Nismes.

XIV.
Die Provence.


In Nismes, wo ich noch bei Zeiten ankam, eilte ich einen Ueberblick der Schätze zu gewinnen, an denen ich mich den andern Tag erfreuen wollte. Es war eine Fülle von Größe und Schönheit. Wie stand mir der antike Geist so nahe und sah mir tief in die Seele hinein. Ein schöneres Haus, als der griechische kleine Tempel, kann wohl für unsere Erde nicht gebaut werden. Und wie munden nach einem heißsonnigen Reisetag die würzigen Früchte und Weine der Provence unter einer Laube in der Abendkühle. Auch erfreute ich mich in den Gärten von Nismes an der Ueppigkeit von Gewächsen, deren Heimat noch jenseits des Mittelmeeres war. Schon vorher, als ich auf der Landstraße durch Staub und Hitze nach der Stadt rollte, hatte mir ein Blick über Gartenmauern eine Menge tropischer Pflanzen gezeigt. Wir hegen in unsern Ziergärten die Gewächse aus Italien und dem südlichen Frankreich, und hier wendet man dieselben Kosten daran, um sich ein Stückchen noch südlicheren Wachsthums zu verschaffen.


Spät Abends kam ich noch ins Theater. Das Spiel hatte eben angefangen, aber Alles war in Aufregung. Einer aus dem Parterre hatte den mitspielenden Direktor laut beschuldigt, er habe Klatscher bezahlt für die schlechten Schauspieler. Diese standen bleich und versteinert, der Direktor antwortete wüthend, ein Polizeihauptmann redete gewichtig aus einer Loge herunter, endlich verlangten einige Zuschauer das Stück und Alles schrie nun „das Stück! das Stück!“ Es ging denn auch mit einiger Hast über die Bretter, und dem jämmerlichen Trauerspiele folgten in bunter Abwechslung lustige Stückchen und kleine Gesänge. In Avignon hatte ich schon eine ähnliche Szene erlebt. Da sprang ein alter Militair auf die Bühne, und schrie und agirte im Rausche von seinen Thaten und seiner Noth unter dem Zuruf und Klatschen der Menge. Besonders rief er immer „Schinken! Schinken!“ was ich nicht recht verstand, es sei denn, daß er eine dunkle Vorstellung von den Annehmlichkeiten des Salzfleisches im Weinrausch hatte. Der Direktor führte ihn endlich weg mit Güte und mit Gewalt. Mir fiel auch im gebildeten Nismes auf, wie dürftig das Provinzial- Theater in Frankreich bestellt ist. Es war und blieb Coulissenreißerei, keine innere Wahrheit der Handlung, kein einfacher Ausdruck des Gefühls, – was dagegen in Intriguen hineinspielte, wurde fein und beredt gegeben. Die französische Sprache ist wie gemacht für leichte Gesellschaftsstücke, sie plätschert blinkend dahin, Ideen und Gefühle flüchtig berührend; die deutsche Sprache ist dagegen ein rauschender Strom, in dessen Tiefe schwere Goldstufen liegen. Im Theatergebäude war eine ewige Unruhe, Alles heiter und beweglich, man sprach mit einander und ging aus und ein; fiel ein guter Schauspielerzug ins Auge oder eine hübsche Melodie ins Ohr, gleich brach man das Gespräch ab und klatschte und summte auch wohl mit. Bei der leisesten politischen oder religiösen Anspielung im Stücke schien es, als wenn sogleich die Parteileidenschaften unter den Zuschauern aufzuckten. Wer nur zwei Tage unter diesem heißblütigen Volke ist, der nimmt bald wahr, mit welch finsterer Wuth die Parteien es zerklüften.

