Abschnitt 1

XIV.
Die Provence.


Avignon.


Des Nachmittags kamen wir in Avignon an. Links die kolossale päpstliche Burg auf dem breitstirnigen Felsen, darunter die vielthürmige Stadt mit den Zacken und Zinnen ihrer Mauer, gleich rechts die Felsenbastionen der Festung Ville-Neuve, dazwischen der schnellfluthende Rhone mit der Kettenbrücke, – das Alles mit einemmal angeschaut giebt ein gewaltiges Bild. Man sieht sich unwillkürlich um nach finstern Bergstürzen und Felsschluchten dahinter, und nach gepanzerten Ritterzügen und nach Prozessionen mit fliegenden Fahnen im Vordergrunde. Ich war wie berauscht von diesem Eindrucke und mußte daran erinnert werden, daß mein Reisezeug sich schon unter zerlumpten wildblickenden Burschen befand, welche sich stritten, wer es tragen solle. Es war eine häßliche Bande, dunkelfarbig wie Mauren, mit raschen trotzigen Geberden. Dabei verbreiteten sie einen Zwiebeldunst um sich her und sprachen eine Mundart, welche wie eine Nachahmung menschlicher Stimmen lautete. Das waren ächte Provencalen der niedrigsten Sorte. Ich war froh, als ich in einem Gasthof vor ihnen zur Ruhe kam.

Mein erster Gang war natürlich zum päpstlichen Schlosse. Die Straßen der Stadt sind dunkel und engwinkelich, und wohin man blickt, starren Trümmer einer großartigen Vergangenheit, zwischen welchen das moderne Leben sich bunt genug angesiedelt hat. Es ist, als käme man nicht aus alten Burg- und Klosterhallen heraus, die jetzt zu einer Fabrik eingerichtet sind.

Endlich stand ich auf der Höhe vor der Pabstburg. Jeder hat sich wohl einmal gedacht, welchen Eindruck es auf ihn machen würde, wenn er plötzlich vor den ägyptischen Pyramiden stände. Ebenso würde er von furchtbarer Größe befangen sein, wenn er den päpstlichen Burgpalast in Avignon sähe. Es ist nicht blos die größte Burg in der ganzen Welt, sondern riesenhaft und eigenartig in allen Verhältnissen zugleich. Sie sieht wie eine Ruine aus, und doch haben noch jetzt mehre tausend Mann mit Pferden und Kanonen darin räumig Quartier. Man denke sich als Wände eine Reihe breiter himmelhoher Thürme dicht zusammengestellt, darüber erheben sich andere Thürme und Plattformen, und ringsumher ziehen sich klafterdicke Mauern, und durch die tiefen Thorwölbungen darin sieht man auf weite finstere Höfe. Man hat nur die Vorstellung einer weithindrohenden, weithingefürchteten Gewalt.

Der Palast wurzelt auf dem breiten Rücken eines Felsens, welcher fast nach allen Seiten jäh abstürtzt. Von dem Rande dieser Anhöhe, wo jetzt Bäume kühlen Schatten geben, sieht man weit, weit den Rhone hinauf bis nach Oranges. Unten um den Felsen schlingt sich im Halbkreise die alte seltsame Stadt mit ihren zahlreichen Thürmen und Schlössern, und ringsum starrt die mittelalterliche Stadtmauer. Ihren Fuß bespült der strömende Rhone, große und kleine grüne Inseln in seine Arme fassend; weiter unten fließt die Durance schimmernd mit ihm zusammen. Gegenüber thürmen sich breit und groß die Festungswerke von Ville-Neuve, das eine über das andere, und darüber noch das hohe Fort von St. André. Hellgrün dehnt sich nach allen Seiten die Ebene, in der Ferne blaue Berge, der Rhone glänzt wie eine Kette schmaler Seen, kaum bemerkt man darauf die Rauchfahnen der kleinen Dampfschiffe.

Die Sonne stieg glühend zu den Bergen hinab, alle Wolken glühten nach, die Höhen tauchten sich erst in violette, dann in immer dunklere Schleier, und bald stieg milden Glanzes der Mond herauf. Es umgab mich, weil es Sonntag war, bis zum Abend eine geputzte Menge, die sich des kühlen Luftzugs hier oben erfreute. Ich erblickte darunter wieder schöne Frauen, die ich lange in Frankreich nicht mehr gesehen hatte; unter allen Ländern ist Frankreich an Frauenschönheit am ärmsten. Das Gemurmel der Spaziergänger schwieg allmählig, auf den Höhen und Auen lag feierliche Stille, das Mondlicht zog durch die tiefblauen sternbesäeten Räume, – aber wenn ich auch wegblickte von den finstern thurmhohen Massen der Papstburg, immer umragte mich bergmajestätisch der Geist des Mittelalters.

