Nach Italien.

XIV.
Die Provence.


Die Bergwälder waren zu anlockend, ich machte noch einmal eine Fußwanderung zwei Tage lang über Coeures nach le Luc, wo ich die Post nach Cannes, Antibes und Nizza nahm. Es waren ein paar herrliche Tage, in Wald und Grün verlebt. Hier standen zwar keine dichten hochstrebenden Wälder, sondern ein Durcheinander von Baumgruppen, Kalkfelsen, Haidebüschen, tief eingerissenen Flußbetten und kahlen steinigen Anhöhen. Aber es war doch Waldesdickicht, und zwar gemischt mit dem lieblichsten Blumenduft, wie man ihn bei uns von einer Menge dicht zusammenstehnden Topfgewächse bekommt. Dazu haben diese Landstriche einen ganz eigenen Reiz, den der Wildniß. Kaum ist man aus den Ortschaften wieder hinaus, so ist die Gegend so menschenleer, so sich selbst überlassen, als hätte nie eine Menschenhand dort den Pflug geführt oder einen Baum gefällt. Lange Stunden wandert man umher und trifft höchstens auf einen zerlumpten Hirten, der aufschreckt, wenn er in der Oede einen Menschen sieht. Streckenweise wuchert das üppigste Baum- und Pflanzenleben, Korkeichen, Rosenlorbeer, Kürbisse, Weinreben und was nicht sonst noch in einander verschlungen. Manchmal hatte ich mich in der tiefen Wildniß so verstiegen, daß ich einen Ausweg nur dadurch fand, daß ich in dem dunkeln Bette eines Waldstromes fortschritt, das jetzt halb trocken lag und oben überhangen war von allerlei Gesträuch. Die herrlichsten, mir unbekannten Blumen fand ich an solchen Orten. Auch kam es wohl vor, daß ich nach stundenlangem Umherstreichen mich zuletzt wieder auf derselben Stelle fand, von der ich ausgegangen war, denn die Gegend sah sich überall gar zu ähnlich. Zum Glück blieb es fortwährend kühl, und die Gedanken flogen mir so dicht und rasch, wie die Wolken. Spät Abends wurde es warm, oft schwül, und des Nachts waren die Stechfliegen eine höchst unangenehme Plage.


Im Allgemeinen ist der Charakter der Gegend so, daß die Berge in langgestreckten Linien neben einander herziehen und zwischen sich Tiefthäler einfassen, welche in allen Farben prangen. Die Ortschaften liegen an den Bergabhängen höchst malerisch um einen Vorsprung, auf welchem ein altes Schloß in Trümmer zerfällt. Die Häuser stehen in Reihen von Winkeln und nahe zusammen. Wenn man eine Zeitlang in diesen Gegenden umhergestreift ist, muß man die Zweckmäßigkeit dieser Bauart anerkennen. Denn weil die Straßen so enge, so sind sie auch den ganzen Tag von kühlen Schatten überdeckt, was in der Sonnengluth sehr erquicklich. Und weil die Straßen, nirgends eine längere gerade Linie bilden, so bricht sich die Luftströmung gleich im Eingange einer Ortschaft. Die Winde sollen hier eine arge Plage sein, es giebt ihrer eine ganze Windrose voll, und jeder hat seinen eigenen Namen und Charakter; bald sind sie so schwül und erschlaffend, daß man nicht athmen kann, bald scharf und durchdringend, daß Nichts vor ihrer prickelten Kälte schützt, bald erfüllen sie Straßen und Plätze, Häuser und Lungen mit Staub und Qualm. Ich habe im Ganzen nicht viel Unannehmlichkeiten davon gehabt. Fremde aber, welche schon längere Zeit hier waren, sagten mir, daß der schlimmen Tage mehr seien, als der guten. Von dem raschen Umsetzen der Witterung aus Sonnengluth in naßkaltes Wetter hatte ich selbst Beispiele genug gehabt. Nimmt man zu diesen Windleiden die brennende Sonne, die Dürre des Erdreichs und die grauen Gebirgswüsten, so ist wohl keiner darüber im Zweifel, daß die Provence neben ihrem milden Klima auch des Widerwärtigen mehr als genug hat.

