Abschnitt 2

XV.
An der Küste von Nizza bis Genua.


An der andern Seite des Berges liegt die Altstadt mit dem Hafen, dessen Becken in der Form einer liegenden Acht in den Felsen eingehauen ist. Hier ist das italienische Leben vorwiegend; Fischer, Jungen, Bettler und Dirnen treiben sich bei den Schiffen und in den engen Gassen umher. Die Handwerker arbeiten auf den Straßen, und häufig findet man einen Kranz von jungen Mädchen, welche vor dem Hause an einem großen Stücke nähen und mit einander schäkern. In der Neustadt aber glaubt man noch in Frankreich zu sein, Tracht und Sprache der meisten Leute und die prunkenden Aufschriften der Häuser sind französisch, nur das unaufhörliche Glockengeläute gehört Italien an. Bis nach Villafranca erstreckt sich die prangende und doch eigenthümlich milde Umgebung Nizza’s. Ich war durch nichts behindert, hatte Zeit, und konnte mir den Weg die Küste entlang nach Belieben suchen. Gleich hinter dem Hafen von Nizza stieg ich einen hohen Berg hinan und sah oben angelangt das Meer von der andern Seite. Bis dahin hatte den Rückblick das ferne Antibes auf der vorspringenden französischen Küste begränzt, jetzt verlor ich diesen Rückblick, um die herrlichste Weitsicht auf die See zu gewinnen. Am Fuße des Berges, der weit ins Meer hinein geht, liegt das schöne Villafranca mit einem netten künstlichen Hafen und einem Fort, welches in der Mitte des Städtchens aufragt. Die Halbinsel la Franche streckt sich ins Meer, wie eine zischende Gans den dünnen Hals; auf der äußersten Spitze steht ein Leuchtthurm und ein zerfallenes Hospiz. Die freundlichen Oelbäume nehmen hier Abschied, weit und grau dehnt sich das nackte Gebirge aus. Anfangs leuchten noch hier und da weiße Häuschen gleich Schneeflocken auf den ungeheuren Abhängen; bald bleibt nur noch hier und da eine einzelne Hütte übrig, so roh von Steinen aufgehäuft, wie es die ärmsten Sennhütten in den Alpen nicht sind; endlich hört alles auf, was nach Menschenwohnung aussieht, nur der grille Schrei der Geier läßt sich hören oder das Meckern einer Ziege, welche unter den Felszacken sich verirrt hat. Die Gegend hat etwas Finsteres aber Großartiges, man denkt sich italienische Räuberromantik hinein. Die Leute, die einem begegnen, eilen alle flüchtig vorbei; fast gespenstisch zeichnen sie sich des Abends ab an den weißgrauen Felswänden. In Deutschland würde man sie für Gesindel halten, es waren gelbe Italienerinnen mit offnem Busen und glänzenden langen Ohrgehängen, zerlumpte halbnackte Packträger, Weiber mit breiten Hüten, welche auf Eseln ritten, Geistliche in langer schwarzer Kleidung, die weder reinlich noch ohne Risse war. Ich ging eine Strecke lang mit einem Kapuziner, einem rechten Bettler, er hatte ein Weinfäßchen umgürtet und den Trichter in der Hand und erzählte mir lustige Geschichten aus den Geheimnissen seines Berufes. Ich weiß nicht, welche Frage ihn ärgerte, denn auf einmal blieb er stehen und fluchte so fürchterlich, daß die Felsen widerhallten, jedoch war seine Standrede nicht ohne natürlichen Anstand. Der Fußweg steigt in Zackenlinien rauh und steinig über die Felsenjoche; auch die Straße, welche sehr kunstreich den Windungen des Gestades folgt, geht meist durch nacktes Felsgebirge; manchmal läuft sie hinter Höhen her, welche das Meer verbergen, dann eröffnen sich in der Regel auf der andern Seite Alpenansichten so großartig, wie man sie sich nur ohne Wälder und ewigen Schnee denken kann. Bald darauf erheben sich, sowie man um einen Bergvorsprung kommt, die Zacken und Trümmer einer