Arles.

XIV.
Die Provence.


Es ist weltbekannt, daß in Arles noch griechische Frauenschönheit blüht. Die Griechen hatten in der Provence ihre heimische Bildung angesiedelt, unter diesem milden schönen Himmel trieb sie Früchte, würdig der Heimat. Weder der Romane noch der Gothe konnte die edlen Züge dieser Bildung völlig verwischen. Wenn auch die Griechen der Provence unter der Römerherrschaft, welche alles Nationale zersetzte und niederdrückte, sich nur noch in seinen Lüsten auszeichneten, so möchte eine Nachwirkung ihres Geistes doch darin zu finden sein, daß im Mittelalter in diesem Süden Frankreichs so früh Dichtkunst und Handel wieder aufblühten. Das Schönste aber, was die Griechen dem Lande zurückließen, lebt noch heute in den Töchtern von Arles.


Nachdem ich mich wohl danach umgeschaut, – und man sieht vor den Häusern häufig mehrere beisammen nähen und wirthschaften, – muß ich gestehen, daß der Ruf nicht zuviel sagt. Ich habe wohl schon größere Schaaren schöngebildeter Mädchen gesehen, zum Beispiel des Sonntags vor den Kirchen im Schwarzwalde und in Deutsch-Böhmen, aber noch in keiner Stadt durchgängig eine so eigenthümlich reine Form von Frauenschönheit. Unwillkührlich denkt man in Arles an lebende Marmorbilder in halbmoderner Tracht. Das Gesicht ist ein reines Oval, jeder Zug, jede Bildung darin antik, ebenso wie die schmalen Hände und Füße, der Teint weiß, aber als wenn ein Schatten darüber fiele, die Augen kühl und ruhig, als verschleierten sie ein tiefes Feuer unter hochbogigen dunkeln Augenbrauen und langen seidenen Wimpern. Die edlen Gestalten schreiten gerade einher, ähnlich wie Engländerinnen, ihre Bewegungen sind nicht leicht und schwebend, wohl aber harmonisch. In ihrem ganzen Wesen verräth sich nichts von dem Weichen und Innigen der deutschen, nichts von dem Spitzen und Eleganten der französischen Art, wohl aber sittige Anmuth. Manches Mädchen schaut den Fremdling an, wie eine seltsame weiße Blüthe, die aus einem fernen unerreichbaren Lande hierher versetzt ist. Die Tracht ist schwarz mit weißem Spitzentuch, Nacken und Hals frei, die schöne Form durch keine Schnürbrust verunstaltet. Schade nur, daß auch sie zuviel von den üppigen Haarflechten durch ein Tüchlein mit einem Kinnbande verdecken, die Frauen wollen ja immer noch Zierrath auf dem Kopfe tragen. Die Arleserinnen wissen wohl, daß sie schön sind, aber sie könnten sich ihre edle Haltung nicht bewahren, wenn sie nicht auch züchtig ernst wären. Das ist ihr schönster Schmuck. Wenn aber die Griechinnen der klassischen Zeit ebenfalls das unabwendbare Schicksal der Arleserinnen traf, daß nach flüchtiger Jugendblüthe ihr Teint solche Graufarbe ihr Gesicht so tiefe Gruben bekam, so war der Schimmer der Schönheit theuer bezahlt.

Gewiß kann man nun nirgendswo angenehmer Antiken beschauen, als wenn solche Schönheitsbüsten in den nahen Straßen wandeln. Der Fremde fühlt sich wie durch einen heimlichen Zauber in das Leben des Alterthums zurück versetzt. Arles hat Herrlichkeiten aus jedem Zeitalter, es rühmt auch den Vorzug, die weit älteste Stadt der Provence zu sein.

Hochaufragend über Häuser und Kirchen erhebt sich auf felsiger Höhe die römische Arena, wie eine finstere Festung. Durch fünf Bogengänge tritt man hinein, die beiden äußersten und der mittlere laufen um die ganze Rundung, die andern dienten zu Behältern verschiedener Art. In zwei Stockwerken steigen die Bogengänge von dem Platze unten immer höher auf, nach der Bühne zu bis oben hin mit Stufenreihen bekleidet. Keiner ist wohl auf diese Sitze getreten, ohne daß er plötzlich erschrack vor dieser gähnenden Größe. Wie das Bette eines Bergsee’s, aus dem die Fluthen gewichen sind, so kolossal ist dieser eine Raum. Der Römergeist steht dort vor dem Fremdling, man erkennt, wie riesig das römische Volk sich seine Majestät dachte. Durch das Trümmerhafte und Verfallene des Riesenbaues wird sein Eindruck noch düsterer. Ein Häuslein war hingestreut unter die Sitzreihen, wie ein verwehtes Blatt im Walde. Auf dem obern Rande haben die Mauren, um die Festung zu schirmen, drei Thürme gebaut, welche man gern besteigt, um sich wieder an der Aussicht auf Grün, Fluß und Stadt zu erfrischen.

Nach dem düstern Eindruck, den die römische Kampfbühne macht, fühlt man sich doppelt wohl in freier Natur, zumal am lebendigen Hafen. Der Rhone strömt den Stadtmauern nahe vorbei, ein Kanal mündet dort ein; am Hafendamm liegen kleinere Segelschiffe, auch recht anständige Zweimaster, mit Matrosenvolk bedeckt; andere Schiffe kommen mit der Dampffahne oder mit vollen weißen Segeln den Fluß herauf. Gegenüber liegt die alte Feste Trinquetaille und drehen Windmühlen ihre langen Flügel. Weiter den Rhone hinab breitet sich aus bis zum Meer die trostlose Camarque, ein Sumpfland, in welchem nur wilde Pferde und Stiere und die Fieber gedeihen, deren tödtlicher Hauch zu Zeiten vom Winde bis nach Arles geführt wird. Diese Stadt selbst nimmt sich am Flusse recht alterthümlich aus, Alles aber wird überragt von den Ruinen des finstern Römerbaues.

