Abschnitt 2

XIV.
Die Provence.


Avignon.


In der anstoßenden Kathedrale befindet sich eine hübsche Kapelle, welche Deveria neuerdings in Rubens’ Manier ausgemalt hat, die Szenen sind zwar biblisch, die Personen dieser heiligen Geschichten aber moderne Leute in biblischer Verkleidung. Wie kann man auch gläubig fromme Gemüther darstellen wollen, ohne daß man selbst eines hat, der berechnende Verstand allein wird nie die rechten Töne mischen, nie den Gestalten Kraft und Leben geben. Die Kapelle umfängt auch die Grabmäler von zwei Päpsten, das eine gehört Johann XXII., ein gothisches Kunstwerk, die Büste des Papstes zeigt noch jetzt das feine, weltverlachende Gesicht.

Nachmittags und Abends saß ich Stunden lang vor einem Kaffeehause am Rhone, wo die Schiffe landen. Das war ein herrlich Plätzchen, im Schatten einer Häuserreihe mit Marienbildern, über welche die Zinnen und Thürme der Stadtmauer emporragen, zu Füßen den raschwelligen Rhone mit den Trümmerbogen der altersgrauen Brücke und einer neuen im zierlichen Kettengehänge, am andern Ufer vielgestaltige Ruinen und hoch darüber schroffe Festungswerke. Am Strome ist ein unaufhörlich Gedränge von allerlei Volk, das gleich Halbwilden ruft, lacht und arbeitet; im Sande balgen sich kleine Buben, ermuntert durch den Zuruf der Umstehenden.

Von den Höhen auf der andern Seite des Stromes erscheint Avignon erst recht mittelalterlich dräuend, wie eine gerüstete Stadt, die des heranziehenden Feindes spottet. Ville-Neuve erhebt sich ebenfalls in einem malerischen Gemisch von alten und neuen Häusern, Burgruinen, trümmerhaften Klosterhöfen und gothischen Kirchen. Dieser Stätte an beiden Ufern des Rhone bleibt ein kriegerisch herrschsüchtiger Geist aufgeprägt, Priester und Soldat befehlen hier noch jetzt über das gesammte Volk.

Auch ein Invalidenhaus ist in Avignon. Sein Garten besteht aus hochschattigen Baumgängen und einigen Blumenbeeten. An den Wänden der weißen Gartenmauer sind die Namen berühmter Schlachten und Generale und allerlei kriegerische Bilder und Aufrufe gemalt. Die alten Kriegsknechte, meist Krüppel, sitzen gutgekleidet und behaglich plaudernd umher. Ich traf unter ihnen zufällig einen Rheinländer, der gleich noch einen Braunschweiger herbeirief. Wo in aller Welt stößt man nicht auf deutsche Landsknechte? Die beiden Graubärte aus der Kaiserzeit hatten solche Freude an dem Landsmanne, daß sie mich nicht loslassen wollten. Die Trommel rief zum Abendessen, ich mußte wenigstens mit in den Saal kommen und ihren Wein prüfen. Aus dem Eingang wurde uns ein Sarg entgegengetragen, da meinten sie, sie hätten hier ein ruhiges Sterben. Es zog wirklich ein heiterer Friede durch diese Räume. Wie widerwärtig ist dagegen ein amerikanisches Invalidenhaus, wo zwar kein Stäubchen auf dem blanken Fußboden zu sehen, aber auch kein freundlich Murmeln die bleierne Stille unterbricht.

Große Stücke halten die Bürger von Avignon auf ihr Museum, sie beschenken es reichlich. Es enthält alle möglichen Kuriositäten, aber auch einen reichen Schatz von Gemälden und Bildsäulen. Horace Vernet’s Mazeppa und eine heilige Familie in der einfachen und doch immer so edlen sinnigen Weise Leonardo’s sind wohl die Juwelen der Sammlung. Mitten zwischen den häßlichen Götzen der Indianer und Afrikaner erblickte ich auf einmal ein lebendes Engelsbild, in der Tracht von Arles, ein eben aufblühendes Knöspchen: diese griechische Schönheit war mir fremdartig und doch im ersten Augenblicke, wie es Einem mit allem Schönen geht, so lieb und nah. Ihr Vater war ein alter würdiger Militair, und wir gingen noch einige Straßen zusammen. Jedem, der diesem Mädchen in die Augen voll lichter Tiefe sah, wurde es gewiß warm um’s Herz: die Schönheit ist wirklich eine Himmelsgabe, die Allen wohlthut, welche sich ihr nahen. Auch sonst bemerkte ich in Avignon hin und wieder die feinen und stolzgeschwungenen Formen der Frauen von Arles; ebenso verstreut ein Orangenwäldchen die süßen Blüthen auch wohl hin und wieder in die Nachbarschaft. Die Arleserinnen legen ihre kleidsame heimische Tracht nirgends ab, als sollte sie schon von weitem sagen: hier kommt Eine, welche besondern Respekt verlangt. Jedoch dürfen sich, auch ohne Zuwachs von Arles, die Frauen von Avignon wohl sehen lassen, ihre Schönheit trägt einen andern, zierlicheren Charakter. Frauen und Mädchen kamen des Abends in die Kirchen, um einsam zu beten; es war in den geweihten Räumen immer so kühl und stille. Diese abendlichen Kirchgänge sind jedenfalls ebensoviel werth, als wenn die Frauen im Norden des Abends in Gesellschaft gehen, um zu glänzen, zu plaudern und vielleicht sich ein wenig zu ärgern. Auch die Stelle, wo ehemals ihre Mitschwester, Petrarka’s Laura, begraben lag, – wie klingt das erhabene „Laura“ wenn es französisch als „Lore“ ausgesprochen wird, uns Deutschen fast wie ein halbverblühtes Lorchen, – war des Abends niemals von Besucherinnen leer. Die Töchter der britischen Inseln berupften förmlich die armen Cypressen, welche das epheuumschlungene Kreuz umgeben, das auf einer niedrigen Säule steht. Noch kurioser, als diese Art Denkmal ist die Inschrift, die Verse sollen noch von König Franz I. herrühren.


O edle Seele, einstens so geschätzt,

Wer könnte loben dich, als wenn er schwiege;

Denn immer ist das Wort zurückgepreßt,

Wenn überragt der Gegenstand den Sprecher.


Wie Viele haben das schon gelesen und geseufzt, noch jetzt nach so vielen hundert Jahren, blos weil ein Dichter, der wahrscheinlich schon ein behaglicher Domherr war, auf die einfache Dame so feine Sonette ausdachte. Doch immerhin mag bei ihm die Liebe erst den Aufflug zum Ruhme geweckt haben, und auch uns soll die Stätte heilig sein, wo er gewiß oft gebetet hat. Der Rest eines zertrümmerten gothischen Bogens, der von der ehemaligen Kirche dort noch steht, stimmt eher zu dem Orte, als das Säulenkreuz und die Sentenz König Franz I.

Wer aber den Leuten von Avignon einen Zweifel ausdrückte, daß bei ihnen nicht Alles wundervoll sei, den würden sie übel ansehen. Sie tragen in sich einen heimlichen und hartnäckigen Stolz auf ihre Stadt, und weil sie deshalb von blos avignonesischen Sitten und Meinungen, die zum großen Weltverkehre nicht mehr ganz passen, sich nicht scheiden wollen, so hört man sie von den übrigen Provenzalen verspotten. Es wird ihnen nachgesagt, sie seien so mittelalterlich, so verworren, wie ihre Stadt, und streitsüchtig dazu. Mir selbst sind die Leute dort nur freundlich und lebhaft erschienen, das unheimliche Straßenvolk abgerechnet.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II