Abschnitt 6

XV.
An der Küste von Nizza bis Genua.


Ein Tag in Genua ist mehr werth als wochenlang Reisen durch gewöhnliche Städte. Man geht umher zwischen den strahlenden Marmorpalästen, wie befangen von dem Schatten der großen Republik. Und nähert man sich dem tosenden Gewühl am Hafen, da merkt man, daß Genua noch jetzt frisches unvergängliches Leben hat. In dem Verse, welcher Deutschland einst so sehr zur Ehre gereichte: – „Augsburger Pracht, Venedigs Macht, Straßburger Geschütz und Nürnberger Witz lachen den Teufel aus“, sind zwar die genuesischen Galeeren nicht mit erwähnt, aber wohl war ihre fliegende unwiderstehliche Kraft auf dem ganzen Mittelmeere bekannt. Bezeichnend für die Genuesen ist es, daß sie ihre Kriegs- und Handelsschiffe nicht erst selbst bauten, sondern gleich fertig kauften und dann erst ausrüsteten. Sie waren durch und durch ein Handelsvolk, schlau, gewandt, leichtfertig, prachtliebend, mit der ganzen Kühnheit, dem Trotze und Ungestüm, welche noch jetzt die Bewohner der ligurischen Küste auszeichnen, die schon Virgil schlüpfrig und boshaft nannte. Wie bei diesen, blieben die Blicke der Genueser von dem Amphitheater ihrer Stadt stets aufs weithin rollende Meer gebannt, dort galt es zu wagen und zu erbeuten, von dem Lande waren sie ja durch hohe dürre Berge abgeschlossen. Als Zwischenhändler sammelten sie nun ungeheure Reichthümer und bauten davon ihre Stadt, und wetteiferten in Palästen, Prunkgeschirr und Gastmählern. Die hohe reine Kunst fand hier keine heimische Stätte, aus der sie erblühen konnte, nur willige Käufer mit vollen Geldbeuteln. Genua’s einheimische Künstler glänzen nicht in der Kunstgeschichte, der einzige Bernardo Strozzi, genannt Prete Genovese, ist nur in seinen scharfen Umrissen und seinem Farbenschmucke originell. Genuas Geschichte aber ist eine Kette von Verschwörungen und Revolutionen, von blutigen Feindschaften und frechen Intriguen, in Genua waren häufig die starken Männer möglich und nothwendig, welche das brausende Volk bändigten, bis auch sie von einem noch Listigeren und Kühnern matt gelegt wurden. Noch jetzt soll das Sprüchwort, „Genua hat ein Meer ohne Fische, Berge ohne Bäume, Männer ohne Glauben, Frauen ohne Scham“ auch in Bezug auf die beiden letzten Sätze einige Wahrheit haben; sicher aber umfaßt Genua unter den italienischen Städten heutzutage die kraftvollste und revolutionärste Bevölkerung. Wenn aber Genua, obgleich Livorno gern sein Triest werden möchte, nicht wie Venedig gesunken ist, wenn es seine alten reichen Familien, seine fortwährend wachsende Einwohnerzahl und wenigstens zum großen Theil seinen Handel bewahrt hat, so liegt der Grund eben darin, daß ihm die Riviera unaufhörlich noch dasselbe kräftige Volk zuführt, durch welches die Stadt groß geworden. Venedigs Macht war künstlicher aufgebaut, sie war nicht aus einem unverwüstlichen Volkscharakter hervorgegangen, wie die genuesische aus dem ligurischen, der noch heute derselbe ist wie im Alterthum. Dies ligurische Küstenvolk hat durch die germanischen Ritter wohl unterjocht werden können, aber in seinem nationalen Charakter blieb es unangetastet. Als der venetianische Adel einen Stoß erhielt, wuchsen Venedig keine neuen Kräfte zu, und Matrosen und Handelsleute suchten eine andere Stätte.


Mein erster Gang war zum Hafen. Hier sah ich einmal einen ächt italienischen Großhafen. Das Leben in Marseille ist ein Schatten gegen dies Gewühl; auf den Straßen zum Hafen muß man sich durchdrängen, allerlei Volk spricht und treibt sich durch einander, Mäkler und Schiffskapitäns stehen haufenweise und unterhandeln, Matrosen schlendern umher, eine zahllose Menge von Knaben, Frauen und Mädchen rufen ihre kurzen Waaren aus, die sie auf einem Brette vor sich her tragen. Haben sie ein paar Sous verdient, gleich kaufen sie sich Kuchen und Fische, die an den Straßenecken frisch gebacken werden. Der Hafen selbst ist durch Mauern abgeschlossen, man kann zu ihm nur durch mehrere Thore und immer nur zu Theilen desselben kommen. Da drängen, lärmen und stoßen sich die herkulischen Gestalten der Matrosen und bergamaskischen Packträger, halbnackt, viele ohne Hemde: zerlumpte Frauen machen sich überall an sie heran. Braune Kapuziner, weiße Dominikaner, schwarze Franziskaner fehlen auch nicht. Aus den langen dumpfen Hallen, welche den Hafen umgeben, schallt das Geräusch der Schlosser, Schmiede, Kupferarbeiter, Schuhmacher und anderer Handwerker. Das ganze Treiben dieser Leute sieht sorglos und lustig aus, sie leben von der Hand in den Mund. Zu allen Dingen in der Welt haben sie Appetit, können nicht sprechen ohne lebhafte Geberden, und wenn sie alt und grau sind, stehen sie der Natur noch so nah wie Kinder.

