Abschnitt 5

XV.
An der Küste von Nizza bis Genua.


Bis Savona hat nun die Küstenlandschaft wieder einen besonderen Charakter. Wenn vorher das Wilde und Großartige, oder das Liebliche, oder das Finstere immer nur in längeren Strecken sich ablöste, so ist dies alles jetzt in schneller Abwechslung durcheinander geschoben. Die Gebirge sind nicht mehr so hoch, dennoch kann nur der, welcher die Alpen im Grindelwalde oder Lauterbrunnenthal gesehen hat, sich eine Vorstellung machen von diesem raschen Aufeinanderfolgen der verschiedensten Felsengebilde. Hier ist das Gestein senkrecht abgerissen und steigt gleich furchtbaren Thürmen und Verschanzungen, dort klimmt es in Zacken und Nadeln übereinander; dann folgen wieder glatt ausgehöhlte ungeheure Klüfte; gleich darauf scheint das Gebirge zusammengestürzt, die eine Seite zeigt weißgelbe Flächen, an denen das buschige Grün wie eine wollige Heerde hängt, die andere Seite ist von rothen, braunen und glänzend schwarzen Farben überdeckt und läßt nur den Wurzeln der Aloe Raum. Großen Reiz bietet dabei die Straße. Stundenlang folgen sich die Felsentunnels, die Kalesche rasselt in den dunkeln Schlund hinein, die gegenüberstehende Oeffnung spannt wie in einen Gemälderahmen blaue Meeresfluth, grüne Vorgebirge, Felspartien, Ortschaften und Ruinen, und auf einmal reißen die Pferde den Betrachtenden wieder hinaus in die freie, unendlich schöne Aussicht. Manchmal geht es auf langen Brücken über eine Schlucht, in welche das Meer hineintritt, und man hört unter sich die Wellen klatschen. Der frühere Felsensteg, die berüchtigte Cornische, läuft jetzt oberhalb der neuen Straße, diese muß zwar öfter in die Felsgründe hineinbiegen, hält sich jedoch im Ganzen möglichst nahe am Meeressaume. Da aber das Land hier so rar ist, so mußte die Straße sich mit einem schmalen Streifen zwischen den Felsen oder Gartenmauern begnügen. Begegnen sich dann Wagen, so können sie nicht neben einander her. Auch wir sahen einen Wagen kommen, aber statt anzuhalten, jagten beide Kutscher sich entgegen, sprangen dann sofort mit gleichem Satze vom Bocke und auf einander los und erschöpften sich mit reißender Schnelligkeit in gräßlichen Flüchen und Wuthgebärden. Ich dachte jeden Augenblick, sie würden über einander herfallen. Aber nachdem sie ihrem Zorn und ihrer Prahlsucht Luft gemacht, schlugen sie zur letzten Abkühlung unbarmherzig ihre Pferde und schoben dann friedlich den leichtern Wagen rückwärts bis zu einem freien Platze. Mit welchem Hagel von Hieben hätten sich bei solchem Grimme deutsche Kutscher bedacht!


