Abschnitt 1

XV.
An der Küste von Nizza bis Genua.


Wer Italien besucht hat ohne die Riviera di Ponente, der hat die Unglückselige Königin der Länder nicht gesehen aus ihrem einsamen Felsenschlosse, wo sie umgeben ist von hoher wilder Schönheit und anmuthigen Geheimnissen. Neapels stolz aufsteigende Pracht, trotzige calabresische Felsgestade und des Meeres ewiger Schönheitsglanz sind hier vereinigt mit dem Majestätischen der Alpen, mit unvergänglichem Blüthengrün, mit Orangenhainen und Palmenwäldchen. Und dazwischen zeigen sich zahllose Burgruinen, deren Zinnen und Thürme nur noch der dunkle Epheu zusammenhält, seltsame Felsennester, finstere uralte Städte und dann wieder lichthelle Reihen von Landhäusern und Häfen voll Schiffe. Durch die Gebirge vor den Nordwinden geschützt, des Tages unter der Sonnengluth, welche von den steilen Felswänden zurückprallt, des Nachts aber angehaucht von der feuchten Seeluft, erwuchsen an dieser Küste tropische Bäume und Pflanzen gemischt mit den lieblichen Früchten Italiens. Von der Meeresbrandung steigt man auf zu duftenden Gärten von Oleandern, Mandel- und Citronen bäumen und weiter empor zu stillen Hainen von Oliven und Carruben, Palmen und Pinien, bis oben an den nackten Felshöhen nur noch Myrthen- und Lorbeergebüsch, Aloe und Cactus emporklettert. Aber dort auf der Höhe sieht man vor und über sich noch gewaltige Gebirgsmassen mit hochaufragenden Gipfeln und düstern Schluchten, und tief zu Füßen das unendliche leuchtende Meer, an dessen Horizont ein weißes Segel glänzt.


Und ein merkwürdiges Volk ist es, welches diese Küste belebt. Arbeitsam, waghalsig, immer aufgeregt, hat es noch heute wie vor Alters seine eigenen Sitten, seine eigene Geschichte. Wo das Mittelmeer, Korsika gegenüber, die langgezogene Bucht ins Land hinein macht, in deren Mitte Genua sich erhebt, war das Volk von jeher durch das steile Hochgebirge abgeschnitten von dem Lande dahinter, es hatte nur seinen schmalen Küstensaum und das blinkende Meer, welches zu Abenteuern und Beutemachen lockte. Erst nach hartnäckigen Kämpfen konnten die Römer dies ligurische Volk bezwingen und unter ihm feste Städte gründen. Im Mittelalter entstanden hier freie Stadtgemeinden und eine Menge von ritterlichen Geschlechtern, herrschend auf ihren Schlössern im wilden Gebirge und am schäumenden Meer. Darauf zog Genua diese Familien mit ihrem dienenden Volke an sich und blieb lange Zeit Herr und Meister dieses Küstenlandes, dessen Kräfte und Charakter in dieser Stadt sich sammelten und wiederspiegelten.

Genua scheidet auch die beiden Theile des Küstenlandes. Der südliche Theil, die Riviera di Levante, hat einen mehr offenen und heiteren Charakter und freundlichere Bewohner, der nördliche Theil, die Riviera di Ponente, ist dagegen wild und majestätisch. Der südliche wird häufig von Reisenden besucht und gepriesen, nur wenigen ist der nördliche bekannt. Früher konnte man den ausgezeichnetsten Punkten der Riviera di Ponente sich nur zur See nähern, denn die Fahrt zu Lande über die Felsen war halsbrechend, theilweise auch gar nicht möglich, und unter dem halbwilden Volke nicht ohne Gefahr. In der neueren Zeit ist endlich eine fahrbare Straße längs der ganzen Küste angelegt. sie setzt manchmal über Schluchten und schmale Einschnitte des Meeres, oder läuft durch dunkle Rundgänge, welche durch das Gestein gebrochen sind; meist zieht sie oben am Gebirge hin wie ein schwebender Faden, man nennt sie deshalb auch die Corona di Ponente. Napoleon, der für Oberitalien so große Pläne hatte, ließ auch diese Straße beginnen. Seit ihrer Vollendung, es mögen etwa zwanzig Jahre her sein, ist dies Wunderland aufgedeckt und seine Bevölkerung geschmeidiger und industrieller geworden. Daß aber auch jetzt die Riviera di Ponente noch selten besucht wird, hat darin seinen Grund, daß sie seitab von den großen Reisestraßen liegt. Nach Genua kommt man gewöhnlich von Nizza oder Marseille zur See auf dem schnellen und bequemen Dampfschiff, oder von Mailand oder Turin zu Lande über die Bocchetta, dann strebt man weiter nach dem Süden und mag nicht erst noch an der Küste rückwärts gehen.

Nizza liegt am Eingang zu dem wilden Paradiese, aber so anmuthig diese Stadt sich auch zwischen Berg und Meer hinbettet, sie giebt doch nur einen schwachen Vorgeschmack von der Herrlichkeit der Küste.

