Abschnitt 4

XV.
An der Küste von Nizza bis Genua.


Die Sonne wurde mir auf der Fußwanderung doch am Ende zu lästig, und ich nahm in Oneglia eine Kalesche bis Genua. Das war nun eine Lust, im leichten Fuhrwerk bald in der Tiefe, bald wieder hoch an durchbrochenen Felsen hinzustiegen, zu Füßen das glänzende Meer mit seinen Felseninseln, und dann wieder rasch hinein zu tauchen in die dunkeln Straßen der volkreichen Ortschaften. Auch dann ging es im Galopp, das Pferd wurde mitten in die Volksmenge hinein getrieben, so daß ich mehrmal dachte es gäbe ein Unglück, aber das Volk stob auseinander und floß gleich hinter dem Wagen wieder zusammen. Mit Frechheit und lustigen Worten läßt sich unter diesen Leuten viel ausrichten.


Hinter Oneglia werden die Orangenhaine seltener, anmuthige Thäler ziehen sich nun in das Gebirge hinein, an den grünen Bergwänden hängen Häuser und Ortschaften, noch in drei Stunden Entfernung sind aus den nackten Bergspitzen Hütten zu erkennen. Porto Diano liegt in einer Thalmündung am Meere, dahinter auf einem abgesonderten Hügel Castello Diane. San Cervo gießt sich malerisch einen Hügel hinunter. Mehrere andere Ortschaften folgen sich dicht hinter einander bis Alassio. Das Meer macht hier eine große Bucht, an deren Rande die meisten Städtchen gebaut sind. Porto Morizio ist durch einen Berg gedeckt und bezeichnet die eine Seite der Bucht, an der andern liegt die Felseninsel von Albenga, deren weißer Thurm, einsam auf der Spitze, weithin sichtbar. Der Strand ist in der ganzen Krümmung so flach, daß selbst leichtere Schiffe einige Schuß weit vom Ufer vor Anker liegen. Ich aß zu Mittag in Alassio, der Hafen war voll kleiner Schiffe, welche Feigen und andere Früchte von hier verführen. Unsere Tafel war bedeckt mit einer Last von duftenden köstlichen Früchten. Mein Tischgenosse war ein Notar, im Gespräch rückte er erst schüchtern mit einer lateinischen Frage heraus, und da ich ihm in derselben Sprache antwortete, sprudelte er nun vor Freude, seine klassische Bildung zeigen zu können, in lauter lateinischen Phrasen, und bot mir alle seine Dienste an. Ich machte mit ihm eine Wanderung durch die Stadt und erfreute mich der herrlichen Landschaftsbilder. Allwärts ist eine Fülle von großartigen Kontrasten der Gestalten und Farben, und doch paßt das Ganze wieder so harmonisch zusammen.

Hinter Alassio geht es eine kurze Strecke in die Höhe an wüsten Felsen hin, an denen sich die Kunststraße, welche über mehrere Bogen gezogen ist, vortrefflich abzeichnet; sie erscheint, wenn man zurückblickt, wie ein leichtes schwebendes Band. Dann senkt sich die Straße, es ändert sich der Charakter der Landschaft, die Gestade bekleiden sich mit einer milden stillerhabenen Schönheit. Einsam hohe Berge, in machtvollen Rundungen über einander sich erhebend, grün bis zum Gipfel, schauen ernst ins Meer, einladend zu Muße und Betrachtung. Ihren Fuß umzieht der Oel-, der Feigen- und Karrubenbaum, höher hinauf rauschen die Pignons, Erlen, Eichen, Ahorn und andere Waldbäume, der Berge Stirn ist kahl und harmonirt mit dem reinen Himmel darüber. Freundlich helle Albergen schimmern an ihrem Gürtel, sonnige Halbinseln schwimmen, gleichsam vor der Hoheit bange, niedrig ins Meer. Ganz in der Ferne steigen noch mehr breitgewaltige Gebirgsmassen aus. Man kommt nach Albenga, einer uralten Stadt von verstörtem Ansehen am finstern Bergstrom, mit unzähligen alten Thürmen und Mauertrümmern, bemalten Häusern und den Ruinen einer römischen Wasserleitung; gegenüber im Meere die felsige unbewohnte Insel Gallinara, auf deren Höhe Klosterruinen sich halb im Gebüsch verbergen. Der h. Martin von Tours soll ehemals da gewohnt haben. Jeden Trümmerplatz umkreisen nun die Antiquare, wie Krähen ein Saatfeld, und forschen eifrig, ob sie nicht eine historische Erinnerung aufpicken; ist glücklich ein Name gefunden, der sich an einen alten Steinhaufen anheften läßt, so wird er sogleich Gemeingut aller Bewohner des Städtchens vom Pfarrer und Notar bis zum Fischerjungen. Auf dem stubenebnen Pflaster der Stadt, welche noch bis zu Anfang dieses Jahrhunderts eine Art Freistaat unter Genua’s Schutzhoheit war, wälzt sich eine brausende Volksmenge. Diese braunen stämmigen Burschen mit hastig rollenden Augen und blitzenden Zähnen, deren ganze Kleidung in einem halben Hemd und Beinkleid und einer rothen Mütze über dem üppigen schwarzen Haarwuchs besteht, das sind Italiener von der wildesten Sorte. Ihr ganzer Reichthum sind gesunde Glieder, ein Nothdach und ein Liebchen. Sie galten für die kühnsten und verwegensten Leute der Genuesen, im Sturm und in der Seeschlacht, besonders die von Alassio. Im Grunde aber sind sie gutmüthig, immer lustig und neugierig wie die Kinder. Wo ich mich blicken ließ, war gleich ein Haufen Volks um mich versammelt, mit Geschrei und lebhaften Gebärden sich über mich unterhaltend. Des Abends treiben sie vor und in den Wirthshäusern einfache Spiele mit allem Ausdruck der Leidenschaft. Schön sind sie nicht, aber kraftvoll, die Männer lassen die häßlich behaarte Brust bei Wind und Wetter offen. Widerwärtig ist es, wenn sie auf besattelten Eseln reiten; die Frauen nehmen sich malerischer zu Esel aus, weil sie quer sitzen und ihre Körbe vor sich haben. Selten sah ich eine Frau im hochrothen Sonntagsputze. In der Regel bestanden die Kleider der Frauen und Mädchen aus hundert Flicken. Ausdrucksvolle Gesichter haben besonders die jüngeren Mädchen, wie denn überhaupt uns Deutschen, die an runde weiche Formen gewöhnt sind, ein fest um die Knochen gezogenes längliches Gesicht mit großen Augen gleich hübsch und vielsagend vorkommt.

