Abschnitt 2

XII.
Am Missouri.


Am Gaskonade, eine Stunde oberhalb seines Ausflusses in den Missouri, wollte man die Netze werfen, dort sollte es von Fischen wimmeln. Die einen fuhren in drei Kähnen den Fluß hinauf, die andern schlugen den etwa dreistündigen Richteweg durch Wald und Felsen ein. Ich schloß mich den letztern an, die Flinten immer schußbereit ging es tief in den herrlichen Wald hinein. Ein Baumriese neben dem andern erhob seine gewaltige Ast- und Laubkrone, uralte wilde Reben hingen in verworrenen Verschlingungen an den Stämmen, immer neue Bäume und Stauden erschienen, deren Pracht oder fremdartiges Aussehen unsere Aufmerksamkeit erregten. Dabei war der Wald belebt von Eichhörnchen, Spechten und Habichten, und die Hügel widerhallten von unsern Schüssen. Aber in dem unwegsamen Dickicht verirrten wir uns wiederholt, bald erstiegen wir Anhöhen mit Aussichten über unermeßliches Waldgewoge und dunkle Thalgründe, bald geriethen wir in Sümpfe, wo der Pflanzenwuchs wunderbar üppig, aber auch regelmäßig eine Wolke von Muskitos stand. Vor ihren wahllosen Stichen flüchtete jeder gleich auf lichtere Stellen, kam dort aber in eine Sonnengluth zum Ersticken. Sobald man den dichten Baumschatten verließ, war es als wenn man glühende Luft einathmete. Außer in widerlichem Whisky und lauem Sumpfwasser war nirgends eine Labung zu entdecken. Endlich sahen wir den klargrünen Gaskonade durch die Bäume schimmern. Als wir aber zu seinen Ufern hinabeilten, fand sich, daß der Fischplatz noch eine Stunde höher hinauf lag. Wir arbeiteten uns bis dahin am Ufer durch, über Baumstämme und Schlammbänke, durch Gestrüpp und Ranken. Ich schoß einer großen Schildkröte, die eiligst zum Flusse watschelte, den Kopf weg; das Thier war zum Mitnehmen aber viel zu schwer. Wir erreichten endlich die uns bezeichnete Stelle, wo der First Creek, ein Nebenfluß, aus einsamen Wäldern herbeizog und sich in den Gaskonade ergoß; kein Mensch war zu sehen. Unsere Kähne waren weiter gefahren, um besseres Fischwasser zu suchen. Das war gegen die Abrede und rief manch böses Gesicht hervor, trotzdem, daß rund um uns her die Wälder standen in feierlicher Pracht und ihr herrliches Grün sich in den zwei klaren Flüssen spiegelte. Wir beriethen schon den Rückweg, als ein Kahn um die Waldecke bog und uns abholte.


Fast mit Tagessinken erreichten wir ziemlich zerfetzt und abgerissen und hungrig wie Wölfe unsere Gefährten. Sie hatten unter hochschattigen Bäumen am Ufer sich eine hübsche Stelle ausgesucht, dort ein loderndes Feuer gemacht, und waren bestens beschäftigt mit Fischen und Braten, Essen und Trinken. Wir halfen ihnen dabei, und die dunkle Nacht kam schnell genug. Jetzt ging es hinein ins kühle Flußbad, hin und her plätscherten die Schwimmer, umblinkt von den Lichtern, mit welchen der Widerschein der Sterne und der Uferfeuer das Wasser besäete. Plötzlich erschreckte ein ängstlich Rufen die ganze Gesellschaft. Es hatte sich einer zu tief ins Wasser gewagt, sich verlassend auf seinen „Lebensretter.“ Dies ist ein Schwimmgürtel, der mit Luft angefüllt unter den Armen befestigt wird und die Brust über dem Wasser hält. Das Ding mußte dem unerfahrenen Schwimmer wohl heruntergerutscht sein, was die Folge hatte, daß er überkippte. Mit genauer Noth wurde er gerettet, er hatte den Kopf tief unter Wasser und die Beine in der Luft. Wer aber könnte nun alle die tollen Streiche der Nacht wieder erzählen? An Schlafen war nicht zu denken, Feuer prasselten mit rothem Scheine, halbe Bäume wurden herbeigeschleppt und loderten auf, lustige Geschichten wurden erzählt und die Männer rauften sich und lachten, tranken und jubelten. Die Hermanner übertrafen uns alle in Ausdauer der Kräfte und der Lust, und Witze und Gelächter nahmen kein Ende. Erst mit der Morgendämmerung wickelte sich alles in die Büffelhäute und legte sich an die Feuer, wo die paar englischen Amerikaner, welche zur Gesellschaft gehörten, gleich nach dem Abendessen ihre Nachtruhe gesucht hatten, wie es so regelrechten Leuten nicht anders zukommt.