Das Volk in diesen Bergen sieht aus wie rechtes Gesindel, und was die Bildung betrifft, ist es auch Gesindel. Unsere ärmsten Berg- und Seedörfer herbergen nicht solche Halbwilde. Gelb, halbnackt und in Lumpen liegen sie im Schatten oder reiten auf den armen Eseln, die sie fürchterlich mißhandeln, daher. Anfangs sind sie wortkarg und halten hinter dem Berge, später werden sie zwar redseliger, aber immer behalten sie den eigenen mißtrauischen Blick bei. Ihre Geräthschaften und die ganze Art, wie sie Wein- und Oelbau betreiben, können nicht roher sein. Da gerade Weinernte war, kamen auf allen Wegen in die Ortschaften die rebenbeladenen Wagen hinein, es waren breite viereckige Tröge auf zwei Rädern, von Ochsen gezogen. Von der rothen Traube sahen Wagen und Fuhrmann ekelhaft blutig aus, und wenn sie erst die Trauben mit bloßen ungewaschenen Füßen kelterten, war es nicht mehr zum Aushalten. Man hört so häufig über italienische Regierungen klagen, daß sie sich wenig um Bildung und Wohlstand des Volkes bekümmerten; in den Gegenden Frankreichs, welche nicht an der großen Heerstraße der Reisenden liegen, trifft man, zum wenigsten gesagt, auf Seitenstücke zu Italien. Bis jetzt sind in Frankreich alle Machthaber nur darin einig gewesen, Maßregeln im Großen auszuführen, welche schimmern und ihren Leuten die Taschen füllen, für die Eröffnung und Flüssighaltung aber der tausend kleinen Kanäle, durch welche dem Volke ein besseres und gebildeteres Leben zufließt, blos das Allernothdürftigste zu thun oder es ganz bei dem Hergebrachten zu lassen.

Ueberhaupt hatte ich mir früher das Volk der Provence viel feiner und lebensfroher gedacht. In den höheren Ständen ist allerdings Weltbildung verbreitet, und die französische Leichtigkeit, sich zu benehmen, hat sich auch den mittlern und niedern Klassen mitgetheilt, aber Unwissenheit und Trübsinn lagern auf ihnen zentnerschwer. Von der geistigen Frische und Regsamkeit, welche die Deutschen durchströmt, merkt man, sobald die Grenzen Deutschlands weit nach Osten, Westen, Süden hinter einem liegen, überall eilte Abnahme, hier im französischen Süden aber nur noch leise Wellen. Das Leben schleicht in den einmal hergebrachten Gleisen ruhig hin, weder in der Wissenschaft, noch in der Poesie offenbart sich besondere schöpferische Kraft und Werkluft, und Ackerbau, Gewerbe und Handel fördern selten etwas Neues zu Tage. Das Volk singt und lacht wenig, auch die Gedichte der provencalischen Mundart, so viel ich davon in Uebersetzung kennen lernte, – und gewiß ist nicht gerade das Schlechtere übersetzt, – haben wenig von dem Humor und dem Elegischen der deutschen Volkslieder, der Inhalt ist ebenso häufig hausbacken wie die Sangweise. Bezeichnend für den niedrigen Grad der Lebenswärme in der Provence ist auch dies, daß die Bevölkerung in den meisten Orten nicht zunimmt, in vielen aber abnehmen soll. Seit ich Südfrankreich gesehen, glaube ich nicht mehr, daß die Auswanderung nach Amerika die Hauptschuld trägt an der Verödung, welche Spanien in den letzten Jahrhunderten nach und nach erfahren hat. Wenn man die ausgedehnten Sumpf- und Gebirgswüsten der Provence, die vielen Trümmer aus alten Zeiten, und das schlaffe ärmliche Leben, welches dazwischen hinschleicht, überschaut, so giebt ein großer Theil dieses Gebiets eher das Bild eines Landes voll Ruinen, als eines lebensvollen, in frischer Gegenwart blühenden Landes.