Noli liegt mitten in einer weit ausgezogenen Bucht, deren eines Ende wieder durch eine Insel, das andere durch Cap Noli bezeichnet ist. In der Mitte der Bucht taucht ein grüner Gebirgshang in’s Meer ein, und vor diesem liegt die Stadt, auf ihrer Höhe ragt wieder eine zerfallene Veste, deren Mauerwerk durch die grünen Gärten und Oliven herunterläuft. Links vor der Stadt erhebt sich, ebenfalls von trauernden Burgruinen gekrönt, eine andere Anhöhe, und zwischen beiden ist das reizendste, in allen Farben prangende Gemälde ausgespannt. Wir fanden in Noli schon früh Morgens den Strand dicht mit Fischern bedeckt; auch Kinder und Greise waren dort geschäftig, und eine Menge Weiber stand in langen Reihen plaudernd und die Handspindeln drehend, indem sie auf die Böte der Männer warteten. Noli, früher ein Freistaat, ist wie Albenga Sitz eines Bischofs, der einen herrlichen Palast oben in der Stadt hat. Auch hier stand ein hübsch bemaltes Kapuzinerkloster, einem freundlichen Privathause gleich, nahe an der Küste. Malereien lieben die Leute sehr, ganze Häuserreihen in Noli waren damit bedeckt. Auf der andern Seite des Berges von Noli liegt Sbenturno. Wir kamen nun auch der Felseninsel de’ Berzesi nahe, welche wie ein chinesischer Palast in die Fluthen geworfen scheint; ihre alten Schloßzinnen sind nur die Fortsetzung des zinkenartig aufsteigenden Felsberges. Als ich sie betrachtete, machte der Weg eine Krümmung, und auf einmal strahlte hinter der Insel die Sonne, welche noch morgenschön eben über den Fluthen stand: da war der Anblick feenhaft. Unterhalb der Straße, der Insel gegenüber, kann man an der Küste auf einem Kahne in eine Grotte tief hineinfahren. Etwas weiter erhebt sich Fort Vado, auf dessen Platze schon die Römer eine Festung gehabt haben sollen. Kaiser Pertinax soll da geboren sein. Noch einige Schritte weiter, und man überblickt nun die ganze freie Küste bis Savona. Es ist eine fortlaufende Reihe von Häusern im hellen freundlichen Grün, an deren Ende Savona, eine prächtige Stadt, sich ausbreitet, welche ihren Fuß ins Meer setzt und ihr strahlendes Haupt auf das grüne Gebirge lehnt. Eine Menge wunderlicher alter und neuer Forts erinnern noch an das wilde kriegerische Küstenland, aber Säulengänge, Paläste, große Brücken und Wasserleitungen kündigen Genua’s Nähe an. Im Hafen war viel Leben und eine Unzahl von jenen kleinen Schiffen, die man in allen Arten und Formen auf dem Mittelmeere findet. Savona ist die Stadt der berühmten Ankerschmiede. Im Hafenthurm ist eine kolossale Statue der Madonna, mit einer hübschen Inschrift, welche zugleich lateinisch und italienisch ist: „In mare irato, in subita procella, invoco te, nostra benigna stella.“ In der Hauptkirche zeigte man ein paar schöne Gemälde, welche die Franzosen einst mit fortgeschleppt und umrahmt hatten, bei der Rückgabe gewann die Kirche auch den goldenen Rahmen.

Mein Kaleschenführer übergab mich in Savona einem ordentlichen Vetturin, und so lernte ich an dieser Küste alle drei Grade des hiesigen Fuhrmannshandwerks kennen. Vom zwölften Jahre an treiben sich zerlumpte Jungen mit alten Wagenkasten in und zwischen den Ortschaften umher. Aus diesem Lehrlingsstande befördern sie sich mit dem achtzehnten oder zwanzigsten Jahre zum Gesellen, wenn sie sich ein besseres Pferd und eine Kalesche anschaffen können. Erst wenn sie gesetzt und verständig geworden sind und Wirthe und Wege auf der Strecke kennen, erwerben sie den großen Vetturinwagen mit zwei Pferden und werden Meister ihres Handwerks. Bei dem Vetturin fand ich meinen Franziskaner von Porto Morizio wieder nebst seiner Begleitung; ein Advokat und ein junges lebhaftes Mädchen setzten sich ebenfalls in den Wagen. Der Advokat und die jungen Burschen, obwohl sie schon halbe Priesterkleidung trugen, brachten fortwährend Witze auf, welche bei uns jeden jungen Mann schamroth gemacht hätten, hier aber wollte alles sich vor Lachen ausschütten, der Franziskaner und das Mädchen am meisten. Es war ein Stück Italien, wo der Mönch und Geistliche ungenirt mit Frauen und Männern von allen Klassen verkehrt, er ist der überall Nöthige. In einem der Städtchen, mit welchen die Küste dicht besäet ist, aßen wir in einer Laube Vesperbrod; der Wein, das feine Brod, die Fische waren vorzüglich, schmackhaft vor allem die hellgrünen Feigen. Die acht Stunden bis Genua bleibt die Küstenlandschaft sich fortwährend gleich. Die Höhenzüge sind niedriger, aber immer angenehm und lassen breite Thäler zwischen sich offen, aus denen verwüstende Bergwasser herabstürzen, und deren Hintergrund durch sanftgrüne Gebirge beschlossen wird. Jedes Städtchen hat seine Werfte, aus welcher man die Fahrzeuge vom ersten Kiel an zimmern sieht. Ueberall ist eine Menge von Blüthenbäumen, Prachtgärten und hellen Landhäusern, vor sich hat man die Aussicht auf den herrlichen Golf von Genua. Nackte Felsparthien sind seltener, nur im Meere sieht man sie hin und wieder noch in den seltsamsten Formen. Es war schon dunkel, als wir in Genua ankamen und ich mußte meinen Gasthof mit der Laterne suchen. Die neue Zeit scheint hier die Gasthöfe erst kümmerlich eingeschoben zu haben, so versteckt liegen sie, und ohne daß die Wagen bis zu ihnen können.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II