Abschnitt 3

XV.
An der Küste von Nizza bis Genua.


Bald hinter Mentone hört das üppige Grün wieder auf, das Auge sucht vergebens einen Ruhepunkt unter dem steilauf sich thürmenden Felsgebirge. Das Gestein hat jetzt mehr ein röthliches Aussehen, und es ist vielgestaltiger als auf der Strecke zwischen Villafranca und Turbia. Der Weg führt an einer tiefen Schlucht vorbei, in die Felsen oben gehen Höhlen hinein, tief unten toset ein Bergwasser, eine alte verfallene Wasserleitung daneben läßt den Platz noch mehr wüst und menschenfeindlich erscheinen. Oft sind in den Felsenbergen von unten bis oben breite Furchen ausgehöhlt von dem Wasser, welches nach jedem Gewitter herunterstürzt; nur eine Aloeart klimmt in dem Gesteine hinauf. Hin und wieder hangen Oertchen an den Höhen von einem Olivenwäldchen umgrünt; die hellen Häuschen sehen allerliebst aus, als hätten Kinder sie aus dem Kasten genommen und in das Grüne gesetzt. Alles steigt auf Treppen auf und ab. Esel und Maulthier sind hier die rechten Hausthiere. Holz und Wein und jeder Bedarf wird auf ihrem Rücken weiter gebracht.


Nach etwa zwei Stunden gewinnen die Gestade wieder mehr Grün und Milde, ein Tiefthal senkt sich in das Gebirge und beherbergt Orangen. Aus den breiten Höhen kündet ein Fort, das auf und zwischen alten Schlössern erbaut ist, die Nähe Ventimiglia’s an; dies ist eine alte Stadt, die Thore rühren vielleicht noch aus der Römerzeit her, wie der Unterbau der großen Kirche, auf deren Stelle einst ein Junotempel stand. Die Städte an dieser Küste liegen entweder auf einer Landzunge oder am Eingange von Thälern, in denen über Kiesel und Geröll Bergströme niederstürzen; wenn es aber ein paar Tage nicht regnet, so ist das Bett völlig ausgetrocknet. Auch hinter Ventimiglia ist ein solches Tiefthal mit dem breiten Kieselbette des Stromes. Dieser zieht sich um die Stadt und trägt dazu bei, ihr ein unheimliches Aussehen zu geben. Das Fort sieht man noch lange, wie es sich drohend über die Häuser erhebt und seine Verschanzungen bis zum Meere fortpflanzt. Aulus Persius war hier geboren. Die Römer der Kaiserzeit scheinen die Landsitze an dieser Küste besonders geliebt zu haben, es paßte das Land zu ihrer Zeit voll wilder Lust und wilder Gewalt.

Es folgt nun Bordighera, abseits gelegen auf einem Vorberge, ein rundes Häufchen von Häusern. Ueberrascht steht man vor der Menge hoher Palmengipfel, die sich leicht im Winde wiegen. All die orientalischen heiligen oder unheiligen Geschichten, die unter Palmen spielen, fliegen einem zu. Ein paar Tausend Palmen sollen hier zusammenstehn. Es ist merkwürdig still in den kleinen Hainen, Schatten geben die Palmen nicht viel, aber man hört sie leise rauschen wie Märchen aus dem Orient. Ich glaube, jeder der zum erstenmal dahin kommt, macht es wie ich, und ruht unter den Bäumen im träumerischen Sinnen, aus der Ferne schallt das ruhige taktmäßige Rollen des Meeres. Der Mensch im Oriente hat eine stille großartige Ruhe in seinem Denken und Thun, was uns feuerköpfigen Westländern manchmal grotesk vorkommt, man begreift es aber besser unter solchen hohen stillen Palmen am ruhig rauschenden Meere. Auch Spadoleto und San Remo sind Palmenörter; der seltsame Baum hebt sich noch höher als das Gebirge, auf dem die Städtchen sich angebaut haben. Es ist ein Gewoge von dem verschiedenartigsten Baumgrün, aus welchem die Häuser hervorgucken. San Nemo ist am schönsten, aber Bordighera hat allein das Recht, jährlich zu Ostern ein Schiff voll Palmenzweige nach Rom zu schicken.

Zwischen diesen und der Menge der noch kleineren Ortschaften sind immer Strecken von dürren felsigen Landschaften, ich nahm mir manchmal einen kleinen offenen Wagen, eine Sedia, und fuhr eine Strecke. In jeder Stadt stürzen Buben auf den Reisenden zu und bieten für ein paar Sous ihre Kaleschen auf eine Stunde an; das Fahrzeug ist sehr gebrechlich, der Junge zerlumpt, das Pferd mager zum Umfallen, dennoch geht es im scharfen Trab oder Galopp die Steinwege entlang. All diese Ortschaften an der Küste sind überfüllt von Menschen, bei uns macht man sich gar keine Vorstellung von einem solchen Treiben und Handeln in den dunkeln engen Gassen und von der Fülle malerischer Anblicke. Ich habe gewiß kein Haus an dieser Küste gefunden, das nicht zum Malen schön gelegen. Wo aber ein paar Häuser stehen, sind auch kleine Schiffe ans Land gezogen, bei Spadoleto fand ich ihrer mehrere, die Matrosen wälzten sich daneben halbnackt im Sande, und besorgten einander auf den struppigen Köpfen einen Liebesdienst. Es ist kein reinliches Volk, aber es bleibt selbst im Schmutze malerisch, meist sind es kurze gedrungene Menschen, jedoch stärker als die Savoyarden. Man muß sie des Abends Mora spielen oder Kugeln werfen sehen, um ihr natürliches Feuer und ihre Geschicklichkeit zu bewundern.