Nismes ist eine der Stellen auf der Erde, welche mir wie Lichtpunkte noch bis ins Alter hinein im Andenken glänzen werden. Es steht dort ein Heiligthum der Kunst, nach welchem Alles wallfahrten sollte, was sich an der reinsten Schönheitsquelle laben will. Es ist nur ein kleiner griechischer Tempel aus weißem Marmor, aber wie ein Götterbild, wie ein himmlischer Gedanke in gediegenen Formen ist das Bauwerk dahingestellt. Seitdem ich dieses gesehen, wanderte ich mit leichtem Kindessinn, in der Seele liebliche Melodien und Gestalten, umher unter den Resten der Kunst und in der Lichtfülle der südlichen Natur. Und immer, immer zog es mich dorthin zurück, meinen Sinn zu läutern und zu erfrischen. Dies Kleinod war mir wie ins Herz gewachsen, ich sah das Gold des Morgens und des Abends leise spielen in dem Blätterwerk und das Mondlicht gleiten über die edlen Formen, und nie verließ ich die Stelle ohne sehnsüchtig zurück zu blicken. Wie diese gereiften Säulen so fest auf dem Boden stehen, wie sie jugendlich kühn aufsprießen zu dem üppigen und doch immer zarten Blätterschmuck! Das Gebälke fügt sich so zierlich daraus und darüber erhebt sich stolz und kraftvoll der Giebel. Alles ist anmuthig reges Leben, aber Alles in reiner Harmonie, dieselbe Grundform blickt überall durch, überall hold geziert, gleich einer schamhaft blühenden Jungfrau, die sich ihres Werthes, ihrer Anmuth bewußt ist und doch den lieblichen Schmuck nicht verschmäht. Es gießt sich bei dem Anschauen eine himmlische Ruhe, eine stille unversiegbare Heiterkeit in die Seele; es ist Einem wieder die ideale Gestalt erschienen, die jedem Wesen inwohnt als sein edles und wahres Selbst, entkleidet von allen groben Stoffen, aller Unruhequal der Erde.

Die Einwohner von Nismes ehren dies Kunstwerk, sie nennen es zwar nur die maison carree, aber sie haben es mit freiem Platze und schützendem Eisengitter umgeben. Weniger gefiel mir, daß sie dahinter ihr neues Schauspielhaus gestellt haben, dies Gebäude ist zwar ebenfalls im griechischen Stil und nicht unschön, aber es erscheint doch gar zu todt gegen das leichte heitere Leben in jenem echt griechischen Bauwert. Auch das Innere des letztern möchte man lieber mit einer einzigen schönen Bildsäule oder zwei oder drei Gemälden verziert sehen, als mit einer ganzen Sammlung, welche allerdings vorzügliche Stücke enthält, als Paul Delaroche’s Cromwell vor dem enthaupteten König, Collin’s Hölle des Dante, und Signalon’s römische Buhlerin mit Augustus und dem sterbenden Sklaven, alle drei schaurige Bilder, welche mancherlei finstere Gedanken anregen. Besonders zog mich ein Gemälde an, in welchem Mönche um den sterbenden Bruder versammelt sind, es ist darüber ausgegossen das seltsam Ergreifende des Augenblicks, wo der Todesengel lautlos des Sterbenden Stirne küßt.

Die Stadt hat noch viele andere Denkmale aus den klassischen Zeiten. Die grüne Wasserfülle, welche in ihrem Parke aufsprudelt, ist an den Quellen von den Alten schön und bequem eingefaßt, mit Statuen besetzt und zu Bädern überbaut gewesen. Man sieht noch herrliche Reste davon, ebenso von dem Dianentempel nahe bei, dessen Trümmerfall sich zwar nicht mehr aufhalten läßt, der aber noch jetzt die Einrichtungen eines antiken Tempels andeutet. Unter den hochschattigen Kastanienbäumen des Parkes stehen auch einige alte Büsten. Hier lustwandeln die Einwohner, und man sieht dort jeden Abend eine Menge von schönen Frauen und Mädchen mit dem Glutblick ihres Landes. Ihre Tracht hat etwas mittelalterlich kleidsames, Täschchen und Scheere hängen an Silberketten vom Gürtel. Im Park ist auch eine Sammlung lebender und ausgestopfter Thiere angelegt; ich sah mit Vergnügen die verschiedenartigsten Vögel in einem einzigen Käfig in guter Eintracht leben.

