Abschnitt 2

XIV.
Die Provence.


Vaucluse.


Tritt man der Höhlung näher, so erscheint unten auf ihrem Boden eine Oeffnung, wie ein Thor der Unterwelt, das von grünem Dunste umzogen ist. Ich stieg den etwas gefährlichen Weg hinunter in die Höhle und stand in einem Felsendome, wie die Natur wenige gewölbt hat. Sein Boden scheint der reinste geschliffene Kristall, es ist das Wasser, das von oben wie grüner Dunst aussteht, nie von einem Windhauch bewegt steht es ewig glatt und still. Einige Fuß unter seiner Oberfläche faßt ein schwarzgezackter Felsenrand eine unergründliche Tiefe ein. Von diesem Felsenrande steigt säulenartig die Wölbung der Grotte auf, deren Kuppel allerlei Verzierungen und Vertiefungen zeigt, in welche sich das Auge verliert. Ich sollte zwar nicht sehen, wie das Wasser draußen vom Brunnen, wenn dieser bis zum Rande voll ist, den Abhang niederplätschert, dann ist die ganze Höhle von Wasser ausgefüllt: aber es war reichlicher Ersatz, daß ich jetzt so tief hineingehen und betrachten konnte, zu welch wunderlichen Formen das Gestein ausgewaschen ist. Ein verirrter Vogel kam in die Oeffnung der Kluft, er flog über dem Brunnen hin und her, wagte aber nicht, die zitternden Flügel ins Wasser zu tauchen. Als ich aus der unheimlichen Tiefe wieder herausgeklettert war, glaubte ich oben zu hören wie das Wasser in der Höhlung rauschte, während es doch erst weiter unten aus der Erde hervordrang. Ich sah einen Mann Forellen in der Sorgue fischen, dies erinnerte mich daran, daß ich schon in Avignon rühmen gehört, daß der dichterheilige Fluß seine Besucher mit einem ausgezeichneten Fischessen belohne.

Ich kehrte also in mein Wirthshaus zurück und ließ mir ein Gericht Forellen bereiten. Man erkundigt sich in diesem Lande und in solchen Häusern gewöhnlich schon des Abends nach den Preisen, diese waren hier aber unverschämt. Der schmutzige Geselle, der den Wirth machte, meinte, jetzt könne ich doch nicht mehr fort, denn es zog ein schweres Gewitter auf. Ich sah mich im Hause um und fand es ekelhaft schmutzig. Ihm gegenüber, auf der andern Seite der Straße, lag zwar ein anderer kleiner Gasthof, ich hatte dort aber bei dem Kaffeetrinken schon ganz dieselbe widerliche Wirthschaft gesehen. Diese beiden Wirthshäuser lagerten sich am Eingange von Vaucluse wie Hund und Katze, das eine hieß Petrarca und das andere Laura, das eine schien der Mann, das andere die Frau zu halten. Ich besann mich nicht lange und packte auf, um die Stunde nach l’Isle zurückzugehen. Wo in aller Welt, als in der unreinlichen und sorglosen Provence, würde nicht an einem Orte, wie Vaucluse, ein anständiges Gasthaus stehen? Jetzt fahren die Besucher Abends wieder fort, selten bleibt Jemand in Vaucluse zur Nacht.

Weil es mir aber leid that, daß ich das Thal so schnell verlassen sollte, ging ich noch einmal zum Sorgue-Brunnen hinauf und blieb dort in Gedanken sitzen, bis es dunkel wurde und der Donner immer unheimlicher durch die Schlucht rollte. Unter dem Leuchten des Blitzes suchte ich nun meinen Weg. Das Gewitter ballte sich immer schwärzer zusammen, es wurde so stichdunkel, wie ich es kaum früher erlebt hatte, und endlich merkte ich, daß ich vom Wege ab und in den Feldern war. Plötzlich leuchtete nicht weit vor mir eine Feuersäule auf, es sah aus wie eine fliegende Rakete und mußte ein Meteor gewesen sein, denn schneller noch als eine Rakete war es wieder verschwunden. Jetzt aber brachen Sturm und Gewitter los und beide prasselten ganz gehörig. Nun weiß ich nicht, warum mir der Marquis de Sade, schlimmsten Andenkens, nicht wieder aus dem Kopfe wollte. Ich glaubte im Blitze von Ferne sein Schloß zu sehn und dachte, wenn ein Mensch verdammt sein kann, nach seinem Tode umher zu gehen und die Leute zu erschrecken, dann ist dieser schändliche Kerl jetzt gewiß auf den Beinen. Eine Weile hielt ich das Unwetter aus, endlich schien es doch gerathen, mich weder wegschwemmen noch wegblasen zu lassen, und ich öffnete mir mit Mühe durch Gestrüpp und Weinfelder einen Weg nach einem Häuschen, wo ich noch Licht sah. Ich klopfte an, ich schrie, Nichts rührte sich, das Licht verschwand und ich blieb draußen im strömenden Regen. An den Wänden tappend gelangte ich in eine Art Schuppen, auf der Erde lag ein Haufen von Melonen, ich denke noch an den Schauder, als ich zuerst auf die kalten runden Dinger faßte. Weil ich zu müde war, nahm ich mit dem ersten besten Plätzchen vorlieb und schlief ein. Es war mir zwar, als hörte ich später Jemand kommen, aber ich hörte noch stärker das Unwetter forttoben und dämmerte weiter in jener Art von unruhigem Schlummer, wenn der Körper mehr als ermüdet ist. Am Morgen weckte mich der Bauer, der mit seiner Tochter hier allein wohnte. Er war um zehn Uhr heimgekommen und hatte das Mädchen vor Schreck zitternd mit dem Kopf unter der Bettdecke gefunden. Sie war auf mein Lärmen ans Fenster gekommen, aber weil ich einen weißen Reisemantel trug, hatte das dumme Mädchen geglaubt, sie sähe ein Gespenst. Ihr Vater hatte gleichgültig gesagt, wenn es ein Fremder wäre, solle er wohl im Schuppen sein, und hatte sich ruhig hingelegt. Ein Deutscher hätte doch wenigstens nachgesehen und ein Nachtlager, so gut er’s besaß, angeboten. Der Mann war so arm, daß er mir gar nichts bieten konnte, als harten Käse und trocken Brot. Ueberhaupt lebt das Landvolk hier unglaublich ärmlich, Wein und Südfrüchte haben sie zwar genug, aber der Magen verlangt doch noch mehr gute Dinge, und das Jahr ist lang. Die Leute sind hier entweder kleine Gutsbesitzer oder nichts besser als arme Taglöhner.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II