Bei San Remo geht der letzte der gewaltigen Höhenzüge ins Meer, das Gestade wird niedriger, es kommen jetzt die weiten Buchten mit den kleinen Vorgebirgen an beiden Enden. Mehrere breite Thäler folgen auf einander, welche die prächtigsten Ansichten auf die Apenninenkette eröffnen. Ich konnte mich von der seltsamen Felsenlandschaft noch nicht trennen und blieb ein paar Stunden gleich hinter Remo in einem Wirthshause, welches fast senkrecht über den Fluthen lag. Die See machte mir auch die Freude, kurz vor der Abenddämmerung ein bischen zu stürmen. Die Gestade wurden halb verhangen von einem grauen Schleier, die Wellen stürmten mit heulender Gewalt zwischen die Felsen und Klüfte, und weithin wogte und brüllte es auf der dunkelschwarzen Tiefe. Am Lande aber zog ein frischer Blüthengeruch, wie bei uns nur im Frühlinge. Es war Oktober, vor dem Hause wurde in rohen Trögen rother Wein gekeltert, was keineswegs appetitlich aussah. Abends spät langte ich in San Stefano an und fand ein Gasthaus am Strande, keine zehn Schritte von den donnernden Wogen.

Von San Remo bis Oneglia ist die rechte Olivengegend. Wie Bordighera die grünsten Palmen, so hat Porto Morizio die reichsten Oliven, Alassio die süsesten Feigen, Finale die saftigsten Aepfel, Mentone die besten Karruben: Orangen, Citronen, Mandeln sind überall an dieser Küste vortrefflich. Ich wanderte am frühen Morgen durch manchen stillen Olivenhain: dem Nordländer, der an Waldesrauschen gewohnt ist, ist dies vollständige Schweigen des Haines etwas Ungewohntes. Die bleichen Blätter zittern und glitzern in der Sonne, Singvögel hüpfen zwitschernd durch die weichen Zweige, und immer wölbt dieser wohlthätige Baum in milden freundlichen Formen. Der Weg läuft fortwährend dicht am Meere hin. Die Anhöhen zur Linken sind meist unfruchtbar, hin und wieder zeigen sich wieder groteske Felsgestalten. Carabiniers passen auf Schleichhändler. Männer und Kapuziner, Frauen und Kinder, alles reitet auf Eseln. Es folgen hinter einander mehrere kleine Dörfer, hart an der großen Meeresbucht, welche bis Porto Morizio geht. Die Kirchen in diesen kleinen Ortschaften sind, wenn auch nicht im edlen Style, doch geschmackvoll und mit dem Aufwande aller Pracht gebaut, welche die Bewohner aufbringen konnten. Bei uns fällt der alte hohe Kirchthurm zuerst in die Augen, hier gleich die ganze Kirche, weil sie immer auf dem freiesten und höchsten Platze steht und jedes Jahr neu angemalt und ausgeputzt wird. Wir Nordländer thun für unsere Kirchen nicht viel mehr, als daß wir ihnen ein würdiges Ansehen bewahren; der Südländer schmückt die Kirche als den Stolz und die beliebte Zierde seines Ortes. Oft steht die Kirche auch von den Häusern abgesondert auf einem Felsen am Meere und leuchtet weithin auf die trügerische Fläche bedrängten Schiffern. Bei Porto Morizio streckt sich wieder eine breite Bergmatte vor, welche die Aussicht nach der Küste dahinter abschneidet. Die zahlreichen Felsblöcke im Meere, um welche die Wellen branden, nehmen sich von Ferne oft wie eine Heerde schwarzer Kühe aus. Das Eigenthümliche dieser Küste wird besonders dadurch erhöht, so vielfach Reste und Spuren eines früheren tosend vergangenen Lebens zu erblicken: verfallene Schlösser und Ruinen von Häusern auf den Höhen und alte Thürme mitten in der Brandung. Porto Morizio ist eine hübsche Bergstadt. Ich durchwanderte sie mit einem Franziskaner aus Rom, der zugleich Lektor der Theologie war, ein kundiger und angenehmer Mann. Er hatte hier seinen Geburtsort wieder besucht und nahm zwei junge Leute mit sich, welche ebenfalls Priester werden sollten. Oneglia, die Heimath des Andrea Doria ist eine kleine Stadt, welche mit ihren Thürmen und Wällen lieblich aus den Blüthen- und Oelbäumen hervorragt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II