Ich besuchte dann die Kirchen, die Paläste und Palaststraßen, die Universität: alles in glänzender farbenreicher Pracht, vieles schön und zierlich gebaut. Die Paläste haben einen Hof mit Säulengängen, wo die Söldner auf den Herrn warteten, bis er mit seinen Gästen die breiten Marmortreppen herunterstieg. Die vornehmen Straßen scheinen zwar leer und ausgestorben im Vergleich mit dem Gewühl unten in den langen engen Gassen bei dem Hafen, aber man merkt noch nicht den Verfall in den großen Häusern, und hat die reichste Augenweide an der üppig entfalteten Pracht. Die Universität sieht aus, als wäre das Gebäude für einen orientalischen Fürsten errichtet. Der alte Dogenpalast, das jetzige Stadthaus, ist noch immer der Mittelpunkt der Regierung der Stadt. Man tritt mit eigenen Gefühlen in die Säle der Signoria, des großen und kleinen Raths, sie waren der Republik und ihrer Häupter würdig. Jetzt gingen ein Dutzend gaffende Fremde darin umher und machten sehr überflüssige Bemerkungen. Ich stand gerade auf der Altane, als es Mittag schlug, die Glocken Genua’s summen alle auf einmal die Stunde herab; früher mochte wohl der Doge bei ihrem Zusammenschlagen aufstehend sagen: „Meine Herren, es ist Zeit einen Beschluß zufassen!“ Weniger in diesem, desto reicher in den andern Palästen und in den Kirchen sieht man herrliche Gemälde und auch sonst ausgezeichnete Kunstwerke. In anderen italienischen Städten scheinen die stummen öden Paläste nur noch der Kunstwerke wegen da zu sein, die sie enthalten, und die Besitzer der Wohnungen bloß Hüter der von den Vorfahren überlieferten Gemälde und Statuen zum Dienste der Fremden; in Genua ist das noch nicht der Fall, die Kunst dient noch zur eigenen Freude und zum Glanze der alten Familien. Hin und wieder wird auch noch Neues angeschafft. Zwei Kunstwerke mögen dem Beschauer wohl nie wieder aus dem Gedächtniß verschwinden, das eine ist ein Basrelief, eine Pieta, von Michel Angelo in der Kirche des prächtigen Armenhauses; der irdische Schmerz der Mutter ist darin mit göttlicher Hoheit wunderbar vereinigt. Das andere ist ein Gemälde in der Kirche San Stefano, welches die Steinigung dieses Heiligen darstellt. Es soll von Guido Reni, der Kopf des Heiligen jedoch von Rafael sein; der Märtyrer kniet im Halbkreise der wüthenden Peiniger, die ganze Seele tritt scheidend auf das Antlitz. Noch immer leuchtet uns dies schmerzverklärte Jünglingsgesicht entgegen, so unsäglich schön, wie der Maler es dachte, kindlich mild und voll der Gotteserkenntniß. Es ist die christliche Idee darin, den kurzen Schmerz dieses Lebens an ein ewiges zu setzen. Der Heilige sieht die göttliche Dreifaltigkeit in den Wolken, die Peiniger schauen sie nicht, nur Saulus zur Seite blickt zweifelnd und befangen zum Himmel.

Kein merkwürdigerer Spaziergang aber, als an und auf den Wällen, welche Genua umgeben. Man übersieht die prangende Stadt, die Campagna, den Hafen mit den Molos und ihren Leuchtthürmen und das weithin glänzende Meer, auf welchem die Segel still zu stehen scheinen. Mit jedem Schritte wechselt das Bild, von welcher Seite man auch die Stadt mit den Wällen und Thürmen und die vielen grünen luftigen Berge dahinter überschaut, immer hat Genua etwas Stolzes und Imponirendes. Eines Abends stieg ich zu den Franziskanern am äußersten und höchsten Ende des Hafens hinauf, über dem Palast Doria. Da lag die Stadt im vollen Strahlenkranze, darüber hin die grüne Bergkrone, und unten das unermeßliche Meer; überall hin wogte der reine glänzende Aether des abendlichen Himmels. Ich unterhielt mich mit den freundlichen Mönchen, die mich auch in ihren Speisesaal führten. Als die Glocke sie zum Gebete rief, trat ich wieder auf die Altane hinaus, jetzt war es ganz Nacht. Die Luft flammte wetterleuchtend auf, hinter den Bergen war der Himmel in steter Gluth, auf den Schiffen und in der Stadt flimmerte ein Lichtchen nach dem andern, und zuletzt hing Genua wie ein ungeheures, diamantengesticktes Diadem zwischen Himmel und Meer. Und welches wilde zerrissene Geschichtsepos spielte auf dieser Stelle!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II