Abschnitt 2

VIII.
Auf dem Ohio und Mississippi.


In der eben genannten Hauptstadt Kentucky’s konnten wir den größten Theil des Tages verweilen, weil das Schiff unterdessen langsam durch den Kanal fuhr. Da in Amerika ein literarisches Unternehmen schnell durch Zeitungen und mündliche Berichte bekannt wird, so traf ich in Louisville mehrere, die mich freundlich bewillkommneten. Bei einem leerten wir ein paar Flaschen guten Laubenheimer; man macht sich in Deutschland gar keine Vorstellung davon, wie labend es ist, in heißen Landstrichen im deutschen Wein einen tiefen kühlen Zug zu thun. Zu Abend waren wir noch in einer westfälischen Familie, in welcher es einmal wieder heimathlich war. Aber wohin man sah und hörte, wie viel schmerzliche Entbehrungen dessen, was im Vaterlande einem so lieb und natürlich ist, starrten uns hier entgegen. Wie viele ehrenwerthe deutsche Männer und Frauen waren in dieser einen Stadt zusammengedrängt, und für den Verlust, den das Vaterland an ihnen erlitt, fehlte der Trost, daß wenigstens die Mehrzahl hier nur halbwegs glücklich sei. Wie viele gebildete Deutsche in Amerika habe ich gekannt, die sich nicht anders befinden als auf einer unabsehlichen Rennbahn voll Wagengerassel und Staubwolken. Wohin sie auch vordringen, immer dies erstickende Gewühl, immer die Noth, daß sie von den Rädern zerrissen werden. Ein derber Gesell fährt mit dem ersten besten Karren dazwischen und macht sich unbekümmert Platz; jene edlern, aber weicheren Naturen wagen es nicht, andere niederzurennen und sich selbst emporzuschwingen, und haben sie endlich ihr eigenes Fuhrwerk, so wissen sie im Getümmel nicht auszubiegen, und krach, liegen sie mit zertrümmerter Habe am Boden. Und dabei das stille nagende Bewußtsein, daß ein guter Theil ihres geistigen Wesens langsam untergeht, daß sie selbst den Sinn verlieren für das, was ihnen sonst die reinsten Freuden gewährte. Andere freilich richten sich wie Männer auf, werden elastisch und stahlhart, erwerben praktische Kenntnisse, Reichthum und Ansehen: aber auch sie müssen eine Uebergangszeit durchmachen, welche Geist und Körper gleich stark angreift und umwandelt, bis sie gehörig amerikanisirt sind und ebenso viel Geistesdürre als männliches Kraftgefühl eingetauscht haben.


Gewiß ist es ein Glück, daß dies Land der Freiheit da ist, wohin der Bedrängte fliehen kann, aber wenn auch unter dem wilden Athem dieser Freiheit nicht so viel deutsches Leben zu Grunde ginge, so wäre es dennoch für unser Volk eine Wohlthat, wenn ihm die mattherzige Sehnsucht nach Amerika aus der Brust gerissen würde, jenes feige Verlangen in die Fremde, welches die Deutschen verhindert, nachhaltig und männlich daran zu arbeiten, daß sie sich im eigenen Lande bessere Zustände schaffen, als sie ihnen die Fremde jemals bieten kann.

Wir fuhren Abends zu Wagen nach der Stelle, wo der Kanal wieder in den Fluß geht. Dieser Kanal ist drei Meilen lang und kostet den Kapitäns viel Zeit und Geld; nur bei Hochwasser können sie über den Fall des Flusses fahren, zu dessen Umgehung man sich die künstliche Wasserstraße schaffte. Der Ohio hat übrigens nur diese eine böse Stelle, sonst ist er überall ein sanfter und gefälliger Fluß, und auch von schiffsmörderischen Baumstämmen freigemacht, jedoch hängt ihm die schlimme Unart an, zu Zeiten im Jahre plötzlich so zu fallen, daß er Wochenlang kein Schiff trägt. Wir warteten am Ufer eine geraume Zeit, und ich merkte auf einmal, daß von der scharfen Sonnengluth, welche vom Wasser wiederschien, mir Gesicht und Hände verbrannt waren, es schmerzte mich noch mehrere Tage lang. Endlich sahen wir unser Indianerhäuflein und bald auch die Schiffsmasten durch die Bäume kommen und waren nicht wenig froh, als wir auf Stromesmitte wieder die kühlere Zugluft empfanden. Denn am Ufer gab es Millionen von Muskitos, Zugluft aber können diese argen Quälgeister nicht vertragen. Es sind zwar nur unsere gewöhnlichen Mücken mit den langen Beinen, aber sie stechen wie mit raschen Glühnadeln.