Bergfeste, alt und grau wie der Felsenkegel, auf dem sie steht; durch sie hindurch schimmert das glänzend blaue Meer, welches, nach einigen Schritten näher, wieder in seiner Unermeßlichkeit heranfluthet. Es spielt den Tag über in den hellsten und vielfältigsten Farben. Unten brandet es und umkränzt die Küste mit weißem Schaume, gleich hinter der Brandung glitzern alle Farben des Regenbogens, darüber hinaus leuchtet es still grünblau, noch weiter grau oder dunkelroth, und am äußersten Horizont schimmern weiße Streifen wie Eisflächen, auf denen sich die Sonne spiegelt. Oben auf der Straße scheint es unmöglich, zum Meer hinab zu kommen; indessen mit einigen Kletterkünsten geht es doch, und ich fand mich nicht allein durch den Anblick der heranstürmenden weißen Rosse Neptuns erfrischt, sondern auch wohl durch zuckersüße wilde Feigen und Trauben belohnt, welche vom Winde halbgedörrt an entblätterten Aesten hingen. Turbia ist der nächste Ort in dieser Bergwüste, einer dieser Flecken, wie sie nun, einander ganz ähnlich, sich in ziemlicher Anzahl an dieser Küste folgen. Nette Häuser und Zigeunerbaracken, alte Burgruinen und eine neue buntbemalte Kirche stehn zu einem zackigen Häufchen zusammen auf der Einsattelung eines Berges, der noch weiter ins Meer ausläuft. Eine solche Ortschaft, halb verfallen und doch nicht ohne Reiz, sieht aus wie ein liederlicher noch immer hübscher Bursche. Turbia soll seinen Namen von einem Augustustempel haben, Trophäa Augusti genannt, von dem oberhalb am Berge noch Ueberbleibsel zu erblicken. Sowie man aus dem Neste wieder heraustritt, zeigt sich unten am Fuße des Berges eine Halbinsel, die wie ein großes Kriegsschiff im Meere zu schwimmen scheint; die freundliche Häuserreihe, welche sie bedeckt, ist Monaco. In der Ferne glänzt hellweiß Bordighera aus einer Landzunge in der blauen See.


Es war erst Nachmittag, aber die Gegend war zu fabelhaft, zu herrlichwild, ich blieb in einer Herberge an der Straße bald hinter Turbia. Es ging da zu wie in den Herbergen im Gilblas, man bestellt Suppe, Braten, Macaroni, Früchte, Käse, und Wein, der Wirth sagt einem den Preis von jedem zum voraus. Auf dem Felsen etwas unterhalb der Straße, die hier sehr hoch läuft, lag ich bis in die dunkle Nacht, versunken in den Anblick des Meeres und dieser gewaltigen Felsenlandschaft, sie blieb mir ernst und bleich und still, aber himmelhoch ragend im Gedächtniß stehen. So schauen uns die erhabenen Stellen in der Weltgeschichte an, gewaltige Männer und Thaten haben dort Hochgebirge aufgerichtet, aber es ist bleiche leblose Vergangenheit. Ich war am Tage eine Stunde weit mit einem Italiener gewandert, er war ein gebildeter Mann, welcher den höhern Ständen angehört hatte, feurige nationale Gedanken vereinigten sich in ihm mit schwächlicher Selbstsucht. Wir hatten in einer Osterie unterwegs ein kleines Mahl eingenommen, er war fein und artig gewesen, und als er die Zeche auslegte, betrog er mich weniger Groschen willen. Das ist Italien, so edel und so gesunken, es fehlen ihm die stählernen Nerven sich wieder aufzurichten, selbst sein herrliches Mittelmeer wird von Flotten beherrscht, die aus dem nordischen England herkommen. Ich überdachte Italiens Geschichte; ach in sein Weh ist das Land jenseits der Alpen, das Land mit den strömenden Flüssen und kühlem Waldesrauschen, so enge verflochten. Zerrissen und zerschlagen wie Italien ringt Deutschland, sich wieder zu sammeln, während Frankreich bei all den blutigen Tollheiten, die es erlebt, doch national und kraftvoll geeinigt bleibt.