Gewiß aber ist das Volk im französischen Südwesten ein geistig befähigtes Volk, welches warm empfindet und religiöse und politische Fragen ernst und praktisch auffaßt. Besonders gilt das von den Leuten auf dem rechten Rhoneufer im Lauquedoc, wo die Westgothen ihre Hauptsitze hatten und viel von der germanischen Art, ernst zu denken und zu forschen, zurück ließen. Die eigentliche Provence, das Land vom Rhone bis nach Italien hin, scheint viel mehr von der leichtblütigeren altgallischen und romanischen Volksart zu beherbergten. Protestanten wie Katholiken sind streng gläubig, aber sie bethätigen ihre religiöse Ueberzeugung auch mit Lebhaftigkeit. Dies Volk bedarf der äußerlichen Symbole, könnten sie ihm zertrümmert werden, es würde sofort sich neue schaffen. Es ist fähig, von einer großen Bewegung, woher sie auch kommen mag, auf das leidenschaftlichste ergriffen zu werden. Das Feuer glüht bei ihm unter der Oberfläche, lodert es aber einmal auf, dann bricht es auch bald in verzehrende Flammen aus. Dann wird es ein Kampf, nicht um Wahrheiten, sondern um Besitzthümer, mögen sie leiblicher oder geistiger Art sein. Dann aber wird sich auch die Wildheit wieder offenbaren, welche im Südfranzosen steckt. Ein liederliches und wildes Wesen scheint einmal zwischen zerklüfteten Kalkfelsen, wie der provencalische Boden sie zeigt, zu hausen, – gleichwie auf schwerem Fruchtboden in der Regel derbes, solides und verständiges, – zwischen hellen Waldhügeln, wo die Quellen sickern, aufgewecktes und gemüthliches, – auf weiten Sandebenen weiches, unklares, aber ehrliches Volk zu finden ist.

In der Nähe von Cannes kam ich aus den tiefen Thälern wieder heraus und ans Meer. Das Leben jetzt an offener See machte einen heiteren Abstich gegen die Oede und Einförmigkeit in den Bergen. Die Provence hat wirkliche Gebirgswüsteneien, in welche man sich, gleichwie die Propheten in der Bibel, von den Menschen zurückziehen kann, um mit sich und mit seinen Gedanken allein zu sein. In jenen Bergen hatten ihre Festung auch „die Kinder Canaans,“ wie sich die Weber und armen Leute nannten, welche als Protestanten so lange und so heldenmüthig gegen Ludwigs XIV. Marschälle kämpften, bis sie endlich gleich wilden Thieren zum großen Theile ausgerottet wurden.

Es war ein rechter Reisemorgen, als wir die Seeküste entlang fuhren. Die Wagenräder wurden fast bespült von den anrollenden Wellen. An den kleinen Vorgebirgen, welche an dieser Küste in ganzen Reihen die Nasen ins Meer strecken und allerliebste Buchten umsäumen, prallte die Fluth an und schäumte rauschend hoch auf. An der Küste war viel altes und neues Schanzwerk zu sehen. Einen Kanonenschuß vom Ufer blieb die See durch einen regnerischen grauen Dunst lange Zeit völlig verschleiert. Hoch und grün aber und in lebhaften Farben prangte das Gebirge, die Olivenhaine hingen wie graue rundliche Wolken an den Anhöhen. Die Oel- und Feigenbäume und die breitgewölbten dunklen Pinien hatten hier eine Größe erreicht, wie ich sie in der Provence bisher nicht gesehen hatte. In ihrem Schatten ruhten hübsche weiße Landhäuser in angenehmen Formen. Als es lichter wurde auf dem Meere, tauchten hellumrändert Inseln auf, darunter Fort St. Marguerite. Cannes, Antibes und die kleinen Städte waren eng und dunkel, aber die Straßen fortwährend mit allerlei Volk bedeckt, das sich bunter und fröhlicher als in der Provence umhertrieb. Die Fischerkähne standen, weil es um diese Zeit, im Spätherbst, hier fast jede Nacht stürmte, in langen Reihen ans Land gezogen, und auf und zwischen ihnen spielten und riefen kraushaarige Buben. Landschaft und Volk hatten ein lebhaftes farbenreiches Aussehen, es war schon halb Italien.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II