Marseille.

XIV.
Die Provence.


So ging es denn die Höhe wieder hinunter und in die tosende Seestadt hinein. Mögen die Leute von Marseille sich nur bespötteln lassen, weil ihr Französisch so naiv fremdländisch klinge, weil sie sich so viel auf ihre Weltstadt einbilden und in Frankreich neben Paris noch Etwas für sich selbst sein wollen, wie weiland die Reichsstädter in Deutschland, – sie haben Recht zu ihrem Stolze auf ihre Vaterstadt, sie ist wirklich großstädtisch und hat ihr eigenes europäisches Leben. Das merkt man bei den ersten Schritten hinein, das Französische ist hier nur die Grundfarbe, darin treibt sich umher italienisches, englisches, spanisches, deutsches und selbst orientalisches Wesen. Die langen breiten Straßen hinauf hinab wogt das Gedränge, sie waren zu Abend von zwei Reihen Gaslaternen blendend erleuchtet, das Licht flammte und spielte auf den glänzenden Ladenreihen zu beiden Seiten, im Hintergrunde ragte der dunkle Mastenwald. Der Franzose ist auf diesen Weltverkehr entweder zu eitel oder er wird von ihm erdrückt, sonst könnte man es sich nicht erklären, daß der Bewohner von Marseille in Sitten und Manieren einen kleinen Zug vom Kindischen hat.


Ich trat auf dem Wege nach dem Hafen ins Theater ein; welcher Glanz, welch Getümmel darin, das waren in der That Gesichter aus allen Weltgegenden. Als das erste in der langen Reihe kleiner Lustspiele vorüber war, ging ich bis tief in die Nacht am Hafen spaziren. Dies Seeleben hat immer neuen und unerschöpflichen Reitz. Viele hundert Schiffe lagen da, auf den Verdecken wurde gejubelt, gekocht und gebraten, die Schiffswinden seufzten in das Matrosenschreien, zahllose Lichter fuhren hin und her auf den Schiffen und im Wasser. Den Hafendamm aber bedeckte ein Gewühl von buntgemischtem Volke, hier fuhren kleine Schiffe an und warfen balkenlange Fische aus, da stand ein krausköpfiger Junge und sang und deklamirte im Scheine seiner Laterne, dort rief ein zerlumpter Kerl zu dem Panorama, welches er umher fuhr. Durch die derben Haufen von Matrosen und Arbeitern wanden sich geschickt die leichten Mädchen und die jungen Franzosen, letztere hatten kleine irdene Tabakspfeifen im Knopfloch stecken. In langen Mänteln standen wie Säulen die Posten der Hafenwache und hielten strenge Ordnung. Ueber Alles wölbte sich der tiefblaue Himmel mit seinem blitzenden Sternenschmuck. Ich konnte der Lust nicht widerstehen und fuhr noch in einem Boote durch die langen Schiffsreihen. Man ist wie in einer Meeresstadt, die dunkeln Schiffskolosse kommen Einem mit ihrem tausendfachen Leben oben und unten wie heimatliche Häuser vor, die Wellen rieseln um den Kahn und sprühen Lichtfunken, wie sie vorübergleiten.

Auch des Morgens wird nicht leicht ein Fremder in Marseille erwachen, ohne daß sein erster Gang zum Hafen wäre. Schon in dessen Nähe ist wogendes Leben und Treiben. Da ist tagtäglich offener Jahrmarkt für aller Länder Leute. Die rechte Seite am weiträumigen Hafenbecken, die sogenannte Boutique, ist der beliebteste Spaziergang; dort vor den farbenreichen Läden, den Schatzkästen des Seevolkes, wirbelt Alles so dicht, daß man sich immer durchdrängen muß. Griechen, Türken und Araber sind gemischt unter die nicht minder buntgeputzten Matrosen, denn diese lieben wie alles junge freie Volk sich malerisch auszustaffiren. Hinter der Ladenreihe gähnen die dunkeln engen Gassen der Altstadt, voll von Menschen, denn Alles näht und schmiedet, wäscht und barbirt auf der Straße, aber auch voll von Schmutz. Malerische Effekte sind in Menge vorhanden, allein man wird ohnmächtig von all den schändlichen Düften. Der widerwärtige Geruch des Fischmarkts reicht so weit als dessen Getöse. Die Altstadt ist von den niedern Volksklassen besetzt, ein gelbbraun Weib immer häßlicher als das andere: da war auch kein Hauch mehr von arlesischer Schönheit. Die andere Seite des Hafens heißt der Commerce. Hier lagert sich der Welthandel ab, Seifenthürme aus den nahen Fabriken neben den Spezereien des Orients, Berge von Zuckertonnen und Reisballen neben carrarischen Marmorblöcken und Hölzern von Fernambuco. Nebenan sind die Kaffeehäuser mit Schildern in französischer und englischer Sprache, außer diesen beiden vornehmsten Sprachen lassen sich hier fast alle Mundarten Europas hören. Aus dem Gewühle rettet man sich entweder in die breiten glänzenden Straßen, welche in die Neustadt führen, oder klimmt zu den kahlen Felshöhen hinauf, von denen zu beiden Seiten der Hafen eingeschlossen ist.