Nismes macht den Eindruck einer glücklichen Stadt; Handel und Gewerbe blühen, die Natur giebt üppig Blüthen und Früchte, und die Kunst ist einheimisch. Die Kinder wachsen im Anschauen der herrlichsten Denkmäler auf, es ist daher natürlich, wenn sie als Erwachsene ihren Kunstsinn in prächtigen öffentlichen Gebäuden ausdrücken, mit denen sie ihre Vaterstadt zieren. Unter diesen leuchtet hervor die byzantinische Kirche mit den vortrefflichen Wandgemälden von Flandrin. Die Kunst ist in Nismes ein natürliches Zubehör des öffentlichen Lebens, das überall hervorglänzt. Die Städte der Provence wetteifern mit einander, die Kunst zu ehren, die Bürger von Nismes haben am meisten Mittel und Neigung dazu.

Den größten Werth legen sie auf die Arena. Dieses Riesengebäude giebt in der That noch jetzt das vollkommenste Bild der römischen Kampfbühne. Unter den Sitzen kann man die Windungen der Bogengänge verfolgen, in welchen das Volk sich in den Zwischenakten umher trieb, die Gewölbe ließen von hier kein Getöse in den innern Raum hinein. Die Behälter für die wilden Thiere und Fechter, die verschiedenen Pforten, die Wassereinlässe, die Rangklassen der Sitze, die sonstigen häuslichen Bequemlichkeiten, Alles ist wohl erhalten. Von dem Eirund des Grasplatzes im Innern steigen erst sechs Sitzreihen, dann vier gewölbte Gänge, welche bis oben hin mit Stufen bekleidet waren, hinter einander auf. Nur ein Theil der Mittelsitze und etwas von den oberen Arkaden ist eingestürzt. Der Beschauer mag stehen, wo er will, immer überblickt er das Ganze, kein Sitz und keine Person bleibt verborgen. Man umwandert das Rund mit wachsenden Schritten, und ist nach einiger Zeit der Ausgangspunkt wieder erreicht, so wird der ungeheure Raum erst faßlich und doch erscheint das Ganze immer so nett und rundlich. Die Zuschauer auf den obersten Sitzreihen genossen zugleich eine hellweite Aussicht, im Osten dehnt sich die Ebene, im Westen die Stadt, welche sich rundum hier an die Arena, dort an eine im Halbkreise aufsteigende Höhe anlehnt.

Aus dieser Höhe, gerade über der Stadt, steht der seltsame Thurm, la tour mague genannt, wie ein düsteres Geheimniß. Durch Pinienhaine und Lorbeergebüsch führt ein steiler Fußweg zu ihm hinauf. Das untere Gebäude sieht egyptisch aus, das obere ist verziert. Ich möchte denen beistimmen, welche glauben, es sei eine Todtenwohnung gewesen, namentlich paßten dazu die dunkeln und verworrenen Kammern des untern Stockwerkes. Schon der unbegrenzten Aussicht wegen muß man die Warte des Thurmes besteigen. Eigenthümlich ist diese Aussicht, – daß sie aber im Großen und Ganzen so schön sei, wie mir vielfach gesagt war, konnte ich nicht finden, sie schien mir viel zu einfarbig grau in grau. Ich war erst wenige Tage in der Provence, und schon fehlte mir überall Etwas, es waren die dunkeln Gebirge mit den hallenden Wäldern und rauschenden Wässern. Ein Land, wo das Geplätscher kühler Quellen und Bäche so selten, wo nur am Meeressaume und sonst nirgends eine saftgrüne Wiese, könnte mir auf die Länge nicht behagen, trotz aller Mandelblüten, Myrthen und Cypressen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II