Hinter Albenga eröffnet sich auf einmal ein liebliches Wiesenthal, und nun rollt sich eine Bühne auf, welche alle Sinne gefangen nimmt durch ihre unendliche Schönheit und Erhabenheit. Das grüne Wiesenthal, nur von Weiden, Rohr und Mispeln durchzogen, weitet sich bis an den Fuß der Appenninen, die in langen Zügen, Berge über Berge, Hügel über Hügel, daher wallen wie ungeheure mitten im Sturme erstarrte Wellen. Die Wolken lagern zwischen den Gipfeln und wogen in die Thäler herab, ein röthlich blauer Dust verklärt die ganze Landschaft, nur die reinen Gipfel scheinen sich in dem klaren Aether darüber zu baden. Man blickt in diese Berge hinein wie in ein hohes Heldengedicht. Die Straße durchmißt das Thal in seiner Breite und schwingt sich dann hin und her an den Höhenzügen, welche in lieblich sanften Formen das Meer umschließen. Serviale, Borghetta, Leano, werden nun bald nacheinander durchwandert. Die zweite Stadt hat noch alle Forts aus dem Mittelalter, die dritte eine vorzügliche Werfte. Bei jeder Ortschaft sieht man Schiffe am Strande im Bau oder in Ausbesserung. Der Weg mußte hier durch die Urfelsen gebrochen werden, weil man ihn weder oben in der Höhe, wo der alte Maulthiersteg ist, noch tiefer unten um die Vorgebirge herumleiten konnte. Zur Seite folgt ein Alpenthal nach dem andern, wie man sie in der Schweiz gewohnt ist, aber ihre riesenhaften Umrisse nehmen in dieser klaren leichten Luft, bei diesem leuchtenden Meere einen ganz eigenthümlichen Schmelz an. Hinter Pietra beginnen die Felsengallerien, in der Nacht mag es in diesen langen Tunnels unheimlich genug sein. Ich fand die Straße noch bis spät Abends voll von Leuten, und blieb zur Nacht in Finale. Die Stadt liegt in Blüthenhainen, ihre Aepfel sind in ganz Italien berühmt, jedoch gewährte sie mir ein recht schlechtes Nachtquartier. Mit dem Essen giebt man sich leicht zufrieden, weil immer Fische und Früchte zu haben sind, aber das unsaubere Wesen der Italiener ist unerträglich. Der Nordländer kann die südliche Schmutzliebe nicht begreifen. Es scheint jedoch in der Natur zu liegen, daß die Menschen desto träger und schmutziger werden, je näher sie den heißen Sonnenstrahlen wohnen, unter deren Einwirkung die Stoffe ebenso rasch trockenen als verwesen.

Ich war meinem Sediaführer dankbar, daß er mich schon um vier Uhr weckte und in den grauenden Morgen hinausfuhr. Die Felsengestade im Halbdunkel, von einzelnen Lichtstreifen überflogen, sahen düster und wild genug aus. Nichts stählt Brust und Nerven mehr, als des Morgens den Seewind zu athmen, wenn er noch mit den frischen Kräuter- und Blumendüften vom Lande gemischt ist. Am Tage vorher lag in der Morgenfrühe erst ein Nebel über dem Meere breit und gelbgrau, aus welchem die Sonne langsam hervorkam. Diesen Morgen war dagegen alles gleich weithin hell und klar, die Sonne bestrahlte Wolken, Meer und Segelschiffe; eine Menge der letztern zogen nahe unter uns und in der Ferne. Auch ein Dampfschiff kam und verschwand mit seiner langen weißen Dampffahne.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II