Abschnitt 3

XII.
Am Missouri.


Einmal stieß ich im Walde plötzlich auf einen Zug schwarzer Sklaven, die holztragend daher kamen. So lange man solchen Anblick noch nicht gewohnt ist, ruft er ein widrig fremdartiges Gefühl hervor, weil die Natur sich dagegen sträubt, daß Geschöpfe, die Menschen sind, nach Recht und Gesetz Sachen sein sollen. Wo Sklaven gehalten werden, legt es sich wie ein unheimlicher dunkler Fluch über das Land. Daß die Handarbeit dort verächtlich wird, daß der Hang zu Müßiggang und schwelgerischer Ueppigkeit einreißt, und die Hülfsquellen des Landes brach liegen bleiben, ist noch das mindere Uebel: das viel schlimmere ist der entsetzliche Einfluß auf das sittliche Gefühl. Der Mensch wird gemein und roh im Empfinden und Denken, tückisch und kaltblütig grausam, wo er unter Menschen aufwächst, die er wie Thiere behandelt sieht. In leichten Zelten und unter zahmen Viehheerden entsteht ein patriarchalisches Leben, das sich in schlichten Gewohnheiten und einigen einfachen Ideen bewegt, die aber einen gewissen großartigen Zuschnitt haben. Dort ist Frieden und Ruhe, aber wandelloser Stillstand der geistigen Thätigkeit. Nur in festen Sitzen und unter einem Volke, dessen Mitglieder gleichberechtigt und gleichstrebend, kommt die Menschenblüthe zur Entfaltung, es gedeihen edle Gesittung, Erfindungen, Künste und Wissenschaft. Wo aber der Mensch umgeben ist von Unterdrückten, da melden sich in ihm Eigenschaften des Raubthiers an: die Erniedrigung der Mitmenschen trägt die geheime Rache mit sich, daß die bessere Natur im Unterdrücker selbst erniedrigt wird. Dieser Schaden, den das Volk an seiner sittlichen Gesundheit erleidet, wird nicht aufgewogen durch ritterliche Eigenschaften, wie Stolz, Kühnheit, Geschlossenheit des Charakters, feste und großartige Politik, selbst Anwandlungen von Edelmuth, – Thatsachen, deren sich mit Recht auch in Amerika die Sklavenbesitzer rühmen.


Wie federleicht erscheint gegen das entsetzliche Sklavenübel, das in Amerika in immer furchtbareren Umrissen emporwächst, der Druck, den in Europa die Angst vor Proletariatskämpfen auf die Zukunftshoffnungen äußert. Namentlich in Deutschland ist von Aufständen der Arbeiter wenig zu fürchten, denn diese machen bei uns nur einen sehr geringen Volkstheil aus, die Deutschen sind bis in die untersten wie in die höchsten Klassen hinein ein bürgerliches Volk, jeder will festen Stand und Besitz haben. Hier zeigt das Uebel auch sein Heilmittel an, in Amerika aber ist jede Aussicht abgeschnitten, aus dem Sklavenwesen und seinen Folgen irgend einen Ausweg zu finden. Alle Vorschläge sind wie Bindfäden gegen einen wüthenden Stier. Selbst wenn die Schwarzen allmählig freigegeben und angesiedelt würden, so hätte man noch nichts anderes, als eine rasch sich vermehrende halbthierische Menschenklasse, die keine Schaufel rühren würde, um die Pflanzungen nicht untergehn zu lassen. Die Idee, die Stelle schwarzer Arbeiter durch einige tausend Schiffsladungen Hindus und Chinesen zu ersetzen, ist eben nur eine Idee, und ihre Ausführung würde nur die Pariabevölkerung vermehren, deren schwarze und gelbe Beimischung selbst in den freien Staaten widrig genug ist. Die Natur scheint darauf hinzudeuten, daß das schwarze Volk mit seiner rohen Naturkraft allmählig in das weiße aufgehen soll, denn sie flößte der weißen Frau unüberwindlichen Abscheu ein gegen den schwarzen Mann, aber sie zog nicht diese Schranke zwischen dem weißen Mann und der schwarzen Frau. Aber einstweilen wird noch Jahrhunderte lang die schwarze und gelbe Rasse sich in Amerika vermehren, vielleicht wird sie auf das Schicksal dieses Welttheils noch viel mächtiger einwirken. Denn die Sklavenbesitzer denken an nichts weniger, als an ein Eingehenlassen der „patriarchalischen und altehrwürdigen Institution der Sklaverei,“ sondern ihre Pläne richten sich mit rastloser Energie, mit einer Kühnheit und Schlauheit ohne Gleichen darauf, im Bunde mit Brasilien das ganze Tropenland für die Sklaverei zu erobern, Hayti zu ihr zurück, und die Ueberführung der Neger nach Amerika zur größten Ausdehnung zu bringen, damit die ungeheure Naturfülle der Tropenländer angebaut und einigen tausend Pflanzern herrschaftliche Besitzungen gewähre. So, sagen sie, wollten sie auf ihre Weise den Neger civilisiren, der unter ihrer Peitsche doch menschenähnlich werde, unter dem Hackbeil des afrikanischen Despoten aber ewig nur eine Menschennull bleibe.