Zwei Tage in Avignon, wie schnell sind die Stunden dahin im Beschauen dessen, was Natur, Geschichte und Kunst hier aufeinandergedrängt haben. Des Morgens ging ich zu den Kirchen, welche durchgängig einen Reichthum von Kunst in Bauart, Einrichtung, Gemälden, Bildsäulen und Grabmälern enthalten. Avignon ist halb italienisch, das sieht man in jeder Kirche. Besonders freundlich ladet die Andreaskirche ein. In der Barmherzigkeitskirche wird ein wundervoll gearbeitetes Kruzifix von Elfenbein gezeigt, man kann daran die feinste Anatomie studiren und doch fühlt es sich an wie weiches Leben. Es ist die schaurige Sage damit verknüpft, ein verurtheilter Künstler habe es in Todesangst gearbeitet, deshalb sei das Leiden so geisterhaft über das kleine Werk ausgegossen. Die Peterskirche macht schön gothisch Front, aber das ist nicht mehr die reine nordische Kunst, es ist zuviel Schmuck und üppiges Gekräusel daran gehängt, die Baumeister hatten nicht mehr so weit bis zum Zopfgeschmack.

Auf dem Wege nach den Kirchen sieht man zwischen und hinter den Häusern halbversteckte Reste von Burg- und Klosterhöfen; sie waren zu fest gebaut und mit zuviel Kunstwerk geziert, die moderne Zeit konnte noch nicht rasch darüber wegbauen. Häufig öffnen sich hinter niedrigen Thüren Wölbungen und Säulenhallen, und gern glaubt man die Sage, daß der ganze Boden Avignons unterhöhlt sei von langen Gängen und Verließen. Zwischen all der blühenden Natur, den Sonnenlichtern, dem lebendigen Volke des Südens überrieselt den Wanderer in Avignon das Gefühl des Schauerlichen; aber ohnmächtig sinkt es immer wieder zu Boden, wenn man sich dem Burgpalaste der Päpste wieder nähert: da tritt man wie in ausgezimmerte Felsberge hinein, das Gefühl des finster Gewaltigen übernimmt alles Andere.

Jetzt singen und lärmen auf den Höfen und breiten Treppen französische Soldaten, in jedem Zimmer stehen Betten für ein paar hundert Mann, auf dem großen Burghofe ist immer Parade. Säle umfing dieser Palast, weit und hochgewölbt, als hätte man den Burghof mit seiner Wolkenbedachung nachahmen wollen. Durch drei Fußböden übereinander ist ein einziger solcher Saal in vier Räume und jeder wieder mit Zwischenwänden durchbaut, und doch sind die riesigen Umrisse noch nicht verdunkelt. Durch diese Kasernen tritt man in die Kapellen und Gefängnisse, hohe Gemächer mit bedeutungsvollen Inschriften. Im Inquisitionsthurme steht: „Richtend sitze ich und in der Rechten halte ich das Schwert.“ Es wurde da Gericht gehalten über die Völker Europas, alle fügten sich, nur die Deutschen nicht. In den Gefängnissen liest man an den Wänden neben den Folterwerkzeugen zahllose Namen und Sprüche. Auffallend häufig ist das Gebet wiederholt: „Herr führe uns nicht in Versuchung!“ Auf der Höhe einer dieser Thürme wird die Oeffnung gezeigt, durch welche die Schlachtopfer der Revolution zweihundert Fuß tief hinunter gestürzt wurden; die alte Beschließerin will die Schreckensszenen erlebt haben, sie erzählt grauenhafte Geschichten und zeigt auf die vertrockneten Blutströme an den Wänden. Auch dieser Thurm ist jetzt durchbaut, aber der Schrecken haftet noch Jahrhunderte daran. Ganz unten im selben Thurm trägt ein Gefängniß den Namen des Cola Rienzi. Unter diesen düsteren Erinnerungen erfreuen uns doppelt die wenigen Reste der Kunst, die noch erhalten sind, namentlich einige Freskogemälde, mit kraftvoll und natürlich gezeichneten Figuren und offen blickenden Köpfen; das eine Bild stellt eine Gesellschaft von Männern und Frauen vor in der Tracht aus den Zeiten Petrarkas. Noch lange wird man durch Trümmer, finstere Höfe und durchgebaute Wölbungen und Kirchen geführt. Die Aussicht von den Thürmen beherrscht die ganze Stadt und die weitesten Umgebungen. Das Ganze war durch und durch zu einer Festung angelegt, vor deren Anblick schon jede Hoffnung des Erstürmens schwindet, die aber dennoch ihren Bewohnern weiträumige glanzvolle Säle und Gemächer gewähren sollte. Die Pracht ist verschwunden, die Festung aber ist geblieben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II