Die Neustadt hinter dem Commerce vereinigt den Glanz einer Residenz mit der soliden Pracht reicher Großhändler. Eine Straße von der Länge einer halben Stunde, fast schnurgerade, ist die Hauptader der Neustadt, an einem Ende steht ein Obelisk, am andern ein herrlicher Triumphbogen. Auf den Bildwerken des letztern eilen „die Kinder der Provence“ zu den Waffen, um ähnliche Siege zu erfechten, wie sie hier in langer Reihe aus alter wie aus neuer Zeit sämmtlich aufgeführt sind, die französischen Niederlagen werden dabei gänzlich vergessen. Vor den kostbaren Läden der Neustadt drängen sich auf dem hübschen Pflaster die eleganten Leute. Aber auch hier mußte ich wieder die Bemerkung machen, daß man in Frankreich unter den jungen Männern auf ein rothblühendes Gesicht zehn gelbe und verwelkte zählen kann, Trotz jedoch und Selbstgefühl ist ein stehender Zug darin. Kunstschätze sind in Marseille mehr bei den reichen Großhändlern zu suchen, als in Stadtgebäuden und Kirchen. Jedoch sieht man in den letztern ein paar vortreffliche Stücke von Papety, einem neuen französischen Maler, und im Museum gute Niederländer und Spanier. Die Großhändler kaufen gern Kunstwerke, namentlich Gemälde der Neuern, theils aus Wohlwollen und Verständniß, theils aus jener Eitelkeit, die jeder gewiß lieber recht mächtig als schwach wünscht.

Das Liebste in Marseille war mir, wenn ich ungestört zwischen luftigen einsamen Felszacken liegen konnte, zu Füßen den blauen Glanz des unendlichen Meeres. Solche köstliche Ruheplätze muß man auf der Erde aufsuchen, sie sind fast eben so viel werth, als die Summe der übrigen Reisegenüsse. Am Eingange des Hafens liegen nämlich ins Meer hinaus zwei gewaltige Felsberge, von deren nackten Kronen sich zwei Forts anblicken, die schweren Batterien würden wider Willen kein Schiff da unten unzerschmettert in den Hafen lassen. Man sieht Tag aus Tag ein die blaurothen Soldaten auf ihrer luftigen Höhe hin und her manövriren, als wollte der Feind gerade in den Hafen einbrechen.

Zur Aussicht besonders herrlich ist der Punkt über dem Fort St. Jean, wo die allen Schiffern des Mittelmeeres bekannte Wallfahrtskapelle Notre Dame de la garde steht, der Hort, welchen die Gebete und Gelübde suchen in stürmischer Meernacht. Tief unten an das dunkle schiffswimmelnde Hafenbecken legt sich die dichtgedrängte Altstadt, nicht so grau als diese und freier breitet sich die Neustadt aus, und ringsumher in weitem Halbbogen steigt stundenweit die halbgraue häuserbedeckte „Campagne“ an, geschlossen von blauen Gebirgskämmen. Weit am Meere hin ziehen sich die wildgezackten Felsküsten, um deren Vorsprünge sich die Straße von einer lieblichen Bucht zur andern windet. In der Campagne liegen die zahlreichen niedlichen Landhäuser der Reichen von Marseille, näher dem Meere umkleidet sie noch das Grüne und Schattige der Bäume, höher hinauf läßt sich nur mit Mühe und Kosten ein spärliches Gebüsch erzielen. Marseille hat Alles, großstädtischen Glanz und Ueppigkeit, Gärten, Meer und Felsen, nur keine rauschenden Wälder. Die Gebirge bleiben immer nackt und trostlos, wie ausgebrannt oder greisenhaft. Zwar sind die kahlen Höhen häufig von wunderbar schönen Farben überhaucht, vom brennendsten Gelb und Roth bis zum tiefsten Schwarzblau, je nachdem Sonne und Wolken wechseln, aber das ist dem Nordländer kein Ersatz für das duftige grüne Waldleben mit den plätschernden Bächen und Waldvögeln, und überdies bleibt die Grundfarbe der Berge hier immer die einförmig graue. Man kann gewiß kein schöneres Farbenspiel sehen, als wenn vom glanzvollen Meer der regenbogenfarbige Widerschein flammig an den Küstenfelsen hin und her zittert, man schaut eine Weile mit steigender Lust zu, aber wüchsen auch Weingrün und Blumen da, so würde man noch länger verweilen. Ich wandte von der dürren Landwüste immer gern den Blick wieder auf das leuchtende blaue Meer, da ist ewig Frische und Leben. Die Gedanken segeln mit den Schiffen hinaus, weit über die Inseln des Chateau d’If weg, welche so malerisch vor dem Hafen liegen und so manche Erinnerungen wecken an Jene, die dort im fluthenden Meere gefangen saßen. Halbträumerisch sieht man in der Ferne graue Pünktchen auftauchen, näher und näher entfaltet sich weißes Segelgewölk, am Eingange des Hafens rauschen die Segel hinunter, die Matrosen hängen schreiend zu Dutzenden in den Tauen, Boote klatschen ins Wasser, und zu gleicher Zeit sich erhebend und zurückwerfend streben die Ruderer in mühseliger Arbeit die Schiffe in den Hafen zu bringen. Wenn die weißen Segelschiffe durch die Dampfer, welche schon jetzt in Menge ihre rauchenden Linien hindurch ziehen, einmal ganz verdrängt sind, wird ein Seegemälde viel verlieren. Hätten die Möven, welche in weißen Zügen über das Meer und um die Felszacken flattern, sämmtlich schwarz Gefieder, sie würden in keinem Gedichte umherfliegen. Des Abends, wenn Stadt und Hafen von unzähligen Lichtern glänzten, und in der Ferne der Leuchtthurm mit drehendem Lichte zu flimmern anfing, sahen die ankommenden Segelschiffe, welche auf den Wellen auf und niederwogten, geisterhaft wie Schatten aus, die heimlich der Quelle des Lichtes zustreben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II