Bis jetzt ist wirklich diese Politik der Sklavenbesitzer überallhin erobernd vorgedrungen, sie beherrscht den Kongreß und seine Akte; die Einverleibung von Texas, die Ausdehnung der Sklaverei auf andere neue Staaten, die Eroberung Mexikos, die Freibeuterzüge gegen Cuba, das Gesetz, welches die Jagd auf flüchtige Sklaven für die ganze Union vorschreibt, sie sind nur das Werk der südlichen Pflanzer. Das Geschrei der Abolitionisten verhallte bis jetzt wirkungslos. Etwas eingedämmt wird die Sklaverei durch das unscheinbare Thun unserer Landsleute. Der Deutsche ist unfähig zum Sklavenherrn, es stört ihn immer der Mensch im Sklaven, entweder behandelt er ihn zu milde oder zu hart, in beiden Fällen hat er vom Neger schlechte Arbeit. Wo die deutschen Farmer sich ansiedeln, zieht sich die Sklaverei aus ihrer Nähe fort. So würde Pennsylvanien, ein sehr großer Theil von Maryland, Virginien und Nord-Carolina frei von diesem schwarzen Uebel, so hat ebenfalls in Kentucky und Tennessee längs dem Ufer des Ohio und anderer Flüsse, wo deutsche Farmer sich angebaut, die Sklaverei aufgehört. Auch in der Umgegend von Hermann wird das Land den Negerbesitzern mehr und mehr abgekauft.

Wir nahmen von dieser deutschen Ansiedlung den besten Eindruck mit, als das Dampfboot uns wieder hinter die vorspringenden Berge trug und die letzten Häuser verschwanden. Zwischen den grünen Hügeln und an den einsamen hellen Flüssen hatten wir fröhliche Stunden verlebt und trotz mancher Reibungen, die in der jungen Stadt unter der Decke spielten, gleichwohl ein herzliches und gemüthliches Leben gefunden. Diese deutsche Ansiedlung wird nicht mehr untergehen, sondern mit jedem Jahre an Stärke und geselligem Behagen gewinnen. Hermann hatte wahrlich Feinde, Hindernisse und Entbehrungen genug, der ausdauernde deutsche Sinn seiner Bewohner hat alles besiegt, und sich und den nachkommenden Landsleuten einen Wohnsitz bereitet, der ihnen dieselben Mittel öffnet, ihren Familien ein sorgloses Auskommen zu verschaffen, wie ein anderer Platz, und den Vortheil hat, daß Vieles hier jener vaterländischen Sinnesart entgegen kommt, durch welche der Deutsche sich die Fremde erst zur Heimath macht, wenn er nicht leichtmüthig seine deutsche Natur aufgiebt oder im männlichen Entsagen seinen Willen ausschließlich auf andere Lebensgüter richtet. Es hat sich die Wahl der Gesellschaft, welche Hermann gründete, jetzt als eine glänzende herausgestellt. Wäre der Boden eine weite fruchtbare Fläche, so würden hier einige wenige große Landwirthe sitzen. Jetzt aber wird die Stadt der Mittelpunkt einer wohlhabenden Bevölkerung werden, welche von der Wuth des Geldmachens weniger ergriffen und von religiöser Duldsamkeit mehr beglückt als andere Orte in Amerika, deutsche Lebenslust und Geselligkeit mit Bildung und Redlichkeit vereinigt, so weit das überhaupt in Amerika möglich ist.

Das Boot, welches uns nach St. Louis zurückbrachte, stand bereits in der Rangklasse der amerikanischen Dampfboote ganz unten; es hatte seine sechs Jahre gedient, war jetzt leck und schwerfällig und auf einen schlechten Kapitän und niedrigen Fahrpreis heruntergekommen. Es hatte gerade das Alter erreicht, wo der Kapitän ein Dampfboot eines schönen Morgens aufrennen und sinken läßt und lachend die letzten Versicherungsgelder dafür in Empfang nimmt. Die Schiffstafel war mit halbrohen Speisen besetzt, ein erträgliches Getränk nicht zu bekommen, und die Gesellschaft wurde sehr gemischt. Jede halbe Stunde rannte sich das Schiff in eine Untiefe hinein; dann kostete es harte Arbeit, bis die Bootsleute es wieder in Gang brachten. Sie setzten starke Bäume ins Wasser und wanden mühsam das Boot daran wieder in die Höhe. Waren wir endlich wieder flott, so hatte der Steuermann seine liebe Noth, die Snags und Sawhers zu vermeiden. Stemmen die Bäume sich fest und starr in die Höhe, so nennt man sie Snags, Spießer; sitzt bloß die Wurzel fest und bewegen sich die Aeste vor der Gewalt des Wassers auf und ab, so heißen sie Sawhers, Säger. Unser armes Schiff wurde so oft von ihnen erschüttert, daß alle Hoffnung vorhanden war, nach noch ein paar Fahrten werde ihm glücklich der Bauch aufgerissen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II