Am Morgen ging der Lärm von neuem los, und noch einmal briet unser wohlbestallter Koch uns die Fische zum Kaffee, Schinken und Whisky. Als die grünen Ufer und die herrlich klaren Wellen des Gaskonade noch heller in der Sonne glänzten, fuhren wir, nachdem dem Fisch- und Ruheplatz feierlich ein Name gegeben war, auf zusammengejochten Kähnen den Fluß hinunter. Hier und da wurde wieder gelandet, gefischt und gejagt, auch meine Schildkröte wurde mitgenommen. Dann schossen die Kähne in den Missouri hinein, dessen trübere Fluthen und stärkere Strömung uns schnell abwärts trieben. Die waldigen Gestade ragten an der Seite, an welcher wir uns hielten, hoch auf und ihre Felsenkuppen bedurften zu ihrer stolzen Schönheit kaum noch der Romantik der Burgtrümmer. Wir fuhren singend und lachend daran hin, und als bald darauf der Regen niederströmte, der Wind heulte und Sprützwellen über die Boote flogen, wurde die Gesellschaft noch lauter und fröhlicher. Ich war aber doch herzlich froh, als wir endlich aus dem Sturzbade im schwankenden Boote ans Land stiegen. Ein tiefer fast todesähnlicher Schlaf und am Abend eine heißgewürzte Schildkrötensuppe stellten unsere Kräfte wieder her. Fische aber hatten wir kaum einen Korb voll mitgebracht und mußten uns deshalb gehörig auslachen lassen.

Noch zwei Tage blieb ich in der gastlichen Gegend, meist bei Farmern in der Nachbarschaft, deren Wohnungen zwischen den bewaldeten Anhöhen versteckt liegen. Lebhaft erinnere ich mich noch eines lieben und braven Mannes. Er war in Deutschland Lehrer an einer Stadtschule und betrieb jetzt, obgleich schon ein Sechsziger, mit rüstiger heiterer Kraft seine Farm. Sonst können Leute, welche über die Vierzig sind, sich nicht mehr an Amerika gewöhnen. Seine Tochter, eine liebliche deutsche Jungfrau, glänzte wie eine Perle im dunkeln Walde. Ein paar Monate später war der Vater von einem Maschinenrade zerschmettert, zwei Jahre darauf starb die Tochter, der Tod ließ sie ein holdes Eheglück nur eben kosten. Wer in Amerika von Freunden Abschied nimmt, mag des rasch nahenden Todes nicht vergessen. Eines Nachmittags ging ich noch einmal mit der Flinte in den Wald. Die Wege zogen sich bergauf bergab, und fast überall lohnten die Aussichten von den Hügeln, häufig starrten auch Blöcke und Wände von Felsen hausbreit zwischen den Bäumen empor. Etwa zwei Stunden von der Stadt bat ich in einer Farm um etwas Milch. Die Frau, welche sie brachte, sprach in der Mundart meiner Heimath und als ich schärfer zusah, entdeckte ich, daß sie einst bei meinen Eltern als Magd gedient. „Guten Tag Kathrine!“ „O Gott sind Sie es!“ antwortete sie und brach auf einmal in ein so heftiges Weinen aus, daß eine Thräne die andere schlug. Sie sagte, es gehe ihr ganz gut, aber diese Einöde könne sie nicht ertragen, seit acht Tagen habe sie keinen Menschen gesehen als ihren Mann und ihr Kind. Die Wege freilich in der Nachbarschaft waren schlecht, die Fahrgeleise fast einen Fuß tief. Um diese Wege zu befahren, hatte sich der Mann vier Wagenräder dadurch gemacht, daß er von einem dicken festen Baumstamme vier Scheiben absägte und für die Achse mitten ein Loch darin aushölte. Trotz so mühseliger Anfänge gelangen indeß die deutschen Landwirthe hier durch eigenes Geschick und rastlose ausdauernde Thätigkeit nach und nach zu einer mäßigen Wohlhabenheit. Ihre englisch-amerikanischen Nachbarn werden ausgekauft, danken dem Deutschen, der ihnen für ihre Farmanfänge Dollars zahlt, und gehen tiefer in die Wälder, um neu zu roden. Wäre den Deutschen dieser Holzhackertrieb der amerikanischen Hinterwäldler eigen, so würden die Deutschverächter ohne Zweifel darin prosaische Arbeit und niedern Hang erblicken, bei den eingebornen Amerikanern finden sie darin etwas von romantischer Sinnesart. In diese Gegend hatte sich vor mehreren Jahren auch ein Häuflein Polen verloren, um die Ansiedlung zu versuchen. Sie thaten aber nichts anderes, als Wochenlang auf Kosten deutscher Gastfreunde zu zehren. Wenn sie gebeten wurden, einen Eimer Wasser zu holen oder ein Scheit Holz zu spalten, erwiederten sie entrüstet. „Wir sein polnisch Edelmann.“ Die Folge war, daß sie bald wieder das Weite suchten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II