Hyeres.

XIV.
Die Provence.


Hyeres ist wie ein Stückchen von himmlischen Gefilden, welches sich auf die Erde gesenkt hat, um alle Sehnsucht des Menschenherzens aufzuregen. Es war schon tiefdunkel, als ich ankam, die Luft schwamm in Wohlgerüchen, die Brunnen plätscherten, und zahllose Glühwürmchen blinkten auf allen Wegen. Ueber eine Gartenmauer neigte sich die hohe Palme, jener Wunderbaum des Orients, von welchem wir schon in der Schule träumen. In den Häusern duftete Alles nach Südfrüchten und nach frischem Most. Mein Wirth war ein Deutscher und hatte kühlen goldenen Rheinwein. Der Mann war schon lange hier, aber in seinem Herzen recht deutsch geblieben. Man mag sagen, was man will, über die kosmopolitische Anlage unserer Landsleute, sie schmiegen sich zwar äußerlich einer fremden Volksart weich und gefügig an, aber der deutsche Kern, das Gemüth und der geradsinnige Charakter hält doch noch lange vor und ist gewöhnlich in der zweiten Generation noch nicht aufgerieben. Unsere Sprache hört man aber in Hyeres wie in Nizza häufig, weil manche Brustleidende aus Deutschland in dieser milden köstlichen Luft Heilung suchen.


Der Ort verdankt seine Vorzüge der geschützten Lage. Die Berge, eine Fortsetzung der wüsten Esterelles bei Toulon, schneiden hier einen Küstenstrich ab, der breiter als sonst in diesen Gegenden, in sanften Abhängen bis zum Meere niedergeht. Da drei Bergzüge, nur durch Tiefthäler getrennt, sich hinter einander erheben und noch zu beiden Seiten Ausläufer ins Meer senken, so schützen sie diese Küstenbreite von drei Seiten gegen alle Landwinde: nur der frische Seewind hat offenen Zugang, kann aber, durch die Gebirge gehemmt, ebenfalls keine starke Strömung annehmen. Jene Berge sind aber nicht mehr wie bei Marseille von der Sonne ausgeglüht und von herben Landwinden bestrichen, so daß sie nur kahle Felsen und dürres röthlich braunes Erdreich zeigen, sondern hier ist das Gebirge dicht belaubt. Die Abstufung des Baumgrüns, das von dem Dunkel der hohen Berge bis in die sanfte Helle am Meere niedersteigt, als wollte es sich da vermählen mit der klaren blaugrünen Fluth, kann gar nicht ausdrucksvoller, nicht lieblicher sein. Gleichsam um den Eindruck des einförmigen Halbzirkels nicht aufkommen zu lassen, wirft sich in der Mitte desselben ein niedriger Ausläufer des Gebirges zu felsiger steiler Höhe auf, gekrönt von einer Ritterburg, deren zertrümmerte Zinnen und Thürme sich weithin sichtbar in die klare Luft einzeichnen. Die Felsen und Mauern überklettert auf der einen Seite das fröhlichste Gemisch von allerlei Grün und auf der andern überkleidet sie der dunkle ernste Epheu. An diesen Hügel, seinen alten Schutz und Trutz, hat sich das Städtchen Hyeres angeschmiegt, ländlich und malerisch, und doch fehlt in seinen Häusern nichts vom städtischen Behagen. Wo aber findet man solchen Reichthum und solchen Wohlgeschmack der edelsten Früchte, der Seefische und Hummer und des Wildprets? Und wo giebt es so hübsche Plätzchen, sie zu verzehren, als hier unter den Zeltdächern auf den Balkonen und Terrassen, umweht von der milden Frische der Seeluft? Ich weiß freilich nicht, ob es in Hyeres immer so heiter und voll lieblichen Glanzes ist, als in den zwei Tagen, welche ich dort verlebte. Aber diese waren wundervoll. Man sah von den Terrassen in die grünhell wogenden Orangengärten bis zum Meere hinab: wie blühten darin die goldenen Früchte, wie leuchtete drüben das Meer, wie im Aether verklärt lagen in der Ferne die Inseln. Weiße Segel flogen vorbei und verschwanden. Am Abend blitzten die Leuchtthürme. Und nun, welche Herrlichkeit von Blumen und Gewächsen in den Gärten selbst. Da sieht man, was Gartenkunst ist. Man wird gar nicht müde, all diese fremdartigen Gestalten von Blumen und Bäumen zu betrachten, die schuppige hohe Palme mit den gelben hängenden Früchten, den prangenden Erdbeerbaum, den hier unglaublich prächtigen Rosenlorbeer, und dann die köstlichen Trauben, Feigen und Melonen, und unter den Bäumen die duftigen Orangen im Grase. Ich hoffe den Süden Frankreichs nochmal zu sehen, dann wird nächst Nismes mein liebster Gang nach Hyeres sein. Denn auch die Leute dort gefielen mir ihres gesitteten Wesens und ihrer Freundlichkeit wegen, welche gar nicht zudringlich war, wie an andern Orten, deren Bewohner ebenfalls vom Fremdenbesuch leben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II