Couson.

XIV.
Die Provence.


Der Weg von Marseille hierher muß prächtig sein. Ich kam ihn bei dunkler Nacht, aber durch die Wagenfenster sah ich häufig wilde Klüfte und Felsenwände und spürte etwas wie Waldgeruch. In Toulon ist ein ganz anderes Treiben, als in Marseille. Nicht daß es eine einzige große Werkstätte für den Seekrieg, daß man überall von Offizieren und Seesoldaten umgeben ist und Trommeln und Kanonen hört, sondern der strenge ordnende Geist, dem Alles in Zucht und Pünktlichkeit nachlebt, macht den starken Abstich gegen das freie bewegliche Treiben der Welthandelsstadt. Toulon ist das Thor von Algier, die Zeitungen tragen den Namen der Departements des Var und von Afrika. Toulon ist aber auch Frankreichs Waffenthor für den Orient.


Die Natur hat diesem Platze den herrlichsten Hafen gegeben und das weite Becken gleich so beschützt, daß es nie besser für Kriegsschiffe gebaut werden konnte. Wie ein Bergsee ist es ringsum von Höhen eingefaßt, auf den gegenüberstehenden am Eingange glänzen die Forts, das offne Meer ist nicht zu sehen; da, wo man es vermuthet, ragen noch in blauer Ferne zwei Felspyramiden. Mit dem Marseiller hat der Touloner Hafen viele Aehnlichkeit, jedoch ist hier Alles gedrängter und statt der großstädtischen Ueppigkeit nur Kriegszurüstung. Die Stadt streckt sich rings um den engern Hafen, der auch nach der Landseite durch Mauern und Festungswerke geschützt ist. Eingekeilt zwischen Meer und Gebirge, mit seinen engen Gassen fast immer gerade auf den Hafen stoßend, sieht Toulon aus wie recht eigentlich blos des Meeres wegen hingebaut. Auf den starken Wällen, welche die Stadt vom Lande abschließen, marschiren den ganzen Tag die Soldaten; ohne viel Geräusch und Hinundherrennen thun sie es auch in der Garnison nicht. Dicht hinter der Stadt steigen die Bergzüge auf, so wüst und nackt wie Schutthaufen, die ein mächtiger Vulkan nachgelassen hat.

Ich betrat das Arsenal zuerst an dem östlichen Ende, wo die Kriegsschiffe liegen, welche zugleich Kasernen für die Seesoldaten sind. Man bekommt Respekt vor diesen Kolossen, die doch so zierlich gebaut sind und so hübsch gelenkt werden. Zum erstenmale besteigt man sie mit einem ganz eigenen Gefühl, als hätte man den lebendigen Vulkan unter den Füßen. Es muß prachtvoll aussehen, wenn in der Seeschlacht so viel Schlünde Feuer und Verderben speien. Es lagen damals vierzehn Kriegsschiffe in einer Reihe im Hafen. Die äußerst geschmackvolle und saubere Einrichtung ihres Innern muß Jeden zur Bewunderung nöthigen, von oben bis unten sind sie immer wie zur Parade aufgeputzt. Ob im Donner und Gedränge der Schlacht diese feine und zierliche Ordnung bewahrt werden kann, ist freilich eine andere Frage. Das alte Kriegsschiff, welches Napoleon aus Egypten brachte, der Muyron, liegt am Eingange des Hafens; in seinem Mastkorb saß ein Rothhosiger und rief die Schiffe an, welche mit günstigem Winde pfeilschnell hinausfuhren. Gegenüber steht die ungeheure Maschine, welche die Masten auf die Kriegsschiffe setzt. Drei Masten fest in der Erde, nach dem Meere zu etwas geneigt, fügen sich in schwindelnder Höhe zusammen und tragen einen Mastkorb, der zugleich zum Lugaus dient. Im Hafen wurde eben eine Fregatte bemannt und kein kleiner Berg von Provisionen hineingeschleppt, vor dem innern Hafen draußen wartete eine andere Fregatte. Ich unterhielt mich mit einem Offizier von der letztern, einem alten verwitterten Seemann, der aber, wie Franzosen es gerne thun, mich artig über Alles belehrte, was zur Kriegsherrlichkeit Frankreich’s zur See gehört. Ein Boot mit zwanzig Knaben und einem Unteroffizier holte ihn ab, und es sah hübsch aus, wie die lustigen Jungen, blau und roth uniformirt, im Takte die Ruder handhabten. Sie waren von der Seeschule, wo sie den Kriegsseedienst von den ersten Jahren an lernen.