In der Morgenfrische des folgenden Tages machte ich mich wieder auf den Weg. Da sah ich über dem Meere erst die Morgenröthe, dann die Sonne aufgehen. Die Sonne sieht hier viel jungfräulicher aus und reizender, wie erglühend von den letzten Küssen des Gatten, als bei uns, wo sie hinter den Bergen ehrbar hervorkommt um an ihr Tagesgeschäft zu gehn. Das Meer war eine leuchtende Farbenfläche, von der dunkelgrünen Grundfarbe durch Gelb und Blau hindurch bis zur hellsten Röthe. Rocabruno zeigte sich hoch über dem Wege zwischen die Felsen gebaut, ein wildes Gemisch von dunkeln schroffen Felsen, übergrünten Schloßruinen, alten und neuen Häusern, das Auge kann das alles kaum von einander sondern. Man umgeht darauf einen Berg, und sieht auf einmal unter sich einen im Silberglanz wogenden Oelwald, an dessen Ende das weiße Mentone sich von der See liebkosen läßt. Die zackigen rauhen Felsgebirge treten hier zurück, und lassen wieder eines der lieblichsten Plätzchen auf der Erde offen. Oliven, Carruben, Trauben, Feigen, Kürbisse hängen üppig umher, die Orange sieht neugierig über die Gartenmauer. Näher der Stadt stehen Wäldchen von Citronen und Orangen, die goldenen Früchte liegen darunter im Grase; Rosengebüsche umschlingen das rauschende Röhricht, blühende Oleander stehen die Straße entlang. Das Schloß des Fürsten von Monaco paßt recht bunt in die Farbenfülle hinein; es ist im holländischen Geschmack, ein schlankes weißes Marmorhaus wäre noch viel schöner gewesen. Die Fischer arbeiteten schaarenweiße am Strande und auf dem Wasser; Kinder und Frauen, von japanisch breiten Hüten beschattet, die Spindeln in der Hand, zogen aus, die über Nacht gefallenen Oliven zu sammeln. Der Oelbaum vorzüglich nährt diese ganze Küste. Je näher man Mentone kommt, desto mächtiger nimmt es sich aus, es ist eine Bergstadt, auf deren ölbaumbewachsener Höhe die Ruinen eines Schlosses ihre Zinnen in die reine Luft strecken; hohe starke Johannisbrodbäume überdecken ganze Stellen im Städtchen. Ein Mann in altfränkischer Kleidung ladete mich artig ein, einen Augenblick bei ihm einzutreten, dann bat er mit den freundlichsten Worten meinen Paß zu sehen, der wohl viele Stempel aus weiter Ferne trage. Kaum hatte er ihn in Händen, als er auch schon ein Visa darauf drückte und zwei Franken dafür forderte. Der Fürst von Monaco, dessen Gebiet vielleicht einen ganzen Büchsenschuß breit war, ahmte der sardinischen finanziellen Fürsorge darin nach, die durchreisenden Fremden mit ebenso unnöthigen als kostspieligen Paßvisas zu bedenken. Ob auch die Soldaten des Fürsten so schmuck und parademäßig auswattirt sind, wie die piemontesischen, konnte ich nicht bemerken, weil ich keinen sah. Jedenfalls wäre es unnöthig gewesen, denn engbrüstige Leute habe ich im Fürstenthume Monaco ebenso wenig wahrgenommen als in den sardinischen Staaten, und mir daher das Räthsel nicht erklären können, warum die Offiziere der piemontesischen Armee darin einzig sind, daß sie mehr Watte oben als unten tragen. Der Weg nach Monaco ist wundervoll. Das Vorgebirge umschließt ein Hafenrund, dessen Spiegel so still ist, daß die Schiffe ohne Anker darauf liegen können. Auf zahllosen Treppen steigt man in die Festung hinein, die Häuser sind klein und arm und stehen an einer einzigen Straße, welche über den Felswänden fortgeht; an ihrem Ende aber, vor dem Palaste des Fürsten, hat man den unendlich herrlichen Rückblick auf den weiten Golf und das alpenmäßig ansteigende Küstenland.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II