Eine fast ganz zerstörte Ruine ist das griechische Theater, kaum die Hälfte konnte noch ausgegraben werden, aber auch an diesen Resten haftet die ursprüngliche Anmuth. Prachtvoll muß diese Kunststätte gewesen sein vor ihrer Verwüstung; zwei herrliche Säulen stehen noch, Kapitäler, Schäfte, Architrave liegen umher, der Fußboden ist wie die Säulen von weißem und farbigem Marmor. Wie hier im Theater, so kann man im Museum vortreffliche Kunststudien machen. An den köstlichen Bruchstücken von allerlei Bautheilen, Zierrathen, Grabmälern und Bildwerken ist leicht zu verfolgen, wie die griechische in die römische Kunst überging, wie sich darauf die christliche erst ganz an die antike anschmiegte, bis sie später zu einem eigenen, wenn auch noch rohem Ausdrucke kam. Der Kopf der Diana und der Rumpf des Silen sind trotz der argen Verstümmelung so schön, daß man am Schauen sich nicht sättigen kann. Selbst über einige Lorbeerkränze und Altäre ist etwas wie geistige Schönheit hingehaucht. Es regt sich bei dem Anblick solch echter Schönheit im Herzen etwas wie süßes Weh, man ist in seinem ganzen Wesen erfüllt und befriedigt, und doch klagt es darin wie Sehnsucht, aber das weiß man, es ist das reinste Gefühl, dessen der Mensch fähig. – Der Museumswärter freilich war von all der antiken Anmuth unberührt geblieben, ein alter eingefleischter Nationalist, der in jedem Deutschen einen Sinnesgleichen sah; zum Dank für seine Notizen mußte ich sein Manuskript über die Denkmäler und Geschichte von Arles lesen, worin scharfe Bemerkungen standen.

Arles hegt aber auch kostbare Denkmale aus der Christenzeit. An der alten Kirche mit ihrem vielbelobten Portale konnte ich zwar nicht viel Bewundernswerthes finden, desto herrlicher ist der Kreuzgang in dem ehemaligen Kloster nebenan. Da umfängt uns sofort eine andere, aber nicht minder berechtigte Welt. Hat man an dem Antiken das sinnlich schöne Dasein in den edelsten Bildungen bewundert, so ranken sich hier Lichtgedanken in die seligen Fernen hinein, dort die klare schrankenfeste Gegenwart, hier die unsägliche Sehnsucht. Diese luftigen Hallen und Wölbungen sind so zart ausgedacht, diese vielen Säulen, Säulchen und Spitzbogen bilden zusammen ein so zierliches Geflecht, es umweht Einen etwas wie Waldeskühle voll sproßenden Lebens. Man muß aber jede der vier Hallen, aus denen der Kreuzgang besteht, für sich allein betrachten, dann merkt man auch das Entstehen, die Blüthe, die Ausläufer der gothischen Kunst. Die Franzosen sind in dies Baukunstwerk verliebt, unzählig oft haben sie es nachgebildet, stets sah ich Maler darin beschäftigt.

Wie Nismes seinen räthselhaften Todtenthurm, so hat Arles seinen räthselhaften Kirchhof, die elis Camps, auf welchem Reihen von massiven Steinsärgen unbedeckt im Grase stehen. Die Sargwände sind so dick und groß, als hätten sie Riesenleiber umschließen sollen. Die Alterthumsforscher zerbrechen sich den Kopf darüber, wer darin gelegen hat. Wollten etwa die alten Gothen, auch als sie christlich geworden, nicht in die Erde hinein? Genug, weil man sich einmal nur an der Luft wollte beisetzen lassen, so verwandte man auch Sorgfalt auf den Schmuck der Särge. Die alte Kapelle auf dem Kirchhof ist auch wie eingesargt, aber von dichtem Moos und Laubwerk.

Als wenn die Stadt alle möglichen Baustile vereinigen sollte, ist auch ein Obelisk aus Egypten herbeigeschleppt. Erst trug dies in die Wolken hinein zeigende Ding eine Sonne, dann eine Freiheitsgöttin, dann den napoleonischen Adler, darauf wieder die Sonne, und jetzt soll wohl wieder der Adler seine Fänge darauf wetzen. Was so ein egyptischer Obelisk nicht alles erleben muß, und er zeigt doch stets nur in die rasch wechselnden Wolken. Selbst die aufgedunsene Prächtigkeit des, Zeitalters Ludwig XIV. hat sich hier in Arles einen Ehrenplatz ausgesucht, das Rathhaus gehört ihr an. Die maurische Bauart hat in den erwähnten drei Thürmen der Arena Merkzeichen zurückgelassen. Aber es haben doch auch die Deutschen einen Kriegszug nach dem Rhone gemacht und das altberühmte Königreich Arelat gewonnen, ist denn von ihnen nicht einmal ein Thurm mehr da? Kam nicht der Dänenkönig, Waldemar der Große, nach Arles, um dort von dem Hohenstaufen Friedrich I. seine Krone zu Lehen zu erhalten? Nur ein Name erinnert noch an das gewaltige Reich der Deutschen, das einst so viele Länder und Völker umfaßte. Der Landmann nennt das linke Rhoneufer noch jetzt „das Reich.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II