Zu Mittag that ich mir etwas zu Gute an dem mancherlei Seegethier, das so widerlich aussieht und so gut schmeckt. Und trank dann unter dem Zeltdach vor einem der Kaffeehäuser, welche in der Stadt den größten Platz umgeben, einen Mokka von so lieblich kräftigem Duft und Geschmack, wie ich ihn noch niemals genossen hatte. Weil ich am Abend noch nach Hyeres wollte, ging ich selbst meinen Paß vom sardinischen Konsul zu holen. Das Papier war schon bei dem Unterpräfekten und dem preußischen Konsul gewesen, zufällig hatte der Letztere statt Oktober September geschrieben, der Paß wanderte also erst wieder zu ihm und als er von dem schrecklichen Fehler bereinigt zurückkam, mußte ich noch eine halbe Stunde warten, bis er abkopirt war, dann zahlte ich für die Arbeit vier Franken und konnte nun den Stempel der sardinischen Majestät ruhig in die Tasche stecken. Ich hatte halb und halb Lust, zur See nach Nizza in einem kleinen Küstenfahrer zu gehen und hatte mir schon am Morgen ein solches Schiffchen ausgesucht; als ich aber wieder hinkam, meinte der Kapitain, vor vierundzwanzig Stunden werde sich der günstige Wind, der Mistral, nicht einstellen. Darauf mochte ich nicht warten und brach die Unterhandlung ab, der Schiffsjunge aber lief mir nach und suchte mich in seinem baroken Französisch durch die beredtesten Vorstellungen festzuhalten; der Knabe hatte wohl schon ausgerechnet, was er sich für sein Trinkgeld kaufen wolle.

Nun blieb noch hinlänglich Muße, das Arsenal zu besehen, nachdem ich eine Erlaubnißkarte gelöst und einen Sergeanten zum Begleiter erhalten hatte. Dieser war eine lustige Haut und erzählte die schnödesten Geschichten von manchem der Aufseher, die uns begegneten. Besonders hatte ihm die Mannschaft eines preußischen Schiffs gefallen, welches vor einiger Zeit monatelang in Toulon zur Ausbesserung gelegen; die Leute seien immer lustig und immer ehrlich gewesen und hätten mehr Branntwein getrunken, als andere Leute Wein. Im Touloner Arsenal kann Jeder deutlich und bequem Alles beschauen, was ein Kriegsschiff vom rohen Material bis zur feinsten Arbeit braucht, und wie das Alles, außer Kugeln und Kanonen, welche hier nicht gegossen werden, zugerüstet wird. Da giebt es lange Häuser, worin die Ankerketten geschmiedet, andere, worin die Taue gedreht, wieder andere, wo die Schiffshölzer behauen werden, und so fort. Ein ganz eigenthümlicher Anblick ist ein Linienschiff auf dem Stapel; die ungeheure Masse, halb außer dem Element, auf welches allein sie gehört, nimmt sich seltsam aus. Im Modellsaal sind die Schiffsgeräthe und alle Arten von Schiffen alter und neuer Zeit in ungemein feinen und genauen kleinen Mustern aufgestellt, man kann sich da bis ins kleinste hin wohl unterrichten. Auch eine ganze Sammlung von Galeeren war vorhanden, diese laufen zwar nicht mehr über die Gewässer, aber statt des Ruderns auf den Galeeren müssen jetzt die Verurtheilten die härtesten Arbeiten im Arsenale verrichten.

Es mochten dieser jammervollen Menschen über zweitausend da sein, man konnte sie nicht ansehen, ohne vor der raffinirten Grausamkeit der Franzosen zurück zu beben. Das Gräßlichste waren die Cachots, unterirdische dunkle Felsenkämmerchen, an deren Wänden das Wasser tropfte und die Elenden mit einem Eisenringe um den Hals gefesselt standen; nie werde ich die stieren Blicke vergessen, welche sie aus ihren Marterhöhlen auf uns richteten, wenn wir mit dem Lichte näher kamen. Auch die Sträflinge, welche sich noch der frischen Luft und des Anblicks von Himmel und Meer erfreuen, werden grausam genug behandelt. Halb roth halb weiß gekleidet sind immer zwei und zwei mit klirrenden Ketten an den Füßen aneinander geschmiedet, gewöhnlich ein alter und ein junger Verbrecher. Andere sind in langen Sälen mit Ketten an die hölzernen Pritschen gefesselt, welche ihr einziges Lager bilden. Des Morgens bekommen sie Suppe, des Nachmittags Wasser und Brot und ein paar Sous. Die, welche im Freien arbeiteten, boten allerlei Kleinigkeiten, die sie verfertigt hatten, zum Kauf an. In den meisten Gesichtern drückte sich verbissene Wuth und Schurkerei oder auch dumpfe Gleichgültigkeit aus, nur in wenigen war noch schmerzliche Scham zu lesen. Was von Verurtheilten in dieses Bagno kommt, geht verloren für immer, das Menschliche in ihm wird zusammengerädert unter diesen Qualen. Hier ist in der That viel in der Kunst geleistet. Menschen zu wilden Thieren zu machen. Noch bis tief in die Nacht hinein glaubte ich das heisere Murmeln zu hören der Verdammten in der Hölle des Dante. Erst in Hyeres wurde ich der schrecklichen Bilder wieder los.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II