’s Land zurück; die Mitte nehmen grüne Hügel ein, dazwischen sammeln und zerstreuen sich die Häuser. Nach Süden führen mehrere dunkle Thalwindungen, nordwärts bespült den Strand der Stadt der gelbe Missouri, der seinen breiten Schlamm den bebuschten Inseln gegenüber anschwemmt. Die Aussicht schließt sich ringsum mit dichtbewaldeten Hügelketten und Kuppen, die man hier in den westlichen Ebenen Berge nennen möchte. Das Ganze ist in ein kräftiges Grün getaucht, dem die helleren Häuser und Felder der Stadt und der widerscheinende Strom mit seinen breitgezogenen, farbigen Rändern eine angenehme Abwechslung verleihen. Eine großartige Gegend ist es freilich nicht, – wo ist aber eine solche überhaupt im Westen zu finden, – aber sie trägt ein so frisches und freundliches Aussehen, daß man sich gern immer wieder von Neuem umschaut.

Aber gerade diese schöne Gegend zog den Gründern der Stadt Vorwürfe genug zu: Romantiker seien die Deutschen, hieß es, aber schlechte Praktiker. Der Anfang war für die Hermanner allerdings hart und für manche theure Hoffnung niederschlagend. Vor jetzt siebzehn Jahren kaufte eine Gesellschaft hier das Land, dreizehntausend Aecker. Sie hatte ihren Sitz in Philadelphia; Mitglied war, wer eine Aktie anfangs zu fünfundzwanzig, später zu fünfzig Dollars kaufte. Dafür erhielt er einen Bauplatz in der Stadt, oder er konnte sich Aecker zur Farm auswählen, worauf ihm dann seine Aktie angerechnet wurde. Man wollte von Deutschen eine Stadt mit Ansiedlungen in der Umgegend gründen, damit allmählig ein freies deutsches Leben sich dort entwickle, welches mit den Vortheilen amerikanischen Wesens deutsche Bildung und Fröhlichkeit vereinige und dem Deutschen eine Zuflucht gewähre. Die ersten Blockhütten wurden gebaut, Ansiedler kamen von allen Seiten der Vereinigten Staaten her, und nach drei Jahren waren bereits über tausend beisammen. Jetzt kamen die Zeiten der Prüfung. Es waren eine Menge junger Handwerker da, z. B. an vierzig Schreiner, welche keine Beschäftigung fanden, große Ackerwirthschaften konnten nicht angelegt werden, weil das Land zu sehr durchbrochen war und die Fruchtpreise zu niedrig standen; unter den Ansiedlern selbst gab es unruhige Köpfe, welche nicht gerade deutsche Gemüthlichkeit versprachen; die Verbindung mit St. Louis war schlecht, und die Bootführer wollten an dem „verdammten deutschen Nest“ nicht anlanden, außerdem drohte der Hafen zu verschlammen. Armuth stand in Aussicht, Krankheiten kamen, viele zogen als Landwirthe in die Nachbarschaft, und manches Haus wurde leer. Die, welche Bauplätze gekauft hatten, um bei dem gehofften raschen Anwachsen der Stadt Gewinn zu erzielen, sahen sich in ihren Berechnungen getäuscht, üble Gerüchte und Klagen verbreiteten sich allerwegen. Nun fielen all die Feinde des deutschen Lebens, welche sich und den deutschen Namen so gern verhöhnen und nur im möglichst schnellen Abwerfen aller deutschen Sitten das Heil sehen, über Hermann her, und des Spottes und der Lästerung war mehr, als man bei ruhigem Verstande sich erklären konnte. Zwei der bedeutendsten deutschamerikanischen Zeitungen erlabten sich mit mehr Grimm als Witz im Schimpfen über die deutsche Stadt. Inzwischen lebte diese wieder auf, ihre Hügel lagen zu sonnig und fruchtbar, man mußte von selbst an Weinhügel denken. Vor zehn Jahren machte man die ersten Versuche, jedes Jahr gelangen sie besser, und die Abhänge in und um Hermann bedeckten sich schnell mit Reben. Der Hermanner Wein wird sich vielleicht noch einen Namen erwerben, so gedeihlich schwellen hier die Reben, so kräftig und würzig ist ihr Saft. Wohlhabende Familien ließen sich nieder und fingen mit größern Anlagen an. Die Landwirthe der Umgegend aber sind durch ihre Arbeit jetzt aus den harten Jahren heraus, und sie erzeugen mehr als sie bedürfen; das wirkt ganz besonders wohlthätig auf die Stadt zurück.

Unter solchen Berichten war der Tag schnell vergangen, und am Abend einigten sich die Bekanntgewordenen zu einem Fischzuge. Gegen zwanzig waren am folgenden Morgen beschäftigt, Kähne, Netze und Angelruthen in Stand zu setzen, Kugeln zu gießen und einige Fäßchen und Körbe zu füllen. Bald nach dem Frühstück brach man mit der Gewißheit auf, mehr Fische zu fangen, als ganz Herrmann aufessen könne.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II