St. Remy.

XIV.
Die Provence.


Nach meiner Gewohnheit, weil es Tags über in der sonnigen Provence doch gar zu sonnig ist, wanderte ich erst gegen Abend nach St. Remy. In der Nähe von St. Bavieres stand ein einsames Wirthshaus, wie es auf Fußwanderungen angenehm ist. Ringsum war frische Luft und Baumgrün, drinnen Verkehr von Landleuten, und für mich ein reinlich Stübchen, auch ein paar Flaschen Ausstich im Keller. Während ich vor dem Hause sitzend den Wein prüfte, kam und ging Volk aus der Umgegend und führte in und vor den offenen Stuben seine Unterhaltung. Die Provencalen haben ein schweigsames finsteres Wesen. Es sind dieselben heißäugigen schwarzhaarigen Gesellen mit dunkelgebräunten Zügen, wie man sie bis zur Lombardei und bis in die savoyischen und piemontesischen Alpen hinauf findet, weder schlank, noch leichtfüßig, aber mit manierlichen Händen. Ist man einmal mit ihnen bekannt, so werden sie flink und höflich, ob auch zuverlässig ist bei jedem Einzelnen erst zu prüfen. Viele saßen und tranken den schlechten brandigen Rothwein, welchen man den Eimer für ein paar Sous kauft. In jeder deutschen Dorfschenke hätte man Singen oder Gelächter gehört, hier machte sich blos ein Murmeln bald stärker bald schwächer vernehmlich. Die Poesie der Provence scheint durchaus nur eine höfische Kunst gewesen zu sein. Das liebliche Lied könnte sich auch weder mit dem Zwiebeldunst der Leute, noch mit ihrem breiten knolligen Platt vertragen. Jedoch bemüht sich hier Jedermann, wenn ein Gebildeter mit ihm redet, in französischer Sprache. Nur diese will das Volk vom Prediger und Richter hören; spricht man es in seiner eigenen Mundart an, glaubt es leicht sich verspottet. Im Languedoc soll die altprovencalische Sprache mehr in Ansehen und selbst in höhern Bürgerklassen noch im Gebrauch sein, auch weicher und melodischer tönen, als an dieser Seite des Rhone. Früher wurde darin gedichtet und gedruckt, jetzt geschieht das auch im Languedoc mit jedem Jahre spärlicher, und das ist ein entscheidendes Zeichen für die Abnahme der Sprache. Hier und überall auf der Erde verstummen die Mundarten kleinerer Bezirke nach und nach vor der allgemeinen Landessprache der Gebildeten. Daran, wie an tausend andern Dingen, erkennt man, wie mächtig der nordfranzösische Geist in das Innere und zum Süden Frankreichs vordringt. Das Romanische ermannt sich zu Zeiten zum Widerstande und erneuert selbst das Imperatorenthum, bald darauf wird es aber um so kräftiger wieder zersetzt und zurückgedrängt. Mit der Schulbildung scheint es aber in der Provence noch sehr zu hapern, die Leute in den kleinen Ortschaften rissen die Augen auf, wenn ich etwas in mein Tagebuch schrieb, sie konnten nicht begreifen, wie das so schnell ging.


In einem der schrecklichen Rollkasten, welche der Landmann hier Wagen nennt, fuhr ich andern Tags nach St. Remy. Die Gegend blieb ziemlich eben, nur selten und vereinzelt stiegen zackige Höhen auf. Ortschaften kamen spärlich, das Land war wie verbrannt, nirgends ein grünes Plätzchen, das zur Ruhe einlud. St. Remy aber ist ein nettes Städtchen mit freundlichen Gasthäusern. Unter den Frauen hier findet sich noch immer ein lieblicher Rest griechischer Schönheit.

Eine Viertelstunde von St. Remy stehen am Fuße einer Felsenreihe, die sich seltsam wie Schlösser und Basteien ausnimmt, die beiden antiken Denkmale. Sie sind nicht großartig, jedoch geschmackvoll. Der Triumphbogen ist mit Gewinden von Früchten und Blumen bekränzt, einer sehr feinen Steinarbeit, die Früchte laden fast zum Essen ein. Zwischen den Säulen erblickt man viermal einen Mann und eine Frau gefesselt. An beiden Seiten des Bogens ist von späterer Hand leider etwas Mauerwerk angeflickt, so daß der obere Theil dem Dach einer Schäferhütte gleicht. Nahebei steht das Mausoleum: auf einem festen Unterbau von Quadern erheben sich vier Bogen, welche ineinander greifen und über sich einen luftigen Säulentempel tragen, unter dessen Kuppel zwei Römer in der Toga stehen. So hübsch das Obere verziert ist, so roh die Bildhauerei an den vier Seiten des Piedestals. Von der kleinen Anhöhe, auf welcher die Denkmale stehen, hat man wieder einen Rundblick über einen guten Theil der provencalischen Ebene. Man sieht auch unter die Bäume eines Irrenhauses, welches noch etwa einen Büchsenschuß entfernt ist. Es wird viel besucht; ich fand in seiner Einrichtung wenig, was sich mit der reinlichen Zweckmäßigkeit in deutschen Anstalten der Art vergleichen könnte.

Hier nun hatte ich meiner Fußwanderung Ziel gesetzt. Der Rückweg nach Avignon bot etwas Abwechselung. Erst kam ich über einen Ausläufer der Drau und später über die Durance. Die Drau ist ein Geröll von lauter Kieselsteinen, welches zusammenhängend viele tausend Aecker bedeckt, die seltsamste Art von Wüstenei, die man sehen kann. Die Durance war überhangen von einer Reihe Kettenbrücken, welche von Pfeiler zu Pfeiler gingen. Der Fluß ergoß breit wie ein See seine schimmernden Gewässer, ein Anblick, der mich nicht wenig erfrischte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II