Beaucaire und Tarascon.

XIV.
Die Provence.


Die Eisenbahn führte mich von Nismes nach Beaucaire. Auf Weges Mitte hielt der Zug eine halbe Stunde an, und sogleich ergoß sich aus allen Wagen eine Menge Volks den Eisenbahndamm hinab und in die Weinfelder zu beiden Seiten und kam mit Trauben beladen zurück. Ich befand mich einmal zwischen Birmingham und Liverpool auf einem Zuge, den ebenfalls ein zufälliges Hinderniß eine halbe Stunde im freien Felde aufhielt, da durfte man zwar aussteigen, aber wer sich einen Schritt von der Bahnlinie entfernen wollte, wurde grob zurückgewiesen. Im vorsichtigen Deutschland wäre bei ähnlicher Gelegenheit die ganze Reisegesellschaft unter Schloß und Riegel gehalten. In Beaucaire stieg ich gleich zu den ungeheuren Burgtrümmern auf, welche in ihren Thürmen und Zacken noch den ritterlichen Trotz aus alter Zeit bewahrt haben. Die Aussicht von hier oben ist allein die Reise werth. Man hat auch hier wieder den Rhone mit seinem Gegenüber. Die altersgraue Stadt Beaucaire und ihre vielen Kuppeln und Thürme liegen tief unten in einem Dreieck, dessen Seiten der Rhone, zwei Felsberge mit ihren Schloßruinen, und eine dritte Höhe bilden. Drüben erhebt sich Tarascon. Die Seite, welche es dem Flusse zukehrt, erinnert in ihrem Gemenge von allerlei altem und neuem Bauwerk, welches durch und übereinander hängt und steht, an unsere Rheinstädte. Ueber der Stadt auf steil abfallenden Felsen dräuet die alte Burg des Königs René mit ihren vielgezackten Thürmen und Altanen, das ganze Mauerwerk vom Rost des Alterthums bronzirt. Zwischen beiden Städten und Burgen stürmt der Rhone daher unter einer luftig schwankenden Hängebrücke, das Wasser drängt und schießt, als wären alle Wellen in wilder Flucht zum Meere. Ich war diesen Strom vom Rhonegletscher im Oberwallis an hinabgewandert, und immer sah ich ihn so ruhlos hinstürmen. Und am Ende muß er schlimmer noch als der Rhein seinen Weg ins Meer suchen durch pesthauchende Sümpfe, auf der einen Seite die Drau, auf der andern die Camargue.


Beaucaire hat eine Menge kleiner Alterthümer, im Ganzen ist es eine enge häßliche Stadt, jedoch voll einzelner malerischer Bilder, vor den dunkeln niedrigen Waarengewölben handtirt immer eine Menge Volkes. Von der altberühmten Messe, die einst die Kaufleute aus den Mittelmeerstaaten mit den Nordländern hier vereinigte, sind nur noch Spuren da, welche aber noch immer eine bunte Mischung verschiedener Volksarten aufweisen sollen.

Nett und lebhaft ist es dagegen im hübschen Tarascon. Seine Mädchen bilden sich ein, daß sie denen von Arles nicht viel nachgäben, ja sie meinen sogar, sie hätten daneben mehr französische Anmuth. Gewiß, nach dem Streite um den Vorzug einheimischer Helden und Dichter giebt es keinen lieblichern Kampf der Städte, als um den Vorrang in Kunst und lebender Schönheit. Das Volk dieser Gegend hat in seinem Anzuge etwas halb Spanisches; mit einer Anzahl Worte in seiner Sprache hat es auch manche Sitte von Spanien herübergenommen. Es scheint, jedes Volk müsse etwas von seinem Wesen über seine östlichen Grenzen ausstrahlen lassen, wie das deutsche in den slavischen Osten und das französische nach Deutschland hinein, so das spanische hier nach Frankreich.

Die alte Königsburg in Tarascon, nach außen so festungsartig, entfaltet im Innern den schönsten Reichthum von gothischen Portalen, Säulenhallen, gewölbten Treppen, mächtigen Sälen und mannichfachem Zierrath. Sie ist jetzt ein Gefängniß. Nahe daran ist die berühmte Kirche der h. Martha, welche nach der Legende hier den Drachen (tarasque) des Heidenthums erlegte. Mit den Lebensbildern der Heiligen ist die Kirche kunstvoll ausgemalt, sie prangt auch durch ein altes Säulenportal, aber ihr bester Schatz ist das viel nachgebildete Stück von Vanloo, der Tod des heiligen Franciscus.

Man wird nicht müde, unter diesen alten Gebäuden, an welchen der Erinnerungen noch so viele haften, umherzuwandern; ein Maler würde hier, wie in unsern alten Städten, seine Mappe bald mit Skizzen füllen und sich an der Kraft der Helllichter und Schlagschatten erfreuen. Sehen muß man diese halbzertrümmerten Bergschlösser, wenn der Mond hinter ihnen steht. Unter den Strahlen der Sonne erscheinen sie zu öde und traurig in ihrem Verfalle. Aber wenn das zitternde Mondlicht sie umhüllt, dann meint man, es rege sich und flüstere und wandle auf den hohen Warten und Zinnen. Nach einem solchen Mondscheinabend fuhr ich noch nach Arles. Es war hier schon still auf den Straßen, aber die Alterthümer leuchteten und lockten so sehr, daß ich unter ihnen umherlief bis nach Mitternacht. Vergebens suchte ich nun eine Herberge; ich traf noch zwei Bürger, freundliche Leute, welche mit mir an mehren Gasthöfen anpochten, aber nirgends wurde mehr geöffnet. Der Eine wollte durchaus mich nach seinem Hause mitnehmen, um mich noch zu Abend zu bewirthen, ein Bett könne er mir freilich nicht mehr geben, weil er und seine gute Frau nur ein einziges hätten. Der Andere wollte, daß ich ihm einen Ort bestimme, wo er mich am Morgen abhole, mir die Alterthümer seiner Stadt zu zeigen. Ich sprang endlich kurz und gut in einen Postwagen hinein, der vor einem Hofe stand, und schlief ein paar Stunden nicht übel. Als die Morgenkühle mich aufweckte, sah ich in einem Laden mir gegenüber die Frauen und Mädchen aus- und eingehen. Es war eine Kaffeeschenke, wo sie ihren Kaffee tranken oder holten, und während ich mich ebenfalls dort an dem warmen Getränk erquickte, hatte ich Gelegenheit, schon viele Schöne im Morgenrock zu sehen, es waren königliche Gestalten darunter.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II