Abschnitt 1

XIV.
Die Provence.


Vaucluse.


Nachdem ich noch einen Abend und Morgen im wundervollen Avignon verlebt hatte, machte ich mich auf nach Vaucluse. Man nimmt bis dahin gewöhnlich Pferde oder Maulesel. Von Vaucluse hatte ich nur noch drei Stunden bis Orgon, um dort die Post nach Aix und Marseille zu treffen. Der Weg von Avignon nach Petrarcas Thale verdient all das Schöne, was von ihm gesagt wird, schon deshalb, weil er zum großen Theile einer der schattigsten in der Provence ist. Warum rühmt der Orientale frische Quellen und Schattenkühle so sehr? Weil er von beiden wenig hat. In der Provence begriff ich die überschwänglichen Schilderungen der bewässerten Thäler von Damaskus und Schiras.

Erst zog sich der Weg zwischen Feldern mit Wein und Maulbeerbäumen hin, dann fingen die Oelbäume an. Von der Straße ab führt eine Platanenallee nach der andern zu freundlichen Landsitzen, deren alterthümliche Gebäude mit steinernen Tischen und Sitzen vor den Thüren, umrankt von Weinreben und Gartengebüsch, überaus gastlich und heimathlich sich darstellen. Gleich hinter einem Dorfe, anderthalb Stunden von Avignon, geht es eine steinige Anhöhe hinauf, welche wieder ein Streif der Drau ist, dort bietet sich eine echt provencalische Rundsicht. Man muß sie bei dunkelm Wetter sehen, um die Lieblichkeit des Grüns zu genießen ohne den dörrenden Sonnenbrand. Von beiden Seiten der Anhöhe neigt sich die Ebene in sanften Wallungen, wie ein Gewinde von allerlei Buschwerk, aus welchem die weißen Häuser hervorglänzen. Die hellgrünen Weinäcker, die bleichen sanften Oelbäume, der üppige Maulbeerbaum, die dunkle wunderliche Ulme geben, in einander gemischt, eine herrliche Schattirung von Grün. In der Ferne ragt Avignon mit seinen riesenhaften Ruinen, und wo aus der Ebene ein Hügel steil auftaucht, da strecken auch alte Ritterburgen ihre Zinnen aus. Der Horizont ist rings begrenzt von Bergzügen, welche nach Vaucluse hin steiler und abgerissener werden. Dazwischen fällt der Blick auf die kahlen steinigen Höhen, welche in der Sonne ein so grelles Aussehen haben. Die Durance und der Rhone verbreiten sich weithin in schimmernden Krümmungen. Noch eine Stunde wieder hinunter begleitete mich diese angenehme Gegend. Man verfolgt allmählig den Lauf der Sorgue, deren wohlthätiges Gewässer an seinen Ufern höhere Bäume und gewerbliche Anlagen hervorgerufen hat. Ich kam bei alten Städtchen vorbei, die gleich steingrauen Trümmern aus dem Mittelalter dazuliegen scheinen, aber immerfort eine bewegliche lärmende Menge ausströmen. Denn bei jedem Städtchen ist vor dem Thore eine schattige Platanenallee, wo die Kaffee’s sind. Da finden sich denn alle Bekannte, ich sah in den vorigen Tagen manchmal dieselben halbzerlumpten Männer vom Morgen bis zum Abend an solchen Plätzen sich müßig umhertreiben. Je weiter nach dem Süden hinein, desto mehr lieben die Menschen das Nichtsthun.

Eine Stunde hinter dem letzten Städtchen, l’Isle, fragt man: wo ist Vaucluse? denn nichts ist zu sehen als dürre Ebene mit kleinem spärlichen Gebüsch, und da, wo Vaucluse liegen soll, zieht lang und breit ein Felsengebirge, welches an mehreren Stellen ungeheuren verfallenen Steinbrüchen gleicht. Links am Berge liegt das Haus des Marquis de Sade, der ein Abgrund von Schändlichkeiten gewesen sein soll, die gräulichsten Geschichten werden von ihm erzählt. Am Morgen hatte ich die Wohlthat leisen Regens in der Provence genossen, jetzt zogen sich die Wolken dunkel geballt hinter den Bergen zum Gewitter zusammen und spannten über dem Punkte, wo Vaucluse liegen sollte, einen mächtigen Bogen. Ich verfolgte den Weg erwartungsvoll, wo ich denn das Thal finden werde, und auf einmal senkte es sich tief unter mir zwischen die Berge, es scheint wie hineingeschnitten, und trägt mit Recht den Namen des geschlossenen Thals. Vancluse ist aber kein lachend Blütenthal, wo liebliche Blumen und Gedichte aufsprießen, sondern schwermüthig und düster. Bäume und Grün beeifern sich zwar, den Ort mit etwas Leben und Anmuth zu bekleiden, aber sie schwinden zusammen unter dem Eindruck der furchtbaren finstern Felsenberge, welche ringsum aufragen.

Am Eingange des Thals liegt das elende Dorfnest, an welchem der berühmte Name hängt. Seine einzige Zierde ist das klare perlende Wasser der Sorgue, welches zwischen den Steinen fortstürzt, als wolle es rasch weg in die sonnenhelle Ebene. Klares lustiges Wasser, wie ungemein erfrischt das in diesem Lande. Kaum daß das Dorf durchschritten, ist man ganz in tiefer Felsschlucht und Einsamkeit. An beiden Seiten starren die grauen zerklüfteten Wände himmelan, rechts oben vom Rande sieht das alte Schloß des Bischofs herab, des Freundes von Petrarca. Vor sich hat man eine riesenhafte breite Bergwand, welche bis hoch in die Wolken mit tiefen Furchen und Höhlungen bedeckt ist. Das Thal gleicht einer ungeheuren Ruine, welche die Natur selbst geformt hat. Das einzige Lebendige ist die klare Sorgue, welche über Felsblöcke schäumend dem Wanderer entgegen schießt. Ihr Bette ist vollständig mit grünen Flußpflanzen ausgelegt, deshalb scheint auch das Wasser, welches drüber hinrollt, so grün.

Der Fluß schüttet sich gleichsam unten aus der breiten Wand hervor, welche das Thal quer abschließt. Dort stehen ein paar Cypressen, aber wie bedrückt von der Furchtbarkeit der Umgebung wagen sie nicht, sich völlig zu entfalten. Als ich da war, kam das Wasser ungefähr zwanzig Fuß vom Felsen aus der Erde hervor. Wenn aber zur Regenzeit die Klüfte und Spalten des Gebirgs eine Wassermenge verschluckt und in ihren verborgenen Gängen bis zu dem Brunnen der Sorgue niedergeführt haben, dann plätschert der Fluß herab aus der schwarzen Kluft, welche am Fuße der breiten Wand gähnt. Es muß ein hübscher Anblick sein, wenn der helle Bach in seinem Felsenbette dann über die mächtigen Kiesel schäumt, welche ihm den Weg verrammen wollen. Sie waren, da jetzt das Bette trocken lag, oben mit schwarzvertrocknetem Moose bedeckt und unten weiß angefressen. Hoch am Rande der Kluft im nackten Felsen, ihrer gleichsam spottend, hängen zwei Feigenbäume, unbegreiflich, wie sie dahin kamen und wovon anders, als von Wasserdünsten, sie sich nähren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II