Es macht Nizza den Uebergang von der Provence zu Italien. Wenn man von Frankreich her sich dem Var nähert, so nimmt der Hintergrund der Landschaft allmählig erhabene Umrisse an. Der Gränzfluß strömt breit und starkwellig ins Meer; als ich ihn sah, war er vom Regen angeschwollen und schmutzigbraun, die hellen Meereswogen schäumten gegen ihn auf, als wollten sie seine Schlammfluth nicht. Dicht bei seiner Mündung auf der langen Holzbrücke, welche Frankreich und Italien verbindet, sieht man weit den Fluß hinauf. Seine Ufer sind hoch und schön grün bis nahe an die Brücke, zahlreiche Städtchen liegen schuppenförmig auf und vor den Uferhöhen, als suchten sie am Flusse Sicherheit; es gewährt einen hübschen Anblick. In der Ferne erheben sich Hochgebirge in kühnem Schwunge über einander, aus denen der rasche Strom hernieder kommt. Geht man bis an seine Mündung hinunter, so bietet sich ein eigenthümliches Schauspiel bei den Felsen, zwischen welchen Meer und Fluß schäumend und wogend sich vermischen.

Auf Bildern ist Nizza gewöhnlich imposanter dargestellt, als es in der Natur sich ausnimmt; aber es liegt hell und übersichtlich am Meere, viel schöner als die französischen Seestädte. Da wo der lange Zug der Seealpen sich westlich wendet und gleichsam zum Winkelpunkte einen einzelnen Felsberg eine Strecke weit ins Meer hinein von sich abgestoßen hat, breitete die Stadt sich aus. Das liebliche Thal, welches sich zwischen diesem Berge und den nackten Alpen wie ein grünes Bette einsenkt, ladete zum Wohnen ein, erst allmählig streckte die Stadt Zwei Arme um den Berg herum. Es führt auch an der Seeseite ein Weg um den Fuß des Berges, gegen welchen das Meer mit wuchtigen Fluthen andonnert und schäumend hochaufsprühend sich zwischen die Felsblöcke am Ufer wirft. Hier saß ich Morgens und Abends stundenlang, einsam und ungestört zwischen den Felsen. Oft überspritzte mich der Schaum und wölbte sich vor mir wie ein weißes rauschendes Dach. Die Wellen schleuderten auch kleine Krebse heran, auf dem Lande unsanft niedergesetzt besannen sich die Thierchen erst und rutschten dann eilig wieder ins Wasser. Es sieht zu hübsch aus, wie der weiße Schaum so gierig schnell das User herauf kriecht. Man hört das endlose dumpfe Rauschen des Meeres durch ganz Nizza und gewöhnt sich bald daran. Einen eigenen Eindruck machte es aber, als ich den ersten Abend aus der Oper in dies donnernde Konzert an den Strand kam.

Auf dem Felsberge oben weht immer leichte köstliche Luft, jedoch ist sie nicht mit dem Blüthengeruch durchwürzt, wie ich sie später an der Küste fand, wo sie dem Wanderer gewöhnlich von bebüschten Vorgebirgen zuweht. Der Berg bietet oben eine weite Platte, gekrönt mit den ausgebreiteten Ruinen einer alten Feste; jetzt glänzten dort Kanonen und die Waffen eines Wachtpostens. Die Aussicht ist herrlich, man übersieht Meer, Stadt, Thal und Gebirge; die letztern sind hoch und öde, aber in angenehmen Formen. Vom Thale aus streben die Oelwälder hinan bis zur Mitte, unten schimmern die Landhäuser zwischen dem schillernden Grün. In Deutschland wissen wir gar nicht, welche Wohlthat im Süden ein Landhaus ist, hier sucht man an den Bergen kühle gesunde Luft, Laubgrün und Einsamkeit.

Die Neustadt, der Haupttheil von Nizza, bildet ein Dreieck zwischen dem Berge, dem Meere und dem Paglione, der sich, wie der Var, zwischen Felsblöcken brausend ins Meer stürmt. Dicht am Meere hin laufen die Arkaden, auf deren langen platten Marmordächern es sich herrlich spazieren läßt. An dem weitrunden Becken, in welchem die Wellen über die blanken Kiesel schäumen, stehen Fischerkähne in Reihen, sind Netze und Leinwandbleichen ausgebreitet. Dieser Haupttheil von Nizza ist die große Krankenstadt von Europa; man rechnet, daß ein Drittel der Bevölkerung der Stadt Fremde sind, welche von der milden Luft, den Seebädern und den frischen Früchten Heilung suchen. Sie haben hier Unterhaltung von Meer und Land, ohne die Unruhe einer Seehandelsstadt und ohne die Langeweile des Landes, es ist in Nizza alles ruhig und freundlich und die Umgebung der Stadt köstlich. Man hört aber auch zum Ueberdruß davon rühmen; ein Piemontese versicherte mir, seine ganze Familie vom Säugling bis zur Großmutter sei siech und elend gewesen, hier aber seien sie alle zusammen in einem Monat kerngesund geworden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II