Die Nacht wurde scharf gefahren, am Morgen leuchtete der Fluß spiegelglatt und mattgrün. Dieser dritte Reisetag war der schönste. Es wehte fortwährend ein frischer Windzug über die langgewundenen Seen, in denen sich der Fluß ergoß. Man sah die Nebenströme weit hinauf, mehrere vereinigen sich mit dem Ohio, welche auf lange Strecken hin schiffbar sind, wie der Tennessee und der Wabash. Auf dem Tennessee wurden Dampfboote gezimmert, von Bäumen die nahe an der Werfte standen; der Urwald beschattete gelbe Schiffsgerippe, zu denen das Holz eben erst von der grünen Rinde entkleidet war. Die Ufer des Ohio wurden nun niedrig und dichtbewachsen, häufig aber zeigten sie auch meilenlang eine felsige Breitseite mit allerlei Höhlen und Felsbildungen. Auf den Vorsprüngen und namentlich an den Flußmündungen kamen dann und wann Ortschaften mit weißen Häusern zum Vorschein, öfter aber Blockhütten, umgeben von dürren, noch stehenden Bäumen und von einer gelben Kornfläche, welche in das Waldgrün eingeschnitten schien. Aber Anblicke dieser Art blieben im Ganzen selten, übermächtig war der Eindruck der Wildniß, jedoch verlor sie selten einen sanften und lieblichen Charakter. Wir fuhren auch wohl zwischen stattlich überbuschten Inseln, die ein gelber Strand umsäumte. Das Waldgewoge auf mehrern davon konnte nicht parkartiger sein; oft sah ich in Baumgänge hinein, welche hoch und regelrecht von der Natur gewölbt waren. Außer auf Dampfschiffen, welche uns begegneten, sahen wir den ganzen Tag wenig lebende Wesen, Canadagänse und Fischadler ausgenommen. Die Adler strichen in Zügen über das Wasser oder die Waldung hin, oder sie saßen wie im Schlaf auf einer Schlammbank. Wer darauf geschossen hätte, wäre vielleicht übel angekommen, die Amerikaner führen ja ebenfalls einen Adler im Wappen. Einmal, als wir nahe am Ufer vorbeikamen, sah ich einen ertrunkenen Hirsch, der halb aus Schlamm und Wasser hervorragte.

Am Vormittag dieses Tages brach etwas an der Maschine, und wir fuhren mit nur einem Rade weiter. Ob die Geschichte vorher bedacht war, weiß ich nicht, genug, den Passagieren wurde am Ende der Fahrt eine prunkende Schrift zum Unterzeichnen vorgelegt, welche später in den Zeitungen florirte: es wurde darin dem Kapitän gedankt, daß er uns trotz des einen Rades doch noch am fünften Tage nach St. Louis gebracht habe.

Nach dem Abendessen veranstalteten einige Damen, da das Schiff so leise über die Gewässer glitt, oben auf dem Verdeck einen Gottesdienst. Er begann mit einigen Kapiteln aus dem alten Testament. Ueberhaupt habe ich in Amerika in Kirchen wie in Familien zehnmal eher die Geschichten der alten Hebräer als der Evangelisten lesen hören. Wenn das alte Testament den Amerikanern plötzlich aus der Bibel gerissen würde, so würden sie bestürzt durcheinander rennen, wie ein Bienenschwarm, dem auf einmal seine Königin genommen ist. Diese Vorliebe für den alten Bund schreibt sich noch von den Puritanern her, denen der jüdische Gott besser gefiel, als der Gott der Liebe und des Lichts. Ohne Zweifel hängt damit zusammen, daß in diesem Lande so häufig und so grell alles das in die Augen fällt, was bei uns schon die Schulkinder pharisäisch nennen. Nach der Vorlesung hielt eine ältere Dame ein langes Gebet, das halb Predigt war. Das ging wie ein Uhrwerk, gerade wie in Kirchen, theils Erlerntes aus der Bibel und Erbauungsbüchern, theils verständige Betrachtung, es hört sich an als käme es aus dem Herzen und läßt das Gemüth doch völlig kalt. Der Schlußsatz der Ansprache an uns war immer: das steht in der Bibel und die Bibel ist Gottes Wort. Das freieste Volk der Welt unterwirft sich unbedingt der Bibel als seinem geschriebenen Gesetzbuche. So lange jemand seine religiöse Ueberzeugung noch irgendwie auf die Bibel stützt, kann er entschieden auf Duldsamkeit rechnen. Nicht bloß der Inhalt der Bibel, sondern das Buch an sich steht in hoher Verehrung; oft ist die heilige Schrift im prachtvollsten Einbande in den Häusern bloß zur Verehrung ausgestellt, und die Kinder werden bestraft, wenn sie das Buch vom Tische fallen lassen. Hätte das amerikanische Volk nicht diesen kräftigen Anhalt an der Bibel, so würde auch sein häusliches und öffentliches Leben viel weniger Ernst und Würde haben. Seine Sittenlehre aber läßt sich im Ganzen einfach auf die Bestimmung von Pflicht zurückführen, entweder weil sie in der Bibel steht, oder weil sie zum gemeinen Besten dient, oder weil sie Geld bringt.

Als das Gebet zu Ende war, blieb ich noch im Gespräch mit einigen Virginierinnen. Sie reisten muthvoll und unbekümmert ganz allein einige hundert Meilen weit in den Westen hinein zu ihren Männern und Brüdern, welche dort in einsamer Prairie die neue Heimstätte der Familie ausgerichtet hatten. Die Unterhaltung verbreitete sich über die Natur und die Rangklassen der himmlischen Heerschaaren und unsere Untersuchung war ungemein gründlich. Es geschahen dabei allerlei Fragen an mich, nicht gerade immer über heilige Angelegenheiten, sondern auch über die häuslichen Einrichtungen und Heirathsgebräuche bei verschiedenen Völkern. Ein Deutscher, den sie für einen Gelehrten halten, soll nach der Meinung vieler Amerikaner von den Angelegenheiten auf und unter dem Monde etwas wissen. Diese Lernbegierde, welche sich über alle heimlichen und offenbaren Dinge der Welt ausdehnt, ist vielleicht nicht unschuldig daran, daß ein beträchtlicher Theil des Volkes hier zu Lande fortwährend auf der Wanderung ist von einer Sekte und